Pro und Contra: Darf man aus Nebenwirkungen der ART „präventives Kapital“ schlagen?

BoxerhandschuheAngesichts der besseren Behandelbarkeit der HIV-Infektion befürchten Präventionisten, dass Menschen zunehmend sorgloser mit der Bedrohung durch HIV umgehen könnten. Schließlich habe die Todesdrohung in den frühen Zeiten von Aids zur Schutz-Motivation beigetragen und somit für den „präventiven Rückenwind“ gesorgt.

Angesichts der Kampagnen-Motive von „Vergessen ist ansteckend“ stellt sich die Frage, ob die Drohung mit den Nebenwirkungen wirksam dazu beitragen kann, sich trotz Behandelbarkeit vor HIV zu schützen.

Teddybär, der sich übergibt

Motiv aus der Kampagne "Vergessen ist ansteckend"

Aber wie kann man sinnvoll über Nebenwirkungen aufklären, ohne von HIV-Test und Behandlung abzuschrecken? Und wie lässt sich die Lebenswirklichkeit vieler HIV-Positiver unter Behandlung ohne Instrumentalisierung für Präventionszwecke darstellen?

Die hier dargestellten Motive sind aufgrund ihrer Präventions-Intentionen („gegen die Sorglosigkeit“) sehr umstritten. Hier die Argumente in Form von Pro & Contra, für die sich jeweils ein INFO-Redaktionsmitglied in die Bresche wirft.

Pro von Corinna Gekeler

Die HIV-Medikamente sind ohne Zweifel ein großer Fortschritt, und es kann nicht genug bewusst gemacht werden, dass man sich rechtzeitig testen und behandeln lassen sollte. Diese medizinischen Fortschritte müssen kommuniziert werden, dürfen aber nicht zu einer Bagatellisierung der HIV-Infektion oder er HIV-Therapie führen.

Es handelt sich nämlich um eine hoch entwickelte Chemotherapie, die wir eher verniedlichend Kombitherapie nennen. Deren zum Teil ungeheure Nebenwirkungen müssen klar benannt werden. Nur wer realistisch aufklärt, nimmt die eingeschränkte Lebensqualität vieler HIVPositiver ernst.

Mann mit eingefallen Wangen und hervorstehenden Wangenknochen

Plakatmotiv der Deutschen AIDS-Hilfe

Aufklärung funktioniert jedoch bekanntlich nicht nur in Worten. Trotzdem scheint rundum das Leben mit Nebenwirkungen bis auf wenige Ausnahmen („Ich sehe auch Veränderungen“, DAH-Motiv aus 2002) ein Bildtabu zu herrschen. Deshalb war ich sehr erfreut, dass diese Postkarten eine Bildsprache zu Erektionsstörungen, Erbrechen und Durchfällen finden, die keine Opfer stilisiert und sogar zum Hinschauen einlädt.

Dass es nur mit der zu verurteilenden Intention der Abschreckung gelingt, die Lebenswirklichkeit vieler Positiver darzustellen, finde ich eine unzulässige Instrumentalisierung. Bleibt die Aufgabe an andere Aufklärer, die Nebenwirkungen im Sinne ihrer eigenen Intensionen ins Bild zu setzen!

Contra von Karl Lemmen

Die möglichen Nebenwirkungen einer ART hängen wie ein Damoklesschwert über allen Menschen mit HIV! Und auch sonst haben Aidshilfen und andere Präventionsagenturen ausreichend darüber aufgeklärt, dass eine Kombitherapie kein Sonntagsspaziergang ist.

Stoffhase mit Durchfall

Motiv der Kampagne "Vergessen ist ansteckend"

Jeder, der mitbekommen hat, dass HIV behandelbar ist, hat auch den Preis der Behandlung vermittelt bekommen. Meist ist es doch so, dass die Nebenwirkungen nur in einem Atemzug mit den positiven Wirkungen genannt werden dürfen.

Die systematisch geschürte Angst vor den Nebenwirkungen der ART ist schuld daran, dass es in Deutschland immer noch so viele „Late Presenter“ gibt, also Menschen die erst sehr spät und manchmal zu spät mit einer Kombitherapie beginnen. Deutschland gehört im europäischen Vergleich zu den Spitzenreitern bei den Spätdiagnosen. Folge ist, dass für manch einen jede Hilfe zu spät kommt, obwohl das Sterben an Aids heute im Prinzip vermeidbar wäre.

Die Angst vor den Nebenwirkungen, vor Übelkeit, Durchfall und körperlicher Entstellung durch Stiernacken und Crixi-Belli (dickem Bauch) sitzen so tief, dass die rationalen Argumente für längeres Leben mit HIV nicht durchdringen und sich viele noch nicht einmal zum Test trauen.

Stoffnashorn mit hängendem Horn

Motiv der Kampagne "Vergessen ist ansteckend"

Postkarten wie diese gehören verboten! Sie ersetzen die Angst vor dem Sterben nur durch die Angst vor der Behandlung. Das hilft niemandem. Den Positiven nicht und erst recht nicht der Prävention. Der Prävention ist nicht geholfen, wenn Menschen mit HIV sich vor einer Behandlung fürchten. Neueste Studienergebnisse zeigen, dass gerade die ART einen ganz wichtigen Beitrag zur Prävention der Zukunft leisten kann. Dies wird aber nur gelingen, wenn wir wahrheitsgemäß über Licht- und Schattenseiten der Behandlung informieren.

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