Es gibt gute Gründe, sich für eine HCV-Therapie zu entscheiden

Interferon in Bauchdecke spritzen

Ein Gastbeitrag von Dirk Schäffer

Aktuelle Studien zeigen, dass 50–90 % der Heroinkonsument(inn)en mit Hepatitis-C-Virus (HCV) infiziert sind. Aber nur etwa 10 % der Behandlungsbedürftigen werden mit Interferon behandelt. Dafür gibt es mehrere Gründe: Viele Suchtmediziner verfügen nicht über die dafür erforderlichen Fachkenntnisse. Auf Virushepatitis spezialisierte Fachärzte wiederum sind oft nur wenig geneigt, Drogenkonsumenten eine HCV-Therapie anzubieten – unter anderem deshalb, weil man diesen Patienten gern mangelnde Therapietreue nachsagt. Dabei ist die Rate langfristiger Behandlungserfolge bei Drogengebrauchern fast genauso hoch wie bei Patienten, die keine Drogen nehmen. Auch viele Substituierte schrecken vor der Therapie zurück, weil in ihrem sozialen Umfeld meist nur von Nebenwirkungen und Behandlungsabbrüchen die Rede ist.

Interferontherapien verlaufen jedoch sehr unterschiedlich. Nicht jede erweist sich als eine Quälerei. Und die heutigen Erfolgsraten von bis zu 90 % (abhängig vom Virus-Genotyp) sollten Grund genug sein, die Interferonbehandlung als Chance zu begreifen.

Trotzdem bedurfte es etlicher Anläufe, bis ich den Einstieg wagte

Vor etwa fünf Jahren entschloss ich mich, eine Interferonbehandlung zu beginnen. Mein Arzt spielte dabei eine entscheidende Rolle. Er konnte mir die Angst vor der Therapie weitgehend nehmen, indem er mir ihre Vorteile aufzeigte. Eigentlich gab es für mich auch keine Alternative, denn die Vernarbung meiner Leber war schon ziemlich weit fortgeschritten. Ohne Behandlung wäre sie irgendwann so sehr geschädigt gewesen, dass es für mich lebensbedrohlich geworden wäre.

Ich hatte Vertrauen zu meinem Arzt, er war fachlich versiert und würde während der Behandlungszeit mein enger Begleiter sein. Diese wichtigen Voraussetzungen für eine HVC-Therapie waren also erfüllt. Trotzdem bedurfte es etlicher Anläufe, bis ich den Einstieg wagte. Da war die Angst vor den Nebenwirkungen – grippeähnliche Symptome wie bei einem Entzug, Haarausfall, Depressionen usw. – und die Sorge, nicht arbeitsfähig zu sein, wenn welche auftreten. Ein Jahr lang würde ich Interferon nehmen müssen, weil ich mit HVC-Genotyp 1b infiziert war, und die Aussichten auf eine vollständige Entfernung des Virus aus meinem Körper lagen bei 50 %.

Ich weiß noch, wie aufgeregt ich vor der ersten selbst verabreichten Injektion war

Ich erhielt eine Kombinationstherapie mit pegyliertem Interferon und Ribavirin. Einmal pro Woche musste ich mir das Interferon spritzen und täglich die Ribavirin-Tablette schlucken.

Die erste Spritze verabreichte mir mein Arzt. Danach injizierte ich mir das Medikament zu Hause. Ich weiß noch, wie aufgeregt ich vor der ersten selbst verabreichten Injektion war. Als ich mich gespritzt hatte, wartete ich gespannt auf die Wirkung. Das erinnerte mich an jene Zeiten, als ich auf den Heroin-Flash wartete. Doch so sehr ich auch in mich hinein hörte: es passierte nichts. Mein Körper reagierte nicht mit der so oft berichteten Abwehr.

Auch in der nächsten und übernächsten Woche verlief die Behandlung unkompliziert und nahezu symptomlos. Dabei sollten sie, wie ich gehört hatte, in den ersten Wochen doch besonders heftig sein. Mir kamen erste Zweifel, ob die Medikamente überhaupt anschlagen.

