IAS-Konferenz in Rom: Prosecco und Kopfschmerzen

"Berlusconi, zahl in den Globalen Fonds ein" forderten Aidsaktivisten bei der Kongresseröffnung. Foto: Armin Schafberger

"Berlusconi, zahl in den Globalen Fonds ein", forderten Aidsaktivisten bei der Kongresseröffnung. Foto: Armin Schafberger

Vom 17.–20. Juli 2011 fand in Rom die 6. Konferenz der Internationalen Aidsgesellschaft (IAS) statt. Vorab schon einige der wichtigsten Forschungsmeldungen, die uns DAH-Referent Armin Schafberger aus der Ewigen Stadt zugesandt hat. Über weitere Themen der Konferenz werden wir im HIV.Report berichten.

Wir haben allen Grund zu feiern: Nach Jahren der Misserfolge gibt es gute Nachrichten aus der Prävention. Aber es gibt auch viele Gründe für den Kater am nächsten Morgen.

In den letzten Wochen gab es geradezu ein Feuerwerk an guten Nachrichten. Zwei Studien zur Präexpositionsprophylaxe (PREP) bescheinigten der vorsorglichen Einnahme von HIV-Medikamenten einen Schutzeffekt von 63 bzw. 73 % bei Heterosexuellen. Eine erste PREP-Studie hatte im April 2011 für schwule Männer einen Schutzeffekt von 44 % gezeigt. HIV-negative Sexualpartner können sich also vor einer Infektion schützen, jedenfalls zum Teil, wenn sie dauerhaft täglich ein oder zwei HIV-Medikamente einnehmen. Das wird in der Praxis wohl kaum umsetzbar sein, aber in diesem ersten Schritt geht’s um das Prinzip: Es kann funktionieren. Weitere Studien mit anderen Medikamenten und anderen Einnahmemodalitäten werden folgen.

HPTN 052 wird in die Geschichte der Infektiologie eingehen

In der wichtigsten Studie, über die in den letzten Wochen berichtet wurde, ging es aber nicht um die PREP, sondern um die antiretrovirale Therapie bei HIV-Positiven, die – wenn sie denn erfolgreich durchgeführt wird – den HIV-negativen Partner praktisch vollständig vor einer HIV-Übertragung schützt. Die Studie mit dem Kürzel HPTN 052 wird in die Geschichte der Infektiologie eingehen. Für die Studienleitung gab es – man erlebt es selten – auf dem Kongress „Standing Ovations“.

Über 1.700 heterosexuelle Paare, bei denen ein Partner HIV-positiv und einer HIV-negativ ist, wurden in die Studie eingeschlossen. Bei der Hälfte der Paare begann man früh mit der Therapie, bei der anderen Hälfte später. In der Gruppe der frühen Therapieanfänger zählte man bei Studienabbruch eine Infektion, bei der Gruppe der Spätstarter 27 Infektionen. Daraus errechnet sich ein therapiebedingter Schutzeffekt von 96 %. Dieser Wert ist hoch und liegt im Bereich von Kondomen, und zwar bei geübtem Gebrauch, oder sogar weit darüber, wenn ihre Anwendung nicht so gut beherrscht wird.

Die Eidgenössische Kommission für Aidsfragen (EKAF) und die Deutsche AIDS-Hilfe hatten bereits 2008 bzw. 2009 aus vielen, aber „minderwertigeren“ Studien den Schluss gezogen, dass bei Positiv/Negativ-Paaren die Therapie (unter genau definierten Bedingungen) ausreicht, um vor einer Infektion zu schützen – und dafür zum Teil heftige Kritik aus dem Ausland geerntet. Nun ist diese Aussage durch HPTN 052 felsenfest bewiesen. Denn als sogenannte Interventionsstudie präsentiert sie den Goldstandard der Epidemiologie – besser kann man die Wirksamkeit einer Methode nicht beweisen.

Einige Forscher wollen die Botschaft „Schutz vor HIV durch Therapie“ nicht nur an Einzelne richten

Eine solche Präventionsmethode muss man einsetzen. Die Frage ist nur: wie? Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder man gibt Präventionsempfehlungen für den Einzelnen, also für „diskordante“ Paare (ein Partner ist HIV-positiv, der andere nicht), oder man versucht, die Methode auf Bevölkerungsebene umzusetzen– einige Forscher in Rom berechnen in mathematischen Modellen, ob sich die HIV-Infektion eindämmen ließe, wenn man nur alle Infizierten testen und anschließend gleich behandeln würde.

