Gestern in der Samstags-Sprechstunde

Mir gegenüber sitzt eine unglückliche Frau. Sie betupft sich die Augen und kann kaum sprechen. Es sieht nach Ehedrama, schwer krankem Kind, Tod eines nahen Angehörigen oder Freundes, mindestens aber nach Streit mit der Schwiegermutter aus.
„Nun, erzählen Sie mal, Karin. Was bedrückt Sie denn?“
Ich befinde mich im Stadium des Übergangs, was die Anrede der Patientin angeht. Sie ist zu alt zum Duzen und das Siezen fällt mir noch schwer. Außerdem habe ich mich noch nicht an den neuen Nachnamen gewöhnt.
„Ach, es ist so traurig, gestern die Hochzeit und alles.“
Mir schwant Triviales.
„Sie meinen Kate und William?“
„Ja.“
Schnief.
„Und was ist daran so traurig, dass Sie so weinen müssen?“
Im Grunde bin ich erleichtert, dass es mehr nicht ist, aber was dann folgt, ist schon starker Tobak.
„So etwas wie gestern werde ich fast dreißig Jahre nicht mehr erleben.“
Schnief.
„Aber warum denn nicht?“
„Ja, was glauben Sie denn, wann der nächste britische Thronfolger heiratet? Rechnen Sie doch mal nach. Vielleicht bekommt Kate in ein, zwei Jahren ein Kind, dann muss dieses Kind mindestens Mitte Zwanzig werden, um ins heiratsfähige Alter zu kommen. Dann bin ich über Fünfzig und die ganze Zeit keine Hochzeit wie die gestern.“
Schnief, schnief. – Schnief!

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