Seit wenigen Tagen ist in Europa mit Victrelis® (Boceprevir) ein neues Medikament zur Behandlung der Hepatitis C erhältlich. Ein weiteres, bereits in den USA zugelassenes Medikament wird folgen. Beide Substanzen erhöhen die Wirksamkeit der bisher gegen Hepatitis-C-Virus (HCV) eingesetzten Medikamente, ersetzen können sie diese aber noch nicht.
Bisher therapierte man die chronische Hepatitis C mit einer Kombination aus Interferon und Ribavirin. Diese Therapie ist nebenwirkungsreich und dauert in der Regel drei, sechs, zwölf oder sogar 18 Monate. Ein Therapieerfolg ist jedoch auch nach monatelanger Behandlung nicht garantiert. Entscheidend ist unter anderem, mit welchem HCV-Genotyp sich ein Patient angesteckt hat. Während die konventionelle Therapie bei den Genotypen 2 oder 3 in 60–90 % aller Fälle wirkt, werden bei Genotyp 1 und 4 nur knapp 50 % dauerhaft geheilt.
Nun gibt es gerade für Patienten mit dem am schwierigsten zu behandelnden Genotyp 1 neue Hoffnung. Denn die Wirksamkeit von Boceprevir und dem vermutlich auch in Europa bald zugelassenem Telaprevir (in den USA: Incivek®) macht sich insbesondere bei der Behandlung der Genotyp-1-Infektion bemerkbar. Bei einer „Triplekombination“ mit Interferon und Ribavirin können sie den Erfolg der bisherigen Therapie bei bisher unbehandelten Patienten um knapp 30 % erhöhen.
Boceprevir ist in der EU seit dem 18. Juli zugelassen, für Telaprevir wird die Zulassung bald erwartet. Bei beiden Substanzen handelt es sich um Proteasehemmer. Sie blockieren ein Enzym im Vermehrungszyklus des Virus. Solche Medikamente kennt man bereits aus der HIV-Therapie. Damit kommen aber auch zwei aus der HIV-Therapie bekannte Probleme auf die Hepatitis-C-Therapie zu: Resistenzen und Wechselwirkungen.
Individualisierte Behandlung soll Resistenzbildung verhindern
Die Resistenzbildung war in der Hepatitis-C-Therapie bislang unbekannt. Interferon, eine körpereigene antivirale Substanz, wirkt unspezifisch gegen Viren und führt, ebenso wie Ribavirin, zu keiner Resistenzbildung. Bei den beiden neuen Proteasehemmer ist das anders. Wenn die Viruslast zu Beginn nicht rasch gesenkt wird oder später wieder „aufflackert“, können Resistenzen entstehen. Dann wird nicht nur der in dieser Zeit eingesetzte Proteasehemmer unwirksam, sondern auch gleich der andere – man spricht hier von einer „Kreuzresistenz“.
Um das Resistenzrisiko zu vermindern, muss in der Anfangsphase der Therapie die Viruslast möglichst schnell sinken. Bei Boceprevir wird dies mit einer vierwöchigen „Einleitungsphase“ versucht, in der nur mit Interferon und Ribavirin behandelt wird,. Eine niedrigere Viruslast soll die Ausgangslage für die dann folgende „Dreifachkombi“ mit Boceprevir verbessern. Bei der Behandlung mit Telaprevir scheint eine Einleitungsphase hingegen keinen Vorteil zu bringen.
Da ein Ansteigen der Viruslast die Gefahr von Resistenzen mit sich bringt, muss die Viruslast immer wieder kontrolliert werden. Man wird also bei dieser Therapie schon allein deshalb seinen Arzt häufiger zu Gesicht bekommen. Bei diesen Kontrolluntersuchungen wird dann entschieden, ob die Therapie abgesetzt oder weitergeführt wird – dafür gibt es in den Handlungsanleitungen für Ärzte klare „Stopp-Regeln“.
Ein weiteres Problem sind Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Proteasehemmer blockieren in der Leber Enzyme, die für den Abbau von Medikamenten oder Drogen verantwortlich sind. Die Folge: die Medikamente wirken plötzlich viel stärker und haben damit auch stärkere unerwünschte Wirkungen. Auch wenn man das Zusammenspiel mit einigen HIV-Medikamenten schon „getestet“ hat, kennt man noch nicht alle Wechselwirkungen. Hier ist weitere Forschung nötig, um herauszubekommen, ob man die Dosierung der Proteasehemmer oder der anderen Medikamente erhöhen oder erniedrigen muss.
Bei Drogengebrauchern oder Substituierten muss hinsichtlich der Wechselwirkungen auch auf Beigebrauch, zum Beispiel von Benzodiazepinen, geachtet werden.
Eine Chance für Patienten, bei denen die Standardtherapie versagte
Grundsätzlich können nur Patienten, die mit dem Genotyp 1 infiziert sind, die neuen Proteasehemmer erhalten. Beide Medikamente müssen alle sieben bis neun Stunden eingenommen werden und erfordern vom Patienten eine gute Compliance. Die Therapie wird mit den neuen Medikamenten somit nicht einfacher – dafür aber möglicherweise kürzer. Je nach dem, wie schnell die Viruslast unter der Dreifachkombi sinkt, kann die Therapie in einigen Fällen schon nach einem knappen halben Jahr beendet werden. Sind jedoch noch Viren nach vier oder zwölf Wochen nachweisbar, muss man mit einer Therapiedauer von einem Jahr rechnen.
