Bei dem deutschen Regisseur und Aktionskünstler Christoph Schlingensief (1960-2010) wird im Januar 2008 ein bösartiger Tumor in der linken Lunge festgestellt. Kurz darauf muss sich der umstrittene Künstler mit 49 Jahren einer Operation unterziehen, bei der ihm der linke Lungenflügel vollständig entfernt wird. Während seiner Zeit im Krankenhaus spricht Schlingensief in sein Diktiergerät und hält dabei alle Emotionen und Gedanken fest, die die schwere Erkrankung bei ihm auslöst. Aus diesen Aufzeichnungen entsteht sein berührendes Krebs-Tagebuch: „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!“, das Schlingensief im April 2009 veröffentlicht. In seinem Werk macht der bekannte Theaterprovokateur seine Krankheit und die Angst vor dem Tod zum zentralen Thema: Dabei spricht er tabuisierte sowie verdrängte Themen offen an und lässt uns alle teilhaben an seinem persönlichen Schicksal.
„Ich will über Krankheit, Sterben und Tod sprechen. Gegen diese Ächtungskultur ansprechen, die den Kranken Redeverbot erteilt. Ich gieße eine soziale Plastik aus meiner Krankheit.“ Diese Worte stammen von dem deutschen Regisseur und Aktionskünstler Christoph Schlingensief, geboren am 26. Oktober 1960 in Oberhausen, der im Januar 2008 mit der Diagnose Lungenkrebs konfrontiert wird. Nachdem seine linke Lunge operativ entfernt worden ist, werden im Dezember 2008 im rechten Lungenflügel neue Metastasen entdeckt. Schlingensief gibt seine Krankheit offensiv der Öffentlichkeit bekannt und verarbeitet sie als zentrales Thema in seinem Werk, bis er schließlich am 21. August 2010 in Berlin an den Folgen seiner Lungenkrebs-Erkrankung stirbt.
Das obige Zitat stammt aus seinem Krebs-Tagebuch: „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!“, das Schlingensief im April 2009 veröffentlicht. Hier lässt er den Leser teilhaben an allen Emotionen, Gedanken und Fragen, die das Wissen um die Diagnose und seine Krankheit selbst bei ihm auslöst. Das Werk beruht auf dem Text, den Schlingensief in der Zeit zwischen Januar und Dezember 2008 in sein Diktiergerät spricht, um sich selbst zu entlasten und um seine Ängste sowie seine Verzweiflung, Wut und Traurigkeit über die Erkrankung zu verarbeiten. Doch erfährt der Leser auch die positiven Momente in der Krankheitsphase: Dazu zählen Schlingensiefs Gefühle der Hoffnung auf Genesung, sein Bemühen um Normalität sowie der Genuss alltäglicher Freuden, das kostbare Zusammensein mit seiner Partnerin Aino und vor allem sein unbändiger Überlebenswillen. Dieser äußert sich nicht zuletzt in der Produktivität und dem enormen Arbeitswillen des umstrittenen Künstlers, der in der Zeitspanne nach seiner Krebsdiagnose weiterhin anhält.
Christoph Maria Schlingensief wächst in Oberhausen als einziger Sohn eines Apothekers und einer Krankenschwester in einem, wie er selbst sagt, „extrem kleinbürgerlichen Elternhaus“ auf. Nach seinem Abitur am Heinrich-Heine-Gymnasium in Oberhausen beginnt er im Jahr 1981 ein Studium der Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in München. Bereits während dieser Zeit produziert Schlingensief seine ersten Kurzfilme. Im Laufe seiner späteren Karriere als Filmemacher, Theaterregisseur und Aktionskünstler macht sich Schlingensief einen Namen als Provokateur: In seinen Kultur-Inszenierungen sowie seinen künstlerischen und politischen Aktionen bricht er absichtlich Konventionen, wobei er häufig auf politische und gesellschaftliche Probleme aufmerksam macht.
