Bewegende Erlebnisse auf der Kinderstation
Kinder haben ein ganz eigenes Erleben von Krankheit. Ich erinnere mich an ein Erlebnis, wo ich ein zehnjähriges Mädchen nach einer Magenspiegelung im Rollstuhl auf die Station zurückfahren sollte: Kaum aus der Kurznarkose erwacht, fing die kleine Patientin an, mit dem Narkosearzt zu diskutieren, er hätte sie angeschwindelt – das sei ja gar keine Milch gewesen, die er ihr gespritzt hätte, sondern Schlafmittel. „Sei froh, dass es keine Milch war…“, dachte ich noch und schnappte mir den Rollstuhl.
Als wir am Fahrstuhl warten mussten, wollte das Mädchen plötzlich aufstehen: „Ich kann doch alleine gehen – Sie müssen mich nicht fahren!“ Sanft drückte ich sie zurück in ihren Sitzplatz und erklärte ihr, dass es unsicher sei, so kurz nach einer Narkose zu laufen. Wirklich überzeugt war sie nicht und machte erneut Anstalten aufzustehen. „Schau mal – gefahren zu werden ist etwas ganz besonderes. Außerdem wäre ich traurig, wenn ich dich nicht weiter fahren dürfte.“ Das half – sie tat mir den Gefallen und blieb sitzen.
Kaum in ihrem Zimmer angekommen gab es die nächste Diskussion mit der Schwester, da sie es überhaupt nicht einsah, warum sie noch zwei Stunden im Bett bleiben sollte: „Ich würde viel lieber mit den anderen Kindern im Spielzimmer spielen.“
Auch Blut abnehmen auf der Kinderstation ist immer ein Erlebnis: Mal haben die Kinder Angst, mal die Eltern – wenigstens ich nicht mehr…
Dass (auch größere) Kinder Angst vor Nadeln und Stichen haben ist sicher nachvollziehbar. Entsprechend wunderte es mich nicht, als mir ein 16-jähriges Mädchen mit einer „Hello Kitty“-Plüschkatze im Arm erzählte, sie habe vor dem Blutabnehmen Angst. Allerdings staunte ich nicht schlecht, als ich auf dem Unterarm ein schlecht tätowiertes PlayBoy-Bunny fand: Das sei ein Relikt aus Ihrer wilden Jugendzeit, erklärte sie mir.
Besonders eingeprägt hat sich mir ein sechsjähriges Mädchen, das zum Blutabnehmen von zwei Schwestern festgehalten werden musste – Zureden mit und ohne Mutter hatte nicht geholfen. Ich habe nicht in Erfahrung bringen können, ob die Kleine schlechte Erfahrungen mit Nadeln gemacht hat, auf jeden Fall war sie bereits nach Anlegen des Stauschlauches nicht mehr zu beruhigen. Ich bin mir sicher, dass sie den (übrigens ganz problemlosen) Einstich am Ende gar nicht gespürt hat, da sie vorrangig mit Schreien beschäftigt war. Seit diesem Tag habe ich immer wenn ich ein Blutröhrchen in die Hand nehme so einen leisen Tinnitus im Ohr…
Wie schön war es da, als mir der elfjährige Junge, den ich direkt nach diesem Mädchen pieksen sollte, gleich beide Arme hinhielt: „Klar – machen Sie mal.“ Er fand zwar, dass der Stauschlauch drückte, nahm dies aber hin, nachdem ich ihm erläutert hatte, wozu dieser notwendig ist. Dann musste ich ihm erklären, wofür die Desinfektion ist, und schließlich sah er ganz interessiert zu, wie die Braunüle in seiner Haut verschwand. Nur beim Einstich selber sah er kurz weg.
Seinen Kommentar, als er das Blut sah, werde ich auch nie vergessen: „Iih – das sieht ja eklig aus. Das ist die ganze Zeit in mir drin??“
Da ich aus Erfahrung weiß, dass man als elfjähriger Junge für alles Verwendung hat, fragte ich ihn, ob er die leere Spritze, mit der ich die Braunüle durchgespült hatte, gebrauchen könnte. Da er sich darüber so freute und ich ihm für den problemlosen Ablauf der Punktion dankbar war, förderte ich aus meiner Kitteltasche noch zwei verschieden große Spritzen und einen Dreiwegehahn zu Tage. Von da an, begrüßte mich der kleine Patient bereits von weitem auf dem Flur.
Und als ich an seinem letzten Tag den Entlassungsbrief ins Zimmer brachte, kramte er aus seinem Block zwei Zettel hervor: „Hier – ich habe etwas für Sie gemalt.“ Ich war so gerührt, dass ich ihn nur in den Arm nahm und ihm alles Gute wünschte.
Die Bilder haben einen Ehrenplatz in meinem Zimmer bekommen und immer wenn ich sie sehe bin ich ein wenig gerührt.
Julian Jürgens
(Lokalredakteur für Magedeburg):
http://www.thieme.de/viamedici/studienort_magdeburg/index.html