Von der Freude und der Schwernis der Verbandsarbeit

Politik ist, wenn hinter den Kulissen gestritten wird. Nicht nur in Schleswig-Holstein. Wenige Wissen unterdessen, welch beschwerlich große Leistung es ist, ein Set von unterschiedlichen Interessen und Präferenzen zusammenzuführen.

Nun will ich gar nicht abstrakt orakeln, ich habe da gleich zwei leuchtende Beispiele vor Augen. Gestern noch an der Grenze zwischen den Koreas, diesen Samstag im früher einmal geteilten Berlin, spielt, mit großer Medienbegleitung, das West-Eastern Divan Orchestra unter der Leitung von Daniel Barenboim: Er orchestriert Musiker, die aus all den verfeindeten Lagern des schier unversöhnlichen Nahen Ostens stammen – zu Beethovens Neunter Sinfonie, „Freude schöner Götterfunken“. Welch eine Leistung. Hier ein Ausschnitt bei Youtube.

Kunstvoll orchestriert hat auch das Team des vdek (Verband der Ersatzkassen) in den vergangenen Monaten ein großes Set im Detail divergierender Präferenzen. Nicht Beethovens Neunte, sondern die Arztlotsen im Internet sind das Ergebnis. Ich spreche im Plural, weil viele in Einheit („de pluribus unus“) das Ergebnis sind. Und das ist gut so. Wissen Sie, bei der Gestaltung einer Arztsuche im Internet, umso mehr, wenn noch ein System der Patienten-Zufriedenheits-Erfassung (vulgo: „Arztbewertung“) hinzukommt, dann gilt es in der Tat, hunderte Zielkonflikte zu entscheiden – von grundlegenden Systemfragen bis in fein ziselierte Formulierungen.

Da gibt es weniger „richtig“ oder „falsch“. Vielmehr gilt es, mit Bewusstheit Präferenzen abzuwägen, Richtungsentscheidungen zu treffen. Bin ich schon wieder zu abstrakt? Also, eine der großen Entscheidungen ist die Frage, ob Patientenstatements zu Ärzten mit oder ohne Freitext dargeboten werden. (Das Pro und Contra diskutieren wir in unserer Sonderausgabe “Arztbewertungen” des Stiftungsbriefs.) Mehr noch: Die Frage, ob überhaupt, zu diesem Zeitpunkt, Arztbewertungen hinzugefügt werden sollen. Auch noch zu den Systemfragen gehört die wohlabzuwägende Entscheidung, wie die Suchstränge aufgebaut werden. Soll ein Google-artiges Fenster alle Abfrage-Bausteine aufnehmen? (Entsprechend den Erwartungen der User, die heute stark von Google geprägt sind.) Oder soll die Ortsangabe separat erfasst werden? (Das gibt präzisere Treffer, etwa wenn ein Suchbegriff als Therapie wie auch Ortsnamensbetandteil vorkommt). Oder gar kein Freitext, sondern die systematische Schritt-für-Schritt-Suche? (Die ist klarer Favorit für exakte Ergebnisse, auch in Sachen Barrierefreiheit vorn, doch leider müssen User mehrmals klicken.) Oder doch beide dieser Zugänge bieten? Die Trefferliste, die die der Suchabfrage entsprechenden und geografisch am nächsten liegenden Praxisadressen zeigt: Sind dies die „besten“ Treffer? (nota bene, die besten Treffer, nicht die besten Ärzte.) Oder doch nicht so stark verkürzt formulieren, sondern die Trefferliste mehr erklärend betiteln? Doch ach: jedes Wort zu viel auf einem Internetbildschirm treibt die Aussteiger-Quote in die Höhe bei den heuten Rezeptionsmustern der  User.

Zielkonflikte zuhauf. Zuhauf Entscheidungen zu treffen. Bei unterschiedlichen Präferenzen und ausladend breitem Bogen der Handlungsebenen eines halben Dutzend Player mit wiederum vielen, vielen engagierten Akteuren. Und jede Abwägung ist sorgfältig diskutiert und revidiert worden.

Das ist Verbandsarbeit. Da muss doch ein wundervoll orchestriertes Set von Arztlotsen herauskommen.

Im Ergebnis schaut deshalb der Arztlotse im Internet beim vdek, dem Verband der Ersatzkassen, in Nuancen anders aus als zum Beispiel bei den Mitgliedern des Verbands, der TK, DAK, KKH-Allianz und so weiter. „Eintracht in Vielfalt“ möchte ich fast sagen, klänge das nicht zu – nun … Fast ist mir gar, als hört‘ ich Klänge Beethovens Neunter Sinfonie, der Ode an die Freude.

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