Eine Hoffnung können die neuen Medikamente für Menschen sein, die bereits früher eine Hepatitistherapie mit Interferon und Ribavirin hinter sich brachten und bei denen sie nicht zur Heilung führte. Sie lassen sich grob in zwei Gruppen unterteilen: in Patienten, bei denen die Behandlung gar nicht anschlug, und in jene, bei denen sie sie zumindest teilweise wirkte (die Viruslast sank, blieb aber nicht unten). Für die letztere Gruppe bieten die neuen Proteasehemmer in ca. dreiviertel der Fälle Aussicht auf Heilung. Allerdings plant man für diese Patienten gleich die längere Therapiedauer von einem Jahr ein.
Neue Medikamente nicht ohne Nebenwirkungen
Leider sind die neuen Proteasehemmer nicht ohne unerwünschte Wirkungen. Schon die „alten“ HCV-Medikamente bewirken, dass weniger rote Blutkörperchen gebildet werden. Die zusätzlich gegebenen Proteasehemmer „verschärfen“ das Problem noch. In den Zulassungsstudien hat man daher zur Anregung der Blutbildung das dem körpereigenen Hormon nachempfundene Erythropoietin eingesetzt. Vor Jahren noch haben sich die Tour-de-France-Teilnehmer reihenweise mit dem Medikament gedopt – bis die Kontrollen kamen. In der Medizin gibt man das Medikament häufig Krebskranken, bei denen infolge der Chemotherapie die Blutbildung zeitweise schwächelt.
Für die HCV-Therapie ist Erythropoietin allerdings (noch) nicht zugelassen. Da das Medikament sündhaft teuer ist, könnten Ärzte sich scheuen, es einzusetzen – die Krankenkasse könnte sich den Betrag später von ihnen zurückholen. Sollte die HCV-Therapie trotz Blutarmut „durchgezogen“ werden, bliebe als andere, aber nicht so elegante Lösung, zeitweise Blutkonserven zu geben.
Hautauschläge kommen vor allem bei Telaprevir vor. In seltenen Fällen gibt es sogar schwere und bedrohliche Ausschläge, die mit anderen Symptomen wie Fieber und Hauteinblutungen verbunden sind und zum Abbruch der Therapie zwingen.
HIV/HCV-Doppelinfizierte sollten sich an spezialisierte Zentren wenden
Wer sowohl mit HIV als auch mit HCV infiziert ist, braucht eine effektive HCV-Therapie am dringlichsten. Denn bei diesen Patienten ist der Krankheitsverlauf beschleunigt und führt schneller zu einer Leberzirrhose.
Bisher gibt es jedoch kaum Studien zur Behandlung von Doppelinfizierten, denn neue Medikamente werden zuerst an Einfach- oder Mono-Infizierten getestet. Diese Studien sind nun abgeschlossen und haben zur Zulassung der Medikamente geführt. Man weiß aber bereits aus kleineren Untersuchungen, dass die Proteasehemmer auch bei HIV/HCV-Koinfizierten mit Erfolg eingesetzt werden können. Bis die Resultate aus größeren Studien vorliegen und die Proteasehemmer auch für Koinfizierte zugelassen sind, können aber noch Jahre vergehen.
Das heißt aber nicht, dass die Medikamente für Koinfizierte nicht zur Verfügung stehen. Es gibt erste positive Ergebnisse und auch Erfahrungen zu Wechselwirkungen mit HIV-Medikamenten. Aufgrund der schwierigen Anwendung und des noch begrenzten Wissens lohnt es sich für Doppelinfizierte, ein spezialisiertes Zentrum aufzusuchen. Diese Therapie ist nichts für den Hausarzt.
Forscher arbeiten an der Vision einer HCV-Therapie ohne Interferon
Interferon ist bisher der Knackpunkt der Therapie. Es muss wöchentlich gespritzt werden, kann Blutarmut und zum Teil schwere Depressionen erzeugen und macht viele Behandelte müde und gereizt. Das führt oft auch zu Problemen mit Angehörigen, Freunden oder Kollegen, die mit solchen Verhaltensänderungen über Monate konfrontiert werden. In der HCV-Therapie wartet man deshalb sehnsüchtig darauf, vom Interferon wegzukommen. In wenigen Jahren könnte es so weit sein. Denn die Forschungspipeline der HCV-Medikamente ist proppevoll. In den nächsten Jahren werden einige neue Präparate zugelassen werden, und aller Voraussicht nach wird man dann auch Interferon ersetzen können.
Die Therapie wird dann hoffentlich wirksamer und nebenwirkungsärmer. Jetzt ist sie leider erst mal nur wirksamer geworden. Für Hepatitis-C-Infizierte, deren Leber noch nicht stark geschädigt und deren gesundheitliche Situation „stabil“ ist, kann es also eine Option sein, noch abzuwarten: entweder, bis mehr Erfahrungen mit den neuen Proteasehemmer gemacht wurden, oder bis neue Medikamente das lästige Interferon ersetzen.
Andere Patienten haben diese Zeit nicht. Für sie können die besseren Heilungschancen durch die Proteasehemmer lebensrettend sein.