30 Jahre HIV | Heilung in Sicht?

zwei Augenpaare

(Foto: Klaus-Uwe Gerhardt; pixelio.de)

Bei kaum einer Krankheit hat die medizinische Forschung so schnell derart große Fortschritte gemacht wie bei HIV. Stehen wir nach 30 Jahren vor der Heilung?

Der in Berlin lebende 44-jährige US-Bürger Timothy Ray Brown ist mittlerweile so bekannt, dass Wissenschaftler nur noch vom „Berliner Patienten“ sprechen. Der Grund: Er hatte HIV. Seit bald vier Jahren ist das Virus aus seinem Körper verschwunden, obwohl er keine HIV-Medikamente mehr nimmt. Er ist von der HIV-Infektion geheilt.

Und das kam so: Dem seit 1995 HIV-positiven Patienten wurde wegen einer Leukämie-Erkrankung fremdes Knochenmark transplantiert. Dabei zeigten die Ärzte der Berliner Charité, dass sie sich nicht nur mit Krebs, sondern auch mit HIV auskennen: Sie suchten unter den möglichen Spendern einen, der gegen eine HIV-Infektion immun ist. Bei etwa einem Prozent der Menschen nordeuropäischer Abstammung hat das Virus keine Chance, weil es wegen eines leicht veränderten CCR5-Rezeptors nicht an die Immunzellen andocken kann. Die Forscher fanden einen passenden Spender – und konnten Brown so heilen.

„Eine Heilung der HIV-Infektion ist prinzipiell möglich“

„Die Geschichte des Berliner Patienten ist der Beweis dafür, dass eine Heilung der HIV-Infektion prinzipiell möglich ist“, betont Armin Schafberger, Medizinreferent der Deutschen AIDS-Hilfe. „Das Forschungsziel ist nun klar vorgegeben. Wir wissen, dass und wie die Heilung zu schaffen ist. Jetzt müssen wir nur noch den besten Weg dorthin finden.“

Eine Stammzelltherapie wie bei Timothy Ray Brown kommt als HIV-Therapie nicht in Frage. Der Austausch der Stammzellen ist ein lebensgefährlicher Eingriff – etwa ein Drittel aller Patienten stirbt daran. Aber wie sonst bekommt man immune Zellen in den Körper eines HIV-Positiven hinein? Die Forscher setzen auf Gentherapien. Zwei Ansätze wecken derzeit das Interesse der Fachwelt.

Die Forscher setzen auf Gentherapien

Die Stammzellen von HIV-Patienten könnten im Labor so umgebaut werden, dass sie fortan Immunzellen mit jenem seltenen Gendefekt produzieren, der einen winzigen Teil der Menschheit vor HIV schützt. Man kann bereits heute Immunzellen entnehmen, ihren CCR5-Rezeptor gentherapeutisch verändern und sie dann wieder dem Patienten per Infusion zuführen. Wenn dies auch mit blutbildenden Stammzellen gelänge, rückte eine dauerhafte Heilung von HIV in greifbare Nähe.

Einen anderen Ansatz verfolgt das Hamburger Heinrich-Pette-Institut für Experimentelle Virologie: Dort wird versucht, bereits infizierte Zellen von HIV zu befreien. Bislang galt es als unmöglich, solche Zellen zu reparieren, weshalb alle anderen Forschungsansätze auf ihre Zerstörung zielen. Nicht so die Hamburger Forscher: Mittels Gentherapie bringen sie eine „Genschere“ in die menschliche Zelle ein. Diese erkennt die HIV-Erbgutstränge, schneidet sie aus dem menschlichen Erbgut heraus und „klebt“ die menschlichen Genstränge wieder zusammen. Bei Mäusen, denen man zuvor ein menschliches Immunsystem transplantiert hatte, funktionierte das. Wie die Stammzellveränderung befindet sich auch dieser Ansatz noch in einem sehr frühen Stadium der klinischen Forschung.

Man weiß noch nichts über die Langzeitwirkung dieser Ansätze

Der Haken an der Sache: Wie bei allen gentherapeutischen Ansätzen weiß man noch nichts über ihre Langzeitwirkung. „Im schlimmsten Fall könnten die genveränderten Zellen irgendwann entarten und Krebs auslösen“, erklärt DAH-Medizinreferent Armin Schafberger.

Trotzdem sind HIV-Experten zuversichtlich wie schon lange nicht mehr. „Erstmals wagen wir, auf Heilung zu hoffen“, schwärmte James Hoxie, Direktor des Penn Zentrums für HIV-Forschung an der Universität von Pennsylvania, gegenüber Focus. Hoxie ist ein führender Wissenschaftler in Sachen HIV-Gentherapie – und hat selbst den Gendefekt, der gegen HIV immun macht. Jan van Lunzen, HIV-Experte am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), zeigte sich im Stern verhalten optimistisch: Die Behandlung von Patienten sei noch Zukunftsmusik. „Wann wir eine solche Behandlung anbieten können, ist unklar.“

Schlafende Zellen wecken

Etwas im Schatten der spektakulären Gentherapien untersuchen Wissenschaftler eine weit weniger spektakuläre Heilmethode. Sie soll sich die positive Wirkung der gegen HIV gerichteten Behandlung zunutze machen. Bei konsequent befolgter Therapie unterdrücken die antiretroviralen Medikamente nämlich die HIV-Vermehrung – und zwar vollständig, wie man heute vermutet. Das Problem bisher: Infizierte Zellen tragen weiterhin den Bauplan für neue Viren in ihrem Zellkern. Sobald die Medikamente abgesetzt werden, beginnt die Erregerproduktion von Neuem.

Nun leben die aktiven Immunzellen meist nur wenige Tage. Man könnte also abwarten, bis die infizierten Zellen sterben und vom Immunsystem abgeräumt werden. Allerdings gibt es auch „ruhende“ Zellen mit jahrzehntelanger Lebenserwartung. Bis auch die letzte abgestorben ist, vergehen nach theoretischen Modellen etwa 70 Jahre. Die Forscher versuchen nun, diesen Zeitraum bis zur Heilung deutlich zu verkürzen, indem sie zum Beispiel ruhende Zellen aktivieren: Als aktive Zellen hätten sie eine sehr viel kürzere Lebensdauer – und durch die HIV-Medikamente könnten sie trotzdem keine neuen Viren produzieren.

„Wenn man Medikamente oder Botenstoffe entwickeln könnte, die schlafende Immunzellen aufwecken können, wäre das wahrscheinlich die einfachste Methode, um das HIV-Virus in einem bestimmten Zeitraum vollständig aus dem Körper zu entfernen“, meint Armin Schafberger.

Impfung: ein aussichtsloses Unterfangen?

Dank der schwierigen Behandlung, die Timothy Ray Brown durchgestanden hat, herrscht wieder Optimismus unter den HIV-Medizinern. Nur ein Instrument der Krankheitsbekämpfung wird wohl in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung stehen: ein Impfstoff gegen HIV. Dafür ist das Virus zu wandlungsfähig.

„Es gibt immer mehr und dabei höchst unterschiedliche HIV-Varianten. Die Forschung kommt kaum hinterher“, erklärt Schafberger. HIV hat so viele Varianten, dass jedes Jahr nachgeimpft werden müsste – ähnlich wie bei Grippeviren, nur dass die Vielfalt bei HIV noch deutlich größer ist. Zudem müssten je nach Weltregionen unterschiedliche Impfstoffe eingesetzt werden. „Diese Typenvielfalt macht es beinahe unmöglich, einen wirkungsvollen Schutz vor einer HIV-Infektion zu entwickeln.“

Philip Eicker

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