Nachdem Schlingensief im Januar 2008 erfahren hat, dass seine linke Lunge von einem bösartigen Tumor befallen ist, beginnt er, sich in seinem Werk mit seiner Angst vor dem Tod und mit dem Wissen um die Endlichkeit seines eigenen Lebens auseinanderzusetzen. So stellt er am 21. September 2008 bei der Duisburger RuhrTriennale sein Oratorium: „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ vor, bei der Schlingensief selbst eine Abendmahlsfeier zelebriert. Bei dieser Aufführung gibt Schlingensief dem Zuschauer unter anderem sein heftiges Weinen auf Tonband und ein Röntgenbild seiner operierten Lunge preis, das sich in einer Monstranz befindet. Dadurch bricht der bekannte Theaterprovokateur wie so oft eines der wesentlichen Tabus, die in unserer Kultur tief verankert sind: Statt sich zurückzuziehen, seine Krankheit vor anderen zu verbergen und das Thema Tod zu verdrängen, legt er in einer öffentlichen Inszenierung seine intimen Gedanken, Emotionen und Ängste dar, die das Wissen um seine tödliche Krankheit bei ihm auslöst. Doch zeigt Schlingensief bei der Inszenierung auch glückliche Momente aus der Zeit seiner Kindheit, wodurch sein starker Wunsch spürbar wird, noch lange am Leben zu bleiben.
Zeitgleich mit der Veröffentlichung seines Krebs-Tagebuches im April 2009 stellt Schlingensief sein Website-Projekt: „Geschockte Patienten – Wege zur Autonomie“ vor: Mithilfe dieser Website finden Menschen, die mit einer schockierenden Diagnose wie etwa Krebs oder mit der Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) konfrontiert worden sind, ein Netzwerk, in dem sich jede betroffene Person mit ihrem individuellen Schicksal aufgehoben fühlen soll. Die Grundidee dieses Website-Projektes besteht darin, dass sich die Betroffenen gegenseitig in dem Ziel unterstützen können, gerade während ihrer Erkrankung ihr Selbstbewusstsein und ihre Autonomie zu bewahren.
Nach Angaben des Robert Koch-Instituts Berlin ist der Lungenkrebs inzwischen sowohl bei Männern als auch bei Frauen die dritthäufigste Art der Krebserkrankung in Deutschland. Der wichtigste Risikofaktor, der häufig zu dieser Krankheit führt, ist das Rauchen. Weitere Ursachen für die Entstehung von Lungenkrebs sind das Passivrauchen, eine erblich bedingte Anfälligkeit für Krebs oder der Kontakt mit krebserregenden Substanzen wie etwa mit Asbest, Arsen oder Nickel, der meist am Arbeitsplatz stattfindet. Wenn krebserzeugende Stoffe mit der Atemluft in die Lunge gelangen, können sich unter anderem die Zellen der Schleimhaut, die das Innere der Bronchien auskleidet, verändern und zu bösartigen Krebszellen entwickeln. Diese Krebszellen können sich durch Teilung ungebremst vermehren und bilden somit einen Tumor in der Lunge aus, der gesundes Gewebe zerstört und der als Lungen- bzw. Bronchialkarzinom bezeichnet wird. Dringen die Krebszellen in Lymphgefäße oder Blutbahnen ein, können sie in andere Organe gelangen und dort Tochtergeschwulste ausbilden, die man als Metastasen bezeichnet. Es gibt unterschiedliche Arten von Bronchialkarzinomen, wobei man kleinzellige von nicht-kleinzelligen Karzinomen unterscheidet. In circa 85 Prozent der Fälle handelt es sich bei einem Lungentumor um ein nicht-kleinzelliges Karzinom, das im Vergleich zu einem kleinzelligen Karzinom wesentlich besser behandelt werden kann, da es sich langsamer ausbreitet. Zu den nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen zählt unter anderem das sogenannte Adenokarzinom, an dem auch Christoph Schlingensief gelitten hat. Dieser Krebstyp macht etwa 35 Prozent aller Lungenkarzinome aus und betrifft am häufigsten Frauen und Nichtraucher.
