Um bereits gesammelte Daten und Biomaterial weiterhin auswerten zu können, will das Kompetenznetz diese bis 2016 aufbewahren. Sinnvoll? Oder hinsichtlich des Datenschutzes ein Risiko? Für Patienten stellt sich die Frage: Drin bleiben oder aussteigen? Wir informieren ab heute im DAH-Blog mit einer Serie über den aktuellen Stand der Dinge und die Perspektiven
Mittlerweile ist es amtlich: Das „Kompetenznetz HIV/AIDS“ steht vor dem Aus. Ende April ist die staatliche Förderung ausgelaufen. Von den über 8.200 HIV-Positiven im Patientenstamm („Kohorte“) können keine weiteren Informationen gesammelt werden.
In diesen Tagen informieren die Ärzte ihre Patientinnen und Patienten über die aktuellen Entwicklungen. Die können sich dann entscheiden, ob sie sofort aussteigen wollen oder ihre Daten sowie Blut- und Gewebeproben weiterhin für die Forschung zur Verfügung stellen.
Darum geht es jetzt: Es soll zumindest noch ausgewertet werden, was vorhanden ist. Zugleich haben Kritiker Zweifel, ob eine Datenauswertung von alternden Daten noch Sinn macht. Zudem stellt sich nach wie vor die Frage der langfristigen Sicherheit der Daten vor dem Zugriff Dritter.
Enttäuschung und Frustration bei der Mitgliederversammlung
Rückblende: Im Jahr 2001 schlossen sich Wissenschaftler, Epidemiologen und AIDS-Fachverbände zusammen, um eine nationale HIV-Kohorte aufzubauen. Das Ziel bestand darin, Daten sowie Bio-Material von einem festen Patientenstamm über längere Zeit zu sammeln und der Forschung zur Verfügung zu stellen. Seit etwa sieben Jahren werden Daten erfasst und Blutproben gesammelt.
Bei der Mitgliederversammlung des Kompetenznetzes im Rahmen der Münchner AIDS-Werkstatt im März dieses Jahres herrschten bei Wissenschaftlern und Community-Vertretern nun Frustration und Enttäuschung vor. Alle Versuche, Geld für die Fortführung der HIV-Kohorte einzuwerben, seien gescheitert, erklärte Professor Norbert H. Brockmeyer, Sprechers des Kompetenznetzes von der Ruhr-Universität Bochum. Die letzte Hoffnung bestehe nun darin, Deutschlands größte Sammlung von Daten und Blutproben HIV-Positiver doch noch in das neu zu gründende „Deutsche Zentrum für Infektionsforschung“ (DZI) unterzubringen (siehe dazu den Bericht im Kompl@t 2/2010).
Zentren wie dieses werden derzeit – quasi als Nachfolger der Kompetenznetze – mit hohem finanziellem Aufwand vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gegründet (siehe Bericht in der Ärztezeitung).
Die Uni Bochum, Träger der HIV-Kohorte des Kompetenznetzes, hat sich 2010 darum beworben, Teil des DZI zu werden. Dies hätte eine langfristige Absicherung der HIV-Kohorte und ihrer Verwaltungsstruktur bedeutet. Doch die Bewerbung scheiterte. Trotzdem versuchte das Steering Committee (Leitungsgremium) des Kompetenznetzes in den letzten Wochen nochmals, zumindest Teile der HIV-Kohorte dort einzubringen. Doch große Hoffnung mache er sich da nicht mehr, sagte Brockmeyer in München.
Das Ende der deutschen HIV-Kohorte dürfte besiegelt sein
Das Ende der HIV-Kohorte dürfte damit besiegelt sein. Die Kosten für Dateneinspeisung, Verwaltung und Datenauswertung betragen jährlich ca. 1,2 Millionen Euro: ein Betrag, der über Spenden kaum einzuwerben ist.
Gleichwohl wollen die Wissenschaftler den über Jahre gesammelten Datenschatz nun nicht einfach vernichten. Immerhin kostete der Aufbau des Forschungsnetzes über 18,6 Millionen Euro und einige Forschungsprojekte sind noch im vollen Gange. Zudem erhielte die Geschäftsstelle, so Brockmeyer, weiterhin Anfragen zur Lieferung von Daten und Materialproben für nationale oder international vernetzte Forschungsvorhaben. In einer Telefonkonferenz mit dem Patientenbeirat erklärte er, dass dies seiner Auffassung nach noch maximal 2 Jahre so weitergehen wird.
Die Mitgliederversammlung beschloss, die Daten und das Biomaterial vorerst nicht zu vernichten, sondern weiterhin zugänglich zu halten. Um Kosten zu sparen sollen dabei die bisher an unterschiedlichen Orten aufbewahrten Blutproben zentral gelagert werden. Die Uni Bochum, die bisher schon die Geschäftsstelle des Netzwerks beherbergt hat, wird laut Brockmeyer die Finanzierung der Lagerung übernehmen.
Neben Stromkosten für Gefrierschränke und Rechner geht es dabei auch um eine Art „Basis-Struktur“ für die Verwaltung. Bis Ende 2011 ist noch ein Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Projekt zuständig. Danach sollen Datenauswertungen über Honorarverträge geregelt werden.
Ruhr-Uni Bochum ist weiterhin zuständig für Datensicherheit
Sollten tatsächlich keinen neuen Patientendaten eingepflegt werden, sinkt der wissenschaftliche Wert der HIV-Kohorte von Jahr zu Jahr. Irgendwann lohnt sich die Finanzierung selbst einer Minimalstruktur nicht mehr.
