Jeder pharmakologisch tätige Mediziner kennt das. 64% aller Medikamente werden von Patienten eingenommen, die älter als 60 Jahre sind. Viele von ihnen nehmen 5 oder mehr verschiedene Medikamente ein. Trotz diesem erhöhten “Konsum” gibt es allerdings kaum Studien mit älteren Patienten. Die meisten Studien müssen daher sozusagen extrapoliert werden. Bei >70 jährigen ist jede vierte Klinikeinweisung aufgrund von unerwünschten Arzneimittelwirkungen notwendig. 10.000-60.000 Arzneimitteltote soll es jährlich in Deutschland geben. Dringende Gründe also diese Problematik einmal näher zu beleuchten. “Arzneimitteltherapie für Ältere” erklärt, welche Faktoren bei Patienten über 65 Jahre zu beachten sind und zeigt einen Weg zur sicheren Therapie.
Ältere Menschen haben eine geringere Muskelmasse, dafür mehr Fett und eine eingeschränkte Nierenfunktion. Zudem können Kognition, Visus und manuelle Feinmotorik eine mangelnde oder falsche Arzneimitteleinnahme begünstigen. Schon mal darüber nachgedacht, dass beispielsweise ein “kindersicheres” Fläschchen einfach nicht geöffnet werden kann?
Diesen Tatsachen sollten sich alle Ärzte stellen, die Medikamente verschreiben. Und das sind nunmal ziemlich viele, vorwiegend aber natürlich internistisch oder allgemeinmedizinisch tätige Doktoren. “Der einfache Griff zum Rezeptblock kann eine unübersehbare Kaskade von Ereignissen und Risiken nach sich ziehen und definiert in vielen Fällen nur den Beginn einer anspruchsvollen und langwierigen Begleitung eines chronisch Erkrankten.”
Als allgemeine Leitsätze der Pharmakotherapie im Alter kann man folgende Punkte nennen:
- Niedrige Startdosis mit wenigen, gut bekannten Medikamenten
- zentral wirksame Pharmaka vermeiden (Sturzgefahr, Delir)
- möglichst wenige Kombinationen. NSAR, Phenprocoumon und Digoxin gelten als Spitzenreiter der altersrelevanten Interaktionspartnern
- Information, Behältnissse von Medikamenten gut zu öffnen
- Nieren- und Leberfunktion beachten
- Endpunkte einer Therapie definieren
Die Autoren klären zunächst allgemeine Aspekte der Pharmakotherapie. Im speziellen Teil geht es um altersrelevante einzelne Erkrankungen. Hierbei werden die einzelnen Medikamente bzw. Gruppen jeweils mit den Buchstaben A-D gekennzeichnet. A bedeutet eine klare Empfehlung für eine Pharmakotherapie. D eher nicht. Beispielsweise gehören ACE-Hemmer bei der Behandlung der arteriellen Hypertonie zur Kategorie A. Benzodiazepine hingegen zur Behandlung der Schlafstörung in Kategorie D. Diese Einteilung ist schlüssig und gibt dem therapierenden Arzt eine sinnvolle Empfehlung für Praxis und Klinik an die Hand.
Am Beispiel der Behandlung der arteriellen Hypertonie geben die Autoren demnach folgende Empfehlungen:
- A – ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptor-Antagonisten, langwirksame Kalziumantagonisten vom Dihydropyridintyp
- B – Diuretika, Betablocker
- C – Spironolakton, Alphablocker, Moxonidin
- D – Clonidin, Minoxidil, Kalziumantagonisten vom Verapamiltyp
Auf Folgendes sollte man unbedingt auch achten. Die regelmäßige Einnahme von NSAR induziert in der Regel ein weiteres Antihypertonikum.
Im Schlussteil wird die Pharmakotherapie im Zusammenhang mit geriatrischen Symptomen wie Sturzneigung, Inkontinenz, kognitiven Defiziten und Immobilität beleuchtet. Zudem werden die Begriffe Adherence (Compliance) und Polypharmazie erläutert.
“Pharmakotherapie für Ältere” ist meiner Ansicht nach eine absolute Pflichtlektüre für Ärzte in Klinik und Praxis.
erschienen beim Springer Verlag
Pharmakotherapie für Ältere
Wehling, Martin, Burkhardt, Heinrich
2., vollst. erw. u. aktual. Aufl., 2011, XIV, 284 S. 68 Abb.
Geb., ISBN 978-3-642-17307-3
49,95 €
Artikel von: Monsterdoc