Zwischen Selbstbewusstsein und Entgrenzung

Nackter Cowboy

(Foto: Bruno Gmünder)

Die Geschichte der schwulen Pornografie ist auch die Geschichte der wachsenden Selbstverständlichkeit von schwuler Sexualität. Wie der neue Band „Porn. From Andy Warhol to X-Tube“ von Kevin Clark zeigt, spielt Bareback-Sex dabei eine immer größere Rolle. Axel Schock hat sich das Buch für uns angesehen.

Pornografie gehört zum schwulen Leben so selbstverständlich wie die Regenbogenfahne, der Kurzhaarschnitt und Madonna nebst Barbra Streisand. Im gleichen Maße wie die Schwulen seit den 1960er Jahren ihrer Sexualität frei und selbstbewusst zu leben lernten, entwickelte sich auch ein selbstverständlicher Umgang mit der Pornografie.

Kevin Clarke zeichnet diese Geschichte in seinem voluminösen Band „Porn. From Andy Warhol to X-Tube“ anhand kompakter kulturhistorischer Abrisse sowie Interviews mit Menschen aus der Branche und reichlich Bildmaterial eindrucksvoll wie unterhaltsam nach.

Wir erfahren, dass zwar der Konsum und damit die Nachfrage gerade in den letzten beiden Jahrzehnten weiter gestiegen sind, während die Umsätze der Produzenten jedoch im gleichen Maße sinken. Der Pornoindustrie ergeht es wie der Film- und Musikindustrie: Im Internet lässt sich längst kostenlos finden, was früher noch teuer gekauft werden musste. Es sind aber nicht nur die Raubkopien, die der Branche zu schaffen machen: Die Konsumenten werden selbst zu Akteuren, stellen Selbstproduziertes in entsprechenden Foren ein und sorgen gewissermaßen für eine „Demokratisierung“ der Pornografie – und nebenbei auch für ein authentischeres Abbild von Köper und Sex, als es die Hochglanzprodukte der Industrie in der Regel sind.

Allerdings hat in den vergangenen Jahren noch eine weitere entscheidende Veränderung auf dem Markt stattgefunden. Waren ab den 1990er Jahren – anders als in der heterosexuellen Pornografie – schwule Pornoprodukte ohne Kondome weitgehend verpönt und wurden von vielen Großhandelsfirmen sogar dezidiert nicht vertrieben, sind Bareback-Filme inzwischen zum neuen, großen Geschäft geworden.

Foto aus dem Bildband

(Foto: Bruno Gmünder)

Autor Kevin Clarke, seit kurzem Redakteur des Schwulenmagazins „Männer“, unterteilt Barebacker in zwei Gruppen: die eine, präventionsmüde, fühle sich jung und gesund genug, um in einem vermeidlichen geschlossen Zirkel von „sauberen“ Darstellern auf das Kondom verzichten zu können.

Die zweite Gruppe hingegen zelebriere Bareback-Sex in einer Art Paralleluniversum, in der es des Schutzes nicht mehr bedürfe, da die meisten Protagonisten ohnehin HIV-positiv seien oder für sie eine mögliche Infektion nicht als bedrohlich betrachtet werde.

Während bei Porno-Produktionsfirmen wie Bel Ami die jungen Darsteller vor der Kamera ihren gewohnten sexuellen Verrichtungen nachgehen – nur dass eben auf safer Sex verzichtet wird – inszenieren Labels wie Hot Desert Knights, Satyr Films und insbesondere Treasure Island Media in ihren Videos einen dezidierten Kult um Sperma, sexuelle Entgrenzung und exzessive unsafe Praktiken.

Die Konzeption des Buches ließ es wohl nicht zu, das Thema Bareback-Pornografie breiter anzugehen.

Zu diskutieren wäre beispielsweise, welche moralische Verantwortung Regisseure und Produzenten gegenüber ihren Darstellern haben, die sich unter Umständen durch die Dreharbeiten einer Infektion aussetzen. Gleiches gilt für schwule Medien (wie etwa die Internetplattform queer.de oder die Magazine „Blue“ und „Männer“), die Bareback-Produkte ganz selbstverständlich in ihrem redaktionellen Teil bewerben, ohne näher darauf einzugehen.

Buchcover

(Foto: Bruno Gmünder)

Dass viele der (oftmals heterosexuellen) Darsteller aus osteuropäischen Ländern sich allein aus finanziellen Gründen an diesen Produktionen beteiligen und sich der möglichen Infektionsrisiken kaum bewusst sind, hat der Filmemacher Markku Heikkinen 2009 in seiner Dokumentation „All Boys. Das Geschäft mit den osteuropäischen Jungs“ (auf DVD erschienen bei Salzgeber Medien) recht eindrucksvoll belegt. Die in Prag ansässige, weltweit sehr erfolgreich operierende Firma „Bel Ami“ etwa versichert auf ihrer Website, dass man, obgleich das Infektionsrisiko in der tschechischen Republik und der Slowakei äußerst gering sei, die Darsteller selbstverständlich regelmäßig testen lasse. Ob nach einem HIV-Test die Modelle die altbekannte Zwölf-Wochen-Frist bis zu einem möglichen Nachweis von Antikörpern bei einer Neuinfektion in sexueller Enthaltsamkeit leben müssen und was mit den Akteuren nach einem positiven Ergebnis passiert, darüber schweigt sich das Unternehme hingegen aus.

Ein weiterer diskussionswürdiger Punkt, der in Kevin Clarks Geschichte der Pornografie leider ausgeklammert bleibt, ist die Frage, ob der Konsum von Bareback-Videos wiederum die Hemmschwelle zu unsafe Sex senkt oder der Zuschauer stets zwischen pornografischer Fantasie und sexueller Eigenverantwortung zu unterscheiden vermag.

Axel Schock

Kevin Clarke: „Porn. From Andy Warhol to X-Tube“,, 255 Seiten, Farbe, Hardcover mit Schutzumschlag, Bruno Gmünder Verlag, 39,95 Euro.

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