Auf Betreiben des Patientenbeirates und der Deutschen AIDS-Hilfe hat das Steering Committee ein verbindliches Schlussdatum festgelegt, das sich streng an der Einwilligungserklärung der Studienteilnehmer orientiert: Spätestens zum 30.06.2016 werden alle Daten und das gesamte Biomaterial vernichtet. Kommen bereits vorher keine wissenschaftlichen Anfragen mehr, kann das Steering Committee auch eine frühere Vernichtung beschließen.
Für die Sicherheit der Daten und des Biomaterials sowie die spätere Vernichtung ist die Uni Bochum verantwortlich.
Vom Ende der Kompetenznetz-Förderung ist auch das Projekt der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) zur Information der Studienteilnehmer betroffen. Der Vertrieb des Patientennewsletters „KompL@t“ wird Ende April eingestellt, ab Mai 2011 wird die DAH im Kompetenznetz nicht mehr vertreten sein. Somit werden wir das Kompetenznetz auch nicht mehr bei der Weiterentwicklung seines Datenschutzkonzeptes beraten können.
Studienteilenehmer stehen vor der Wahl: weitermachen oder aussteigen?
Da sich mit Wegfall der Verwaltungsstruktur und Beendigung der kontinuierlichen Datenerfassung das Gesamtprojekt in großen Zügen verändert, ist es verständlich, dass sich viele Studienteilnehmer nun fragen, ob sie weiterhin ihre Daten und ihr Biomaterial zur Verfügung stellen sollen.
Für die Wissenschaftler im Netz ist klar: Ein Ausstieg jetzt wäre unsinnig, da einige Datenauswertungen noch laufen und andere gerade in der Entwicklungsphase sind. (Überblick aller aktueller Studien findet sich auf kompetenznetz-hiv.de. Eine Auswahl im Kompl@t 3/2010.)
Für Studienteilnehmer stellen sich aber noch Fragen darüber hinaus: Einige äußerten in Aidshilfe-Veranstaltungen ihre Sorge, dass Blutproben oder sensible Patientendaten in einem Netzwerk ohne professionelle Verwaltungsstruktur auch in unberechtigte Hände fallen könnten.
Hier gilt es abzuwägen. Daten und Biomaterial sind in der Uni Bochum über die üblichen Schutzmechanismen universitärer Forschung gesichert. Die Erfassnung und Speicherung erfolgt pseudonymisiert (codiert mit einer fortlaufenden Nummer). Die Forscher des Kompetenznetzes haben also keine personenbezogenen Daten zu den Blutproben und Biomaterialproben. Nur der behandelnde Arzt kann eine Zuordnung von Namen und Pseudonym herstellen. (Eine genaue Darstellung des Datenschutzkonzeptes findet sich auf kompetenznetz-hiv.de). Zugang zu Proben und Daten haben zudem nur Personen, die vom Steering Committee eine Berechtigung erhalten.
Brisante Debatte um genetische Forschung und Datensicherheit
Gleichwohl ist die Debatte um genetische Forschung nach wie vor sehr brisant. Könnte es sein, dass irgendwann in der Zukunft Staat, Versicherungen oder Arbeitgeber doch irgendwie Zugriff auf Forschungsdaten bekommen? Der nationale Ethikrat hat sich der Thematik angenommen und veröffentlichte im Juni 2010 eine Stellungnahme zur Biobankforschung. Er weist darauf hin, dass Forschungsdaten – anders als die Patientenakten des Arztes – nach wie vor im Rahmen juristischer Verfahren beschlagnahmt werden können. Forscher unterliegen auch nicht der Schweigepflicht. Der nationale Ethikrat fordert deshalb ein eigenes Biobankengeheimnis. (Wir berichteten im Kompl@t 3/2010).
Derlei hat der Gesetzgeber bisher nicht umgesetzt. Verbindliche Gesetze zum Schutz der Rechte von Patienten sind wichtig, denn die Biomaterialforschung wird immer internationaler und genetische Informationen wecken mit unter auch kommerzielle Begehrlichkeiten.
Sich als einzige Sicherheit auf die Pseudonymisierung oder Anonymisierung von Daten zu verlassen, reicht nicht aus. Denn ab einer gewissen Menge an Einzeldaten steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch bei anonymisierten Datensätzen über „Daten-Matching“ (das heißt, dass unter Zuhilfenahme weiterer Datenbanken und ausreichenden Rechnerkapazitäten) die jeweilige Person identifiziert werden kann. Über Referenzmaterial (Vergleichsproben) ist schon heute eine Identifizierung von anonymisierten Biomaterialproben möglich. (Deutscher Ethikrat, 2010, S. 11f). Die Einwilligungserklärung der Studienteilnehmenden im Kompetenznetz erlauben eine solche Forschung jedoch nicht.
Die gute Nachricht: Kein Studienteilnehmer muss sich in den nächsten Wochen entscheiden. Wer nichts tut, wird einfach weiter teilnehmen. Wer aussteigen will, kann dies seinem Arzt direkt mitteilen. Zum Vorgehen informiert der „Brief an die Studienteilnehmer“.
(tau)
Das Geschehen im Kompetenznetz kommentieren im Verlauf dieser Woche Bernd Vielhaber, Corinna Gekeler und Siegi Schwarze. Der nächste Beitrag erscheint am Mittwoch, dem 18.5.2011. Ab 20.5.2011 hier: Download von Antragsformularen an die Geschäftsstelle des Kompetenznetzes.