Eine Geschichte über chronische Unpünktlichkeit

Sich seine Zeit im Leben richtig einzuteilen wird einem früh gelehrt und schon allein der Anstand gebietet es, pünktlich zu sein. Was passiert jedoch, wenn einem die Großstadt die Macht über dieses kostbare Gut nimmt, sobald man sich in die Hände der öffentlichen Verkehrsmittel begibt? Eine kleine Anekdote über das nervenaufreibende Münchner Verkehrssystem und wie das eingerostete Fahrrad zum kostbarsten Gut unter den eigenen Habseligkeiten wird.

Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige

Die meisten Eltern, Großeltern, Tanten und Onkels sind bemüht, dem Nachwuchs in der Familie wichtige Weisheiten mit auf den Weg ins Leben zu geben. So wollen sie uns zu anständigen und ehrlichen Menschen erziehen.
Mein Vater zum Beispiel brachte mir schon früh bei, die „Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige“. Da Papa bekanntlich immer recht hat und in den Augen eines Kindes unfehlbar ist, wurde mir die eigene Pünktlichkeit zu einem wichtigen Anliegen. Fortan, hatte ich immer die Zeit im Blick.
Pünktlich war ich in der Schule, im Training, beim Friseur- und Arzttermin und auch zu Verabredungen mit Freunden kam ich nie zu spät.
Völlig unverständlich für mein Zeitgefühl und mein jugendliches Weltbild war es deshalb, als es in der Oberstufe plötzlich „angesagt“ war, auf Partys, die um 20 Uhr beginnen sollten, frühestens um dreiviertel neun zu erscheinen.
Es war ein Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte. Denn absolut niemand hatte mich darauf vorbereitet, was passieren würde, als ich mich für ein Medizinstudium in München entschied.
Waren zuvor noch die Anderen die Übeltäter, so machte spätestens diese Stadt mich zur chronisch unpünktlichen Person.

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Foto: Photo Disc

 

Das Vermächtnis des eigenen Berufsbildes

Schon allein das Berufsbild des Arztes wird in den Augen der Bevölkerung mit einem schlechten Zeitmanagement in Verbindung gebracht. Dies bestätigt sich Woche für Woche erneut, wenn wir wieder einmal auf den für uns zuständigen Arzt während unserer klinischen Kurse warten. Hier kann es gut eine halbe Stunde dauern, bis dieser auf der Bildfläche erscheint.
Eigentlich ein totaler Kontrast zu der Tatsache, dass die Professoren nicht selten unerfreut darüber sind, wenn ihre Studenten zu Seminaren nicht rechtzeitig erscheinen. Es wird gemunkelt, dass einige Dozenten Zuspätkommer gar ganz vom Kurs ausschließen. Verspätet sich dieser Dozent dann selbst einmal, hat er selbstverständlich einen triftigen Grund.
Eigen- und Fremdbild scheinen hier nicht immer im Einklang miteinander zu stehen.

Auf die Unpünktlichkeit ist Verlass

Um mich also im Gegensatz zu meiner späteren Berufsgruppe in absoluter Pünktlichkeit zu üben, quälte ich gleich zu Beginn meines Studiums den Münchner Verkehrs- und Tarifverbund-Routenplaner. Meine Anreise zu den verschiedenen Univeranstaltungen war durchgeplant. Ich wusste genau, welches Verkehrsmittel wo zu welcher Zeit für meinen Transport bereit stehen sollte.
„SOLLTE“ ist hier genau das richtige Stichwort, denn eine Variable hatte ich in meiner Rechnung nicht bedacht – den Stadtverkehr von München. Bereits von der ersten Woche an lief nie etwas so, wie es laufen hätte sollen.
Praktisch kein Tag vergeht, an dem es zu keiner Verspätung, Fahrgleisverstellung oder technischen Störung kommt. Die Stammstrecke der S-Bahn ist des Öfteren gesperrt und es kommt zu Staus auf den Gleisen. Ein Phänomen, das ich bisher nur von meinen Autobahnfahrten kannte.
Damit nicht genug, hinzu kommen verkehrsbedingte Ausfälle von Tram und Bus, sodass im Winter bei Schneefall teilweise gar keine Busse mehr fahren oder gleich drei auf einmal. Allzu gerne dauert die Busfahrt auch doppelt so lange wie auf den Fahrplänen angezeigt. Aber wie sollte es auch bei all den Baustellen anders sein?
Wieso ich jeden Monat ein kleines Vermögen für mein Ticket ausgebe, wo ich doch nie dort ankomme, wo ich eigentlich hin wollte und schon gar nicht zur rechten Zeit, ist mir immer noch ein großes Rätsel.

Der K(r)ampf mit Münchens öffentlichen Verkehrsmitteln

Immer häufiger wird der Eindruck in mir wach, dass sich selbst die Busfahrer gegen Münchens Bewohner verschworen haben. Wie wäre es sonst anders möglich, dass sich grundsätzlich dann die Türen schließen, wenn nach einem phänomenalen 100 m-Sprint die hintere Ecke des Busses erreicht ist und die Hände schon sehnsuchtsvoll nach den Griffen in der Tür fassen? Prompt fährt der Bus auch schon los.
Einer weiteren Schikane gleicht es, immer wieder festzustellen, dass selbst die stärksten Bemühungen doch einmal pünktlich zu erscheinen vom Münchener Verkehrschaos gnadenlos niedergeschmettert werden.
Gewissenhaft, wie der zeitbewusste Bürger – also ich – ist, wird eben ein Bus früher als nötig genommen, um allen erdenklichen Verspätungen vorzubeugen.
Nun ist es aber so, dass sich dieser Bus drei Minuten vor der vereinbarten Zeit zur Haltestelle begibt und der potentielle Mitfahrer – das bin erneut ich – gerade noch an der anderen Seite der Ampel steht. Entgegen aller Logik wartet dieser Bus leider keine drei Minuten an der Haltestelle, das würde schließlich bedeuten er entspräche tatsächlich einmal dem Zeitplan. Nein, er fährt weiter, bevor die Ampel auf Grün schaltet und ich ein weiteres Mal meine Sportlichkeit unter Beweis stellen kann.
Es ist wohl vergeblich zu erwähnen, dass der folgende Bus garantiert fünf Minuten Verspätung hat und ich, wie so häufig, zu spät im Seminar erscheine.
Manchmal, aber nur manchmal, geht auch alles gut. Die Verkehrsmittel sind pünktlich, alle Verbindung stimmen und ich komme eine viertel Stunde zu früh in der Uni an, wenn noch kein Mensch da ist.

Zweiräder sind die besten Räder

Nach meinem inzwischen fast zweijährigen “Leidensweg“ komme ich zu folgendem Ergebnis: Das Starren auf die elektronischen Anzeigen an den Haltestellen, die mir eine Ewigkeit vormachen wollen, in „0 Min“ käme das nächste Vehikel, um dann kurze Zeit später auf „2min“ umzuspringen, mache ich nicht mehr mit!
Ich krame jetzt mein Fahrrad aus dem Hinterhof und begebe mich auf zwei Rädern in die Uni. Das ist sowieso gesünder und München lässt sich an der frischen Luft im Sommer auch gleich besser genießen.

 

Marlen Lauffer

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