Die Planspiele scheitern an der bitteren Realität

Und nun beginnen die Kopfschmerzen. Abgesehen davon, dass solche Planspiele kaum umsetzbar sind (weil die Entscheidung zu Test und Therapie zum Glück dem Einzelnen obliegt), scheitern sie an der bitteren Realität. Denn nur sechs Millionen HIV-Positive in Entwicklungs- und Schwellenländern erhalten eine HIV-Therapie, neun Millionen warten dringend darauf. Die WHO hat daher kürzlich das Programm „15 by 15“ ausgerufen: Im Jahr 2015 sollten 15 Millionen Menschen Zugang zu antiretroviralen Medikamenten erhalten. Wohlgemerkt: Hier handelt es sich um dringend benötigte lebenserhaltende Therapien, nicht um Therapien zum Schutz von Sexualpartnern. (Wobei auch für lebenserhaltende Therapien gilt, dass sie bei optimaler Wirkung als „Nebeneffekt“ die Sexualpartner schützen.)

Peter Piot, ehemals Direktor von UNAIDS und heute Professor of Global Health, mahnt zudem an, dass in den Entwicklungsländern denjenigen, die heute eine antiretrovirale Therapie erhalten, auch in den nächsten Jahren eine ART ermöglicht werden muss. Zum einen werden dort noch zu viele Medikamente der „alten Generation“ eingesetzt, die mehr unerwünschte Wirkungen haben, dafür aber billig sind. Die Rate derer, die nach ein oder zwei Jahren die Therapie abbrechen, ist folglich hoch. Zum anderen stehen für viele Menschen keine teureren Präparate als zweite oder dritte Therapieoption zur Verfügung, wenn die erste Medikamentenkombination, zum Beispiel aufgrund von Resistenzen, unwirksam geworden ist.

Kurzum: Wir haben nun weitere wirksame Methoden, können sie aber nicht bezahlen

Aber auch in den Industrieländern sieht es nicht rosig aus: In den USA, so schätzt man, haben gerade mal 19 % aller HIV-Infizierten aufgrund einer Therapie eine nicht mehr nachweisbare Viruslast (womit sie als „kaum mehr infektiös“ gelten). Der Grund ist, dass nicht alle Infizierten von ihrer HIV-Infektion wissen, dass nicht alle positiv Getesteten eine Therapie machen und dass nicht bei allen Behandelten die Therapie ausreichend wirkt.

Ein weiteres Problem, das Experten in Rom erwähnten, ist die Finanzkrise. 2007 gab es einen Rückschlag in der HIV-Impfstoffentwicklung, aber es gab so viel Geld für HIV und Aids wie nie zuvor. Heute, im Jahr 2011, kommen aus der Forschung so gute Nachrichten wie nie zuvor. Präventionsmethoden mit Medikamenten geben Anlass zu Hoffnung – aber sie sind teuer. Und infolge der Finanzkrise ist erstmals ein Rückgang der finanziellen Ressourcen zu verzeichnen. Kurzum: Wir haben nun weitere wirksame Methoden, können sie aber nicht bezahlen.

Hinzu kommt, dass die US-amerikanische Regierung den Löwenanteil der HIV-Präventionsforschung und vor allem auch 60 % der in ärmeren Ländern zur Verfügung gestellten Medikamente finanziert. In vielen Ländern wie etwa im Kongo, in Ruanda oder Zentralafrika erfolgt die Versorgung mit HIV-Medikamenten praktisch zu hundert Prozent durch ausländisches Geld. Das heißt, dass das Leben von Hunderttausenden oder Millionen Menschen von der Finanzsituation der Vereinigten Staaten abhängt. Das ist kein Zustand, der das Qualitätsmerkmal „nachhaltig“ und „unabhängig“ verdient.

Die Therapie sollen zuerst diejenigen erhalten, die sie zum Überleben brauchen

„Treatment as prevention“ – darf man HIV-Positive behandeln, nur um andere zu schützen, ohne dass die Behandelten selbst einen Nutzen davon haben? Anders ausgedrückt: Soll man behandeln, obwohl die Therapieleitlinien noch keine Behandlung vorsehen?

In der Realität stellt sich diese Frage gar nicht. Denn solange neun Millionen Behandlungsbedürftige keine Therapie bekommen und für die heute Behandelten eine dauerhafte Therapie nicht gesichert ist, gilt das von Peter Piot bekräftigte Prinzip der WHO: Die Therapie sollen zuerst diejenigen erhalten, die sie zum Überleben brauchen. Auch diese Therapien wirken präventiv – als erwünschte Nebenwirkung. Von daher hat der römische Prosecco, trotz Kopfschmerzen, seine Berechtigung.

 

 

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