Die Beschwerden, die bei Menschen mit einem Lungenkarzinom auftreten können, deuten in der Regel nicht eindeutig auf die Krankheit hin und äußern sich meist erst dann, wenn sich der Krebs bereits im fortgeschrittenen Stadium befindet. Zu den Anzeichen von Lungenkrebs zählen zum Beispiel Husten, der über mehrere Wochen anhält, Heiserkeit, Atemnot, Schmerzen in der Brust, Gewichtsverlust sowie Kraft- und Appetitlosigkeit. Treten Symptome dieser Art auf, so bedeutet dies jedoch nicht in jedem Fall, dass ein Lungenkarzinom vorliegt, da die Beschwerden auch völlig andere Ursachen haben können.
Menschen, die an Lungenkrebs erkrankt sind, können umso erfolgreicher behandelt werden, je eher die Krankheit erkannt wird. Daher ist es ratsam, frühzeitig den Arzt aufzusuchen, um bestehende Beschwerden wie die oben genannten abzuklären. Besteht der Verdacht auf Lungenkrebs, wird der Arzt alle notwendigen Untersuchungen einleiten, um festzustellen, ob tatsächlich ein Tumor vorhanden ist, welche Struktur dieser hat und wie weit er bereits fortgeschritten ist.
Ist ein Lungenkarzinom festgestellt worden, so belastet dieser Befund immer den betroffenen Menschen. Meist muss sich dieser gemeinsam mit seinen Angehörigen auf eine völlig veränderte Lebenssituation einstellen. Hierbei ist es für den Erkrankten wichtig, das offene Gespräch mit dem behandelnden Arzt zu suchen, der ihn zunächst darüber aufklären wird, zu welcher Krebsart der vorhandene Tumor zählt und in welchem Entwicklungsstadium sich dieser befindet. Es ist die Aufgabe des Arztes, dem Patienten die Therapiemöglichkeiten zu erläutern, die in seinem speziellen Fall in Frage kommen und einen Therapieplan zusammenstellen, der auf die individuellen Bedürfnisse des Patienten abgestimmt ist. Bei der Therapieplanung werden unter anderem die Art, Größe und Ausbreitung des Tumors sowie die körperliche Verfassung des Patienten berücksichtigt. Einige Tumoren, die sich im frühen Stadium befinden und die sich noch nicht auf die benachbarten Lymphknoten ausgebreitet haben, können vollständig durch eine Operation entfernt werden. Jedoch ist es bei etwa zwei Dritteln der Betroffenen nach der Diagnose nicht mehr möglich, den Tumor vollständig operativ zu entfernen, da er sich bereits im fortgeschrittenen Stadium befindet.
Als Alternative oder auch zusätzlich zu einem operativen Eingriff werden häufig die Strahlentherapie und die Chemotherapie bei der Behandlung von Lungenkrebs eingesetzt: Während bei der Strahlentherapie der Tumor örtlich durch energiereiche Strahlen behandelt wird, die Krebszellen abtöten können, werden bei der Chemotherapie sogenannte Zytostatika eingesetzt. Hierbei handelt es sich um Medikamente, die die Zellteilung und somit das Zellwachstum im Körper verhindern oder verzögern, wobei sie vor allem Körperzellen angreifen, die sich besonders schnell teilen. Da Tumorzellen eine höhere Zellteilungsrate haben als andere Körperzellen, dienen Zytostatika zur Behandlung von Tumoren, bei der sie dem Patienten entweder einzeln oder in verschiedenen Kombinationen verabreicht werden.
Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass die operativen und therapeutischen Verfahren, mittels derer ein Lungenkarzinom beseitigt oder eingedämmt werden kann, mitunter starke Nebenwirkungen und Langzeit-Risiken beinhalten. Somit kostet die Behandlung einer Lungenkrebs-Erkrankung den Betroffenen ein hohes Maß an Kraft und Durchhaltevermögen: Gerade in dieser Situation ist es empfehlenswert, die Krankheit nicht vor anderen zu verbergen, sondern das Gespräch mit Angehörigen, Freunden und anderen Betroffenen zu suchen.
