Das Aus des Kompetenznetzes bedeutet nicht das Ende der HIV-Forschung in Deutschland. Gerade fiel der Startschuss für das Deutsche Institut für Infektionsforschung, das aber ohne eigenen Patientenstamm auskommen muss. Auch beim Thema Beteiligung von Menschen mit HIV wird es zu einem Rückschritt kommen. Steffen Taubert über die nahe Zukunft und Restrisiken
Die Förderung des Kompetenznetzes endet und damit – wie es derzeit aussieht – auch das ehrgeizige Projekt einer nationalen HIV-Kohorte, also einen Patientenstamm, dessen Daten kontinuierlich erfasst werden. Heißt das nun, wie Bernd Vielhaber in seinem Kommentar schreibt, dass die Forschung wieder ganz in die Hände der pharmazeutischen Industrie gelegt wird? Das sicherlich nicht. Nach wie vor gibt es zahlreiche öffentliche Ausschreibungen zu Grundlagen- und Gesundheitsforschung, an denen sich Forscher mit guten Ideen beteiligen können. Gerade erst wurde der Startschuss für das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZI) gegeben, das künftig neue Therapieansätze, Impfungen und Medikamente gegen Krankheitserreger entwickeln soll.
Ein struktureller Neuanfang für die HIV-Forschung?
Von den Zielen her ist das DZI ähnlich angelegt wie die vielen Kompetenznetze der Medizin. Auch hier soll es um die Vernetzung von Forschung zum Wohle der Patienten gehen. Beteiligt sind Hochschulen, Kliniken und Forschungszentren an sieben Standorten in ganz Deutschland.
Auch wenn es beim DZI um viele unterschiedliche Infektionserkrankungen geht, scheinen die Politiker mit der erneuten millionenschweren Förderung einen strukturellen Neuanfang bei der Förderung der HIV-Forschung zu planen. Ade Kompetenznetz – willkommen im DZI.
Die HIV-Kohorte – so entschieden es die Gutachter im vergangenen Jahr – hat im neuen Verbund jedoch keinen Platz. Um langfristige Entwicklungen der HIV-Erkrankung und ihrer Behandlung beschreiben zu können, werden deutsche Forscher sich in Zukunft wohl wieder mehr auf die Kohortendaten anderer Länder oder die wesentlich kleinere Clin-Surv-Kohorte des Robert-Koch-Instituts verlassen müssen.
Löst die Neugründung die Probleme, die zum Scheitern des Kompetenznetzes geführt haben?
Man mag sich fragen, ob mit der Gründung des DZI jene Probleme gelöst werden, die zum Scheitern des Kompetenznetzes führten. Auch das DZI wird eine verlässliche, auf längere Zeit angelegte Finanzierung benötigen, um unabhängige Forschung betreiben zu können. Konkurrenz und Machtkämpfe werden auch dort die Verantwortlichen auf die Probe stellen.
Und eines scheint schon jetzt klar: Patientenbeteiligung war und ist beim DZI kein Thema. Angesichts der Partizipationsidee ein eindeutiger Rückschritt.
Unberührt von der Gründung des DZI bleibt das Kompetenznetz HIV/AIDS – mit einem sehr eingeschränkten Budget aus Spenden und kleineren Fördersummen – vorerst erhalten. Macht die Datenhaltung noch einen Sinn, wenn nichts mehr aktualisiert wird? Mögen auch die Daten recht schnell veraltet sein, so könnten die Blutproben vielleicht auch in einigen Jahren noch interessant sein. Der derzeitige Hype beim Aufbau von vernetzten Biomaterialbanken belegt das große Interesse der Wissenschaft an solchen Proben.
Ob der einzelne Patient in derart vernetzten Strukturen jedoch noch Kontrolle darüber hat, wer mit seinem Blut an welchem Projekt arbeitet, ist mehr als fraglich. Derzeit steht das Kompetenznetz noch recht gut da. Durch Mitarbeit im Leitungsgremium (Steering Committee) können sich Patientenvertreter einen verhältnismäßig guten Überblick über die laufenden Forschungsprojekte verschaffen. Die Weitergabe von Blutproben an externe Partner erfolgt nur nach Zustimmung des Leitungsgremiums. Es bleibt zu hoffen, dass dies so bleibt, wenn nun eine „bezahlte Verwaltungsstruktur“ abgebaut wird.
Umgang mit Restrisiken des Kompetenznetzes liegt in der Hand der Patienten
Droht Missbrauch der Daten und des Biomaterials? Wie bei vielen Dingen im Bereich HIV/Aids geht es bei dieser Frage um die Bewertung von Risiken. Die Patienten haben das unumstößliche Recht zu entscheiden, wie sie damit umgehen wollen. Sie dürfen jederzeit verfügen, was mit ihren Daten und Proben geschieht. Wer aussteigen will, kann dies mit einem Formular dem Arzt mitteilen, wer weiter teilnehmen möchte, braucht nichts weiter zu tun.
Steffen Taubert ist Mitarbeiter der Deutschen AIDS-Hilfe und war bis Ende April deren Projektkoordinator für das Kompetenznetz
Antrag auf Löschung der Daten und Vernichtung des Biomaterials
Bisher erschienen:
“Das Ende nach 18,6 Millionen Euro” von Steffen Taubert (Deutsche AIDS-Hilfe)
“Die Hoffnung stirbt zuletzt” von Siegi Schwarze (Mitglied im Patientenbeirat und Patientensprecher im Kompetenznetz HIV/AIDS)
“Kohorte der Kohorte wegen?” von Corinna Gekeler
“Setzen, sechs” von Bernd Vielhaber
“Raus bevor’s ganz dicke kommt” von Carsten Schatz