Auslandserfahrungen boomen. Ob als Semesteraufenthalt, zur Famulatur oder im PJ: Jeder will heute irgendwohin – Hauptsache, schön weit weg und so exotisch wie möglich. Willst du mit Bergziegen zusammen in einem Krankenhaus in Guatemala arbeiten oder dich als Famulus in Russland mit Tschapka und Wodka durchschlagen? Alles kein Problem. Es gibt unendlich viele Eckchen der Erde, in die es den weltgewandten Studenten verschlagen kann: Mexiko, Kenia, Jerusalem, Vietnam, China: Den Auswahlmöglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt.
Soweit so gut. Doch mein erster Gedanke dabei ist immer: Wie leisten sich die Leute das? Und vor allem: Was soll das Ganze?
Als ich neulich einen Vortrag über Auslandsaufenthalte besuchte, fielen mir bei der Gesamtsumme des „Spaßes“ fast die Augen raus, denn sie befindet sich im vierstelligen Bereich. So viel Geld, einfach nur, um 7.870,277 Kilometer Luftlinie fern der Heimat jemandem Blut abzunehmen und um in Medizinisch-Ausländischem Kauderwelsch Anamnesen durchzuführen?
Die meisten werden jetzt sicherlich aufschreien: „Aber man wird durch einen Auslandsaufenthalt doch so selbstständig … und die anderen Kulturen, die man kennenlernt!“
Ja. Klar. Kulturen. Sehe ich schon ein. Vor allem wenn man feststellt, dass im selben Krankhaus noch drei weitere – gar nicht mal so unsympathische deutsche Studenten arbeiten, und mit denen kann man sich ja auch so nett unterhalten und seine Zeit verbringen.
Das sind die einen Fälle. Auf der anderen Seite gibt es dann diejenigen, die ins Ausland gehen, um eigentlich ihre Famulatur abzuleisten, aber dann letzten Endes einen kleinen Kurzurlaub aus dem fachlichen Ausflug machen.
“Weil ich das Land so schön finde…”, wie oft habe ich schon diesen Ausspruch gehört auf die Frage, warum es ins Ausland gehen soll und warum gerade nach XY.
Es sollte doch in erster Linie gar nicht um das Land gehen, sondern eher um das, was ich für meinen späteren Beruf lernen kann? Ich spreche nicht nur vom Fachlichen, sondern auch vom sozialen Aspekt.
Wie schon kurz angedeutet, sollten medizinstudentische „Reisewillige“ zumindest beachten, dass sie im Ausland oft eine andere Sprache beherrschen müssen, um sich adäquat im Klinikalltag ausdrücken zu können. Gut, es sei denn man wagt sich nach Österreich, aber das gilt nicht.
Jetzt mal ehrlich: Wie soll man sich denn durch den Klinikalltag kämpfen, wenn man nicht mal die Sprache richtig verstehen und sprechen kann. Es warten schon genügend andere Probleme, die gelöst werden müssen. Gerade in der kürzeren Famulatur lohnt es sich fast gar nicht, in ein Land zu reisen, von dem man gar nicht oder nur rudimentär die Sprache beherrscht. Kaum angekommen und an die Sprache gewöhnt, befindet man sich schon wieder auf dem Rückflug.
Aus diesen Gründen frage ich mich immer wieder, ob es sich wirklich lohnt, für ein oder zwei Monate ins Ausland zu verschwinden?
Anscheinend schon, sonst würde es nicht so viele Medizinstudenten ins Ausland ziehen.
Und was ist der Sinn des Ganzen? Geht es um bessere Karrierechancen?
Aber nur weil man einige Tage, Wochen oder gar Monate im Ausland verbracht hat, bedeutet dies doch noch lange keinen Freifahrtschein für den späteren Job. Es ist heutzutage einfach keine Besonderheit mehr im Lebenslauf. Denn es ist mittlerweile zu einer Art Trend geworden, für eine Weile ins Ausland zu gehen.
Außerdem stelle ich mir immer wieder vor, wie die meisten Medizinstudenten, die einige Zeit des Studiums im Ausland verbracht haben, im Bewerbungsgespräch die Frage beantworten, warum sie dort waren? Etwa mit:
“Ich fand das Land einfach unheimlich interessant.”
“Ich wollte unbedingt mein Spanisch verbessern.”
oder einfach mit einen charmanten Schweigen, weil sie sich nicht wirklich erklären können?
Ich kann dieses Auslandsgetöse einfach nicht nachvollziehen. Ich verspüre nicht den Drang, in die weite Ferne zu reisen.
Ich will nicht mit Fußpilz durch den Dschungel wandern oder von „Montezumas Rache“ heimgesucht werden. Ich möchte einfach nur schön brav in Deutschland bleiben und die dort ansässigen Kliniken unsicher machen.
Hier ziehen ganze Schwärme von Rotaviren durch die Gänge, und man watet durch ein Meer von Bakterien zum nächsten Patienten. Im nächsten Gang weht einem eine Brise frischer Krankenhausluft entgegen.
Also wirklich, ist euch das nicht Exotik genug?
Josefin Umpfenbach ist Medizinstudentin und Via medici-Lokalredakteurin für Halle