Weil die Nebenwirkungen am Tag der Interferon-Injektion und am Tag danach besonders stark sein können, hatte ich mich bei Therapiebeginn entschieden, das Medikament immer freitags zu spritzen. So würde ich mich über die Wochenenden erholen können, um für die Arbeitswoche wieder fit zu sein. Doch außer gelegentlicher Kopfschmerzen und vermindertem Appetit blieb alles erst mal recht erträglich.

Vor der ersten, entscheidenden Untersuchung nach zwei Monaten Therapie war ich sehr aufgeregt: Anhand einer Blutprobe sollte geprüft werden, ob die Medikamente anschlugen. Tatsächlich war die Viruslast deutlich gesunken. Wäre das nicht der Fall gewesen, wäre die Therapie wahrscheinlich abgebrochen worden. Denn wenn die Medikamente nach etwa acht Wochen immer noch keine Wirkung zeigen, ist ein langfristiger Erfolg höchst unwahrscheinlich.

Geborgenheit, Sicherheit und Partnerschaft wurden für mich wichtiger denn je

Ich war froh, dass ich die Behandlung fortsetzen konnte. Jetzt wusste ich ja, dass die Medikamente wirken. Das motivierte mich enorm. Das war umso wichtiger, als die unerwünschten Wirkungen, auch wenn sie nicht stark waren, nun doch länger anhielten. Ich hatte keinen Appetit, verlor sichtbar an Gewicht und veränderte mich auch psychisch. Seit ich mit L-Polamidon substituiert wurde, hatte ich keine bemerkenswerten Ups und Downs mehr erlebt. Jetzt aber hatte ich nur noch eine hauchdünne Schutzhülle, die beim geringsten Stress Risse bekam. Ich war schnell erschöpft. Und es gab Tage, an denen ich, wenn nicht alles hundertprozentig lief, völlig fertig schon mittags mein Büro verließ.

Mit den körperlichen und seelischen Veränderungen wurden Geborgenheit, Sicherheit und Partnerschaft für mich wichtiger denn je. Ich weiß nicht, wie diese Zeit ohne meine Lebenspartnerin, meine Arbeitskollegen und Freunde verlaufen wäre. Mit ihrem Rückhalt hielt ich die Therapie durch – ohne „Stimmungsaufheller“ wie beispielsweise Tranquilizern.

Die Wochen und Monate vergingen. Die Medikamente wirkten weiterhin, und die HCV-Menge in meinem Blut, die „Viruslast“, verringerte sich stetig. Das half mir, die schlechten Zeiten mit Kopfschmerzen, Übelkeit, Abgeschlagenheit, Gereiztheit und allgemeinem Schwächegefühl durchzustehen.

Bald hab ich’s überstanden, sagte ich mir. Doch dann traf es mich faustdick

Wie etliche andere Substituierte habe ich einen Vollzeitjob. Meine Arbeitgeberin, die Deutsche AIDS-Hilfe, hatte ich schon vor Beginn der Interferontherapie auf eventuelle Ausfallzeiten vorbereitet. Sie zeigte sich verständnisvoll und ermöglichte es mir, meine Arbeitszeit nach den Therapie-Erfordernissen zu gestalten. So brauchte ich nicht irgendwelche Geschichten aufzutischen, wenn ich mal arbeitsunfähig war. Unter diesen Bedingungen wirkte meine Arbeit eher unterstützend, als dass sie mich belastet hätte.

In relativ guter Verfassung steuerte ich schließlich auf die drei letzten Therapiemonate zu. Bald hab ich’s überstanden, sagte ich mir. Doch dann traf es mich faustdick: Durch die Medikamente hatte sich die Zahl meiner weißen Blutkörperchen verringert, sodass ich immer anfälliger für Entzündungen wurde. Ein tagelanger Husten, verbunden mit hohem Fieber, entwickelte sich zu einer Lungenentzündung – ich musste ins Krankenhaus. Weil mein Körper durch das Interferon ohnehin schon belastet war, schlug die Lungenentzündung jetzt wie ein Hammer ein. In zwei Wochen nahm ich etwa zehn Kilo ab.

