Mit 70 Jahren gelten die Patienten auf so mancher Station noch als jung – das Durchschnittsalter in der Geriatrie zum Beispiel liegt heutzutage wohl bedeutend höher. Doch während – und gerade weil – das medizinische Personal im Krankenhaus nur die Menschen sieht, die durch Krankheit oder Alter beeinträchtigt sind, scheinen einige von ihnen für die Schätze des Alters blind geworden zu sein.
Gefängnis Altersheim
Vergangenen Mittwoch sah ich in der ARD den Film „Die Spätzünder“. In diesem geht es um Senioren, die in einem Pflegeheim „abgestellt“ wurden. Mit tragikomischen Sprüchen wie „Womit will man uns denn bestrafen? Mit dem Tod? Lebenslänglich haben wir doch schon!“ wird die Situation dieser Menschen umrissen. Die Leiterin des Heims spricht sogar von „Insassen“.
In die Ruhe und Monotonie des Altersheims platzt der vorbestrafte Musiker Rocco, der im Heim seinen Sozialdienst absolvieren soll und die Situation nicht hinnehmen will. Nach einigem Hin und Her gründet er mit den Senioren eine Band, die mit ihrer Interpretation von „Life is live“ bei einem Bandwettbewerb den ersten Preis gewinnt.
Dieser Film sollte meiner Meinung nach zum Pflichtprogramm für jeden Menschen werden, der im Gesundheitssystem tätig ist. Er ist für mich weit mehr als eine Tragikomödie, zeigt er doch in vielen Facetten essentielle Probleme unserer Gesellschaft im Allgemeinen und unseres Gesundheitssystems im Speziellen: Zum einen werden „die Alten“ ignoriert, zum anderen maßen sich einige jüngere Menschen an, zu wissen, was gut für die Älteren ist.
Unschätzbare Werte
Die Ignoranz zeigt sich in allen Gesellschaftsbereichen: Älteren Menschen wird vorgeworfen, nicht mehr flexibel zu sein und sich nicht an neue Technik anpassen zu können und wollen. Daher verlieren sie eventuell ihre Arbeit und werden durch jüngere Menschen ersetzt. Dass jedoch Lebenserfahrung und das über Jahre angehäufte Wissen einen unschätzbaren Wert haben und gerade wir „fortschrittlichen“ jungen Leute davon viel lernen können, rückt nur langsam in unser Bewusstsein.
Ich persönlich finde es schlimm, dass Ärzte in der klinischen Routine kaum Zeit haben, sich mit den Patienten zu unterhalten, wobei gerade die Älteren oft ein großes Redebedürfnis zeigen. Und es schockierte mich, als ich als PJler gesagt bekam: „Sobald die Patienten abschweifen, musst du sie unterbrechen. Wenn du ihnen nicht ins Wort fällst, brauchst du viel zu lange, um die relevanten Informationen zu bekommen.“ Nach Dienstschluss nutze ich deshalb oft noch die Möglichkeit, mit Patienten spannende Gespräche zu führen.
OPs für alte Menschen zu teuer
Auch die Einstellung manch junger Menschen im Gesundheitssystem zeigt, dass sie sich kaum mit dem Alter beschäftigen. Da scheint der Rüffel für den Patienten, der eine Stunde zu früh zu seinem Termin erscheint, noch harmlos: Ich erinnere mich an eine Szene, wo die Stationsärztin beschlossen hat, dass ein älterer Patient keinen Herzschrittmacher brauche, obwohl eine Implantation aus medizinischer „Sicht“ indiziert und möglich gewesen wäre. Nachdem sie bei der Aufklärung die Nachteile und Risiken eines solchen Gerätes ausgiebig dargelegt hatte, lehnte der Patient die Implantation dann tatsächlich auch ab.
Alte „bringens“ nicht mehr?
Leider ist die Einstellung „Alte Menschen kosten Geld und ‚bringens’ nicht mehr.“ sehr verbreitet. Als Gegenbeispiel möchte ich daher meinen Großvater erwähnen: Er feiert in Kürze seinen 80. Geburtstag. Zwar hat er keine Band gegründet, dafür allerdings vor wenigen Jahren eine Windmühle im Maßstab 1:7 nachgebaut – mit kompletter Mechanik und Mühlstein. Wenn ich ein Problem habe, unterhalte ich mich gerne mit ihm darüber. Mit seiner Lebenserfahrung schätzt er viele Dinge ganz anders ein als ich es tun würde und eröffnet mir damit völlig neue Blickwinkel. Im Gegenzug erörtere ich mit ihm seine medizinischen Probleme. Denn ich kenne seinen großen Wunsch: Er möchte gerne hundert werden.
„So sind aber nicht alle Älteren. Manche können und wollen auch nicht mehr aktiv sein“, sagen Sie? Das ist vollkommen richtig, und diese Ansicht kann auch respektiert werden. Aber warum sollen immer die Negativbeispiele ins Bild geführt werden? Dann könnte man ja als Repräsentant meiner Generation auch diejenigen Faulenzer aufführen, die durch die Reality-Sendungen gewisser Sender geistern.
Wie im Film?
In dem oben genannten Film werden sicher einige Punkte etwas überzeichnet und polarisierend dargestellt, aber dem aufmerksamen Zuschauer kommt hier und da der Gedanke: „So ist es leider wirklich.“
Joachim Fuchsberger, der in dem Film eine Hauptrolle spielt, fasst die Beziehung von Alter und Medizin so zusammen: „Ich fühle mich so alt, wie mein Arzt gut ist.“
Denkt mal darüber nach!