Am 10.Mai 2011 fand in Berlin die Premiere des südafrikanischen Films „Geliebtes Leben“ statt. DAH-Mitarbeiterin Jacqueline Speer war dabei und berichtet von ihren Eindrücken
Hitze liegt über Berlin. Auf dem Marlene-Dietrich-Platz drängen sich Menschenmassen vor dem Musical-Palast. Die Blitzlichter der Fotografen konkurrieren mit der Abendsonne. Eine Filmpremiere wie jede andere? Nicht ganz, denn wo sonst die Stars und Sternchen über den roten Teppich der Berlinale schweben, steht heute ein afrikanisches Mädchen im Mittelpunkt des Interesses. Die Masse schiebt sich die Treppen hoch. Der Moderator begrüßt die Gäste und stellt Regisseur Oliver Schmitz und Produzent Oliver Stoltz vor. Dann gehen die Lichter aus.
Neben mir wischt sich eine Frau mit dem Taschentuch die Augen
Mit den ersten Tönen eines Liedes aus dem Off tauche ich in die etwas beklemmende Atmosphäre des Films ein. Es stellt sich als das Totenlied für die kleine Sara heraus, die in der Nacht zuvor gestorben ist – an Aids, wie sich herausstellen wird. Ich befinde mich inmitten einer fremden und zugleich faszinierenden Welt aus Sonne und Schatten. Die Geschichte geht mir ziemlich nah, ich muss weinen. Saras Schwester Chanda, die Hauptfigur des Films, hat keine Tränen. Das Totenlied führt mich am Ende des Films zurück ins Hier und Jetzt, und nun tröstet es mich. (Eine ausführliche Filmbesprechung hat unser Autor Axel Schock verfasst.)
Tosender Applaus, die Lichter gehen an. Neben mir wischt sich eine Frau mit dem Taschentuch die Augen. Etliche Gäste brauchen etwas Zeit, ehe sie sich wieder heiter gestimmt zeigen können. „Geliebtes Leben“ bewegt die Gemüter.
Ein schüchternes kleines Mädchen im roten Mantel betritt die Bühne
Der Moderator bittet die Film-Crew auf die Bühne. Dann wird’s pompös. Der Moderator zitiert die Schlagzeilen der Titelseiten von Magazinen: „Woman of the year“, „Beste Schauspielerin Südafrikas“. Und endlich betritt Khomotso Manyaka die Bühne: ein schüchternes kleines Mädchen im roten Mantel. Sie genießt sichtlich den Applaus, schlingt aber ihren Mantel immer wieder fest um sich, als wolle sie sich verstecken.
Khomotso kam vor 14 Jahren im Ndlovu Medical Center in Elandsdoorn zur Welt, an dem Ort, wo auch der Film spielt. Ihre Mutter arbeitet seit vielen Jahren in der Klinik. Khomotso sang früher im Aidswaisen-Chor der Stadt. Sie stand noch nie auf einer großen Bühne, hat vorher nie geschauspielert. Trotzdem ist „Geliebtes Leben“ für sie zum Sprungbrett in eine andere Welt geworden.
Was für eine Geschichte: Ein kleines Mädchen aus dem Township wird zum Star! Der nächste Film mit ihr, zusammen mit amerikanischen Schauspielern, steht schon kurz vor dem Dreh. Khomotso besucht seit kurzem die School of Art in Johannesburg.
Engagement im Township
Die Idee für „Geliebtes Leben“ hatten Oliver Schmidt und Oliver Stoltz, unterstützt wurden die beiden von Hugo Tempelmann, ohne den der Film nicht zustande gekommen wäre.
Hugo Tempelmann, ein sympathischer holländischer Arzt mit Lockenkopf, lebt und arbeitet im Township Elandsdoorn. Er und seine Frau Liesje haben hier vor 18 Jahren das Ndlovu Medical Center errichtet, das die medizinische Versorgung für die rund 160.000 Menschen der Region sicherstellt. Über seine Klinik erhalten über 2.500 Patienten mit HIV und Tuberkulose ihre Medikamente, und dort werden sie auch behandelt. Seit 2003 gibt es eine spezielle Mutter-Kind-Klinik, in der HIV-positive Schwangere betreut werden. Fast hundert Prozent der rund 500 Kinder, die seither hier zur Welt kamen, waren nach der Geburt HIV-negativ.
In Elandsoorn ist jede Familie mit dem Thema Aids konfrontiert
Tempelmann ist gerade dabei, die dritte Klinik in der Region um Elandsdoorn zu eröffnen. Die 2007 von ihm gegründete Hugo-Tempelmann-Stiftung kümmert sich neben der medizinischen Versorgung auch um die Aufklärung über HIV und Aids und um die soziale (Wieder-)Eingliederung der HIV-Patienten.
Der Arzt hatte den gebürtigen Südafrikaner Oliver Schmitz zu einer Recherchereise eingeladen. So kam es, dass der Film in Elandsdoorn angesiedelt wurde. In einer Region, in der jede Familie mit dem Thema HIV/Aids konfrontiert ist und wo über das Thema doch so sehr geschwiegen wird. Wo es Tausende Aidswaisen gibt und auch unzählige Geschichten, wie sie im Film erzählt werden. Diese unmittelbare Betroffenheit merkt man dem Film an, sie gibt ihm Authentizität. Mit seinem Engagement bereitete Hugo Tempelmann aber nicht nur den Weg für „Geliebtes Leben“, sondern auch für Khomotso. A star is born!
Es ist 23 Uhr in Berlin. Die Hitze staut sich noch immer in den engen Schluchten rund um den Potsdamer Platz. Doch jetzt leuchten die Sterne.