Christoph Schlingensief hat sich uns allen während seiner Krankheit geöffnet, hat uns teilhaben lassen an seinem persönlichen Schicksal, das unzählige Menschen berührt hat. In seinem Krebs-Tagebuch hat er das Schweigen durchbrochen und hat Worte gefunden für seine Sprachlosigkeit – so gibt uns sein vielschichtiges Werk in der Zeit seiner Krankheit die Hoffnung, dass auch mit einer schweren Erkrankung das Leben lebenswert sein kann.
Melanie Geiser, M. A.
Interessieren Sie sich dafür, wie weitere Künstler mit ihren Erkrankungen gelebt haben? Dann freuen Sie sich auf den nachfolgenden Beitrag zu Jörg Immendorff (1945-2007) am Montag, den 23. Mai 2011.
Quellen:
- Behrendt, E.: „Freiheit zum lauten Denken: In der Rohfassung seiner ‚Kirche der Angst‘ schärft Christoph Schlingensief seine Kunst: ‚Der Zwischenstand der Dinge‘“.
Theaterheute 01/2009
www.kultiversum.de (Abruf: 05/2011). - Behrendt, E.: „‘Natürlich ist mir Jesus nahe‘. Christoph Schlingensief: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein“. Literaturen 07/2009
www.kultiversum.de (Abruf: 04/2011). - Deutsches Krebsforschungszentrum (dkfz)/Krebsinformationsdienst: „Lungenkrebs: Informationen für Patienten und Angehörige“.
www.krebsinformationsdienst.de/index.php (Abruf: 05/2011). - Deutsche Krebsgesellschaft e.V.: Patientenratgeber Lungenkrebs, Berlin 2009.
www.krebsgesellschaft.de (Abruf: 05/2011). - Deutsche Krebshilfe: Lungenkrebs.
Aus der Reihe: „Die blauen Ratgeber“ (Stand: 01/2010). - Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir, Website zum Stück
www.kirche-der-angst.de (Abruf: 05/2011). - Geschockte Patienten – Wege zur Autonomie.
www.krank-und-autonom.de (Abruf: 05/2011). - Herold, G. et al.: Innere Medizin. Eine vorlesungsorientierte Darstellung. Selbstverlag, Köln 2011.
- Kaiser, S.: WHO’S WHO. The People-Lexicon: “Christoph Schlingensief”
www.whoswho.de (Abruf: 05/2011). - Leischner, H.: BASICS Onkologie. Elsevier, München 2010.
- Marcus, D.: „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir – Eine Schlingensief-Messe in Duisburg. Gott, wo bist Du hingegangen?“
www.nachtkritik.de (Abruf: 05/2011). - Munzinger Online/Personen – Internationales Biographisches Archiv: „Christoph Schlingensief“
www.munzinger.de (Abruf: 04/2011) - Peter, A.: „Der Zwischenstand der Dinge – Christoph Schlingensiefs Kirche der Angst kehrt nach Berlin zurück. Sind wir vielleicht eine Lüge?“
www.nachtkritik.de (Abruf: 05/2011). - Pilz, D.: „Die Messe des unheiligen Christoph. Krankheit, Kunst – Schlingensief bei der Ruhrtriennale in Duisburg“. Neue Zürcher Zeitung AG 09/2008
www.nzz.ch (Abruf: 05/2011). - Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch. Walter de Gruyter, Berlin 2007.
- Robert Koch-Institut/Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V.: Krebs in Deutschland 2005/2006 – Häufigkeiten und Trends. Aus der Reihe: “Beiträge zur Gesundheitsberichtserstattung des Bundes”. Selbstverlag, Berlin 2010.
www.rki.de (Abruf: 05/2011) - Rp-online: „Lungenkrebs: Regisseur Christoph Schlingensief ist tot“. Rp-online (Panorama) 08/2010
www.rp-online.de (Abruf: 05/2011). - Schlingensief, Christoph: So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein! Tagebuch einer Krebserkrankung. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009.
- Von der Gönna, L.: „Schlingensief lebte trotzig gegen den Tod an“. Der Westen (Kommentar Kultur) 08/2010
www.derwesten.de (Abruf: 05/2011).