Kaum wieder zu Hause, traf mich die nächste Infektion. Nach dem Aufstehen hatte ich mich vor Schmerzen kaum noch aufrecht halten können, und ich glaubte, ich hätte nun eine  Blinddarmentzündung. Im Krankenhaus wurde dann eine Nebenhodenentzündung diagnostiziert. Nur mit Mühe konnte ich die Ärzte überzeugen, dass ich die Entzündung zu Hause auskurieren kann.

Erst jetzt merkte ich, wie sehr mir das Virus über die Jahre zugesetzt hatte

Den Abschluss der Therapie sehnte ich förmlich herbei. Und dann waren die zwölf Monate endlich um. Auch wenn ich jetzt virusfrei war und ein langfristiger Behandlungserfolg zu erwarten war, folgten dennoch Wochen und Monate des bangen Wartens. So oft hatte ich von Patienten gehört, bei denen sich HCV nach Absetzen der Medikamente wieder vermehrt hatte. Ich war daher ziemlich angespannt, als ich nach drei Monaten zur Blutuntersuchung musste. Aber alles war gut. Und auch bei der nächsten Untersuchung nach weiteren drei Monaten wurden keine Viren gefunden. Meine Therapie war also erfolgreich, obwohl ich – wegen HCV-Genotyp 1 – weniger gute Voraussetzungen hatte als Patienten mit Genotyp 2 oder 3.

Ich hatte in der Behandlungszeit 17 Kilo abgenommen. Doch nach Absetzen der Medikamente kam mein Appetit genau so schnell wieder, wie er mir nach Therapiestart vergangen war. So dauerte es nur wenige Monate, bis ich mein Ausgangsgewicht wieder erreicht hatte. Erst jetzt merkte ich, wie sehr mir das Virus über die Jahre zugesetzt hatte. Die damals zur Normalität gewordene Müdigkeit und das schnelle Erschöpftsein gehörten nun der Vergangenheit an. Heute, gut vier Jahre nach der Therapie, ist immer noch alles in Ordnung. Das lasse ich mir alle sechs Monate von meinem Arzt bestätigen. Für mich haben sich die Anstrengungen wirklich gelohnt.

Es gibt gute Gründe, sich für eine Interferontherapie zu entscheiden

Allen Substituierten, die sich fragen, ob sie eine Interferontherapie machen sollten, möchte ich Folgendes raten: Man sollte sich nicht von irgendwelchen „Horrorgeschichten“ von der Behandlung abschrecken lassen. Steht im Leben eine Veränderung an, etwa ein neuer Job oder ein Haftaufenthalt, ist es besser, mit dem Therapieeinstieg noch eine Weile zu warten. Man sollte sich einen Arzt suchen, der in der HCV-Behandlung erfahren ist und mit dem man auch persönlich klarkommt. Und dieser Arzt sollte dann auch Kontakt zum substituierenden Arzt haben.

Wichtig ist, dass man die Medikamente regelmäßig und immer in der verordneten Dosis einnimmt. Werden nicht mindestens 80 % der Medikamente wie vorgeschrieben eingenommen, sinken die Chancen auf einen Therapieerfolg drastisch. Sicher, die Behandlung ist anstrengend, aber nicht unbedingt eine Tortur. Es gibt genug Berichte über Patienten, die nur geringe Nebenwirkungen verspürten. Jede Therapie verläuft eben anders. Und in schwierigen Phasen können – neben dem Arzt – nahestehende Menschen Unterstützung geben.

Außerdem macht die Medizin Fortschritte. Heute kann die Behandlungsdauer in manchen Fällen auf weniger als sechs Monate verkürzt werden, und die Erfolgsaussichten sind noch besser als damals, als ich die Therapie machte. Es gibt also gute Gründe, sich für eine Interferontherapie zu entscheiden.

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