„Ich bin so froh, dass Rosebelle ihre Operation bekommt!“, freut sich German Doctor Robert Henker. Denn bevor dies möglich war, hatte er so einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten! Nicht, um eine Operation in die Wege zu leiten, sondern, um die fünfjährige Rosebelle und ihre Mutter Marina von der Notwendigkeit der Operation und dem Aufenthalt in einem Krankenhaus zu überzeugen.
Rosebelle ist mit einer unvollstaendigen Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte, umgangssprachlich auch „Wolfsrachen“ genannt, zur Welt gekommen. Diese Fehlbildung ist hier auf der philippinischen Insel Mindanao keine Seltenheit: Fast wöchentlich stellen sich zumeist sehr junge Patienten in einer der Sprechstunden der Ärzte für die Dritte Welt – German Doctors vor. Dann vereinbaren die deutschen Ärzte mit den Eltern einen Termin für die kostenfreie operative Versorgung und Beseitigung dieser Spalte – meist im Baby- oder Kleinkindalter. Dies ist kein gefährlicher Eingriff, doch er hat einen großen Effekt: die Spalte wird geschlossen, plastisch gedeckt und die Patienten können danach ganz normal essen, trinken und aufwachsen – denn auch die Stigmatisierung durch die offene Spalte mitten im Gesicht ist dann verschwunden. Der Aufenthalt im Krankenhaus dauert bei einem komplikationslosen Verlauf circa sieben bis neun Tage.
Robert Henker fand die fünfjährige Rosebelle während seiner Rolling Clinic Tour im weit abgelegenen Bergdorf Sinaysayan im Gebiet von Kitaotao. Die nächste befahrene Straße ist sechs Stunden Fußweg entfernt, zum nächsten Krankenhaus, das diese Operation anbietet, sind es weitere sechs Stunden mit dem Bus.
„Ihre Mutter wollte zunächst überhaupt nichts von einer Operation wissen. Bereits drei Mal hatte ein German Doctor sie ins Krankenhaus überwiesen, ihre Mutter nahm diese Überweisungen jedoch nie wahr.“, erzählt der German Doctor. „Rosebelle konnte trotz der Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte Nahrung aufnehmen und hat fünf Jahre lang überlebt. Warum sollte die Familie sie jetzt operieren lassen?“ Auch dieses Mal stellte die Mutter ihr Kind nur wegen Husten und Schnupfen vor.
Das Mädchen konnte zwar bisher scheinbar relativ problemlos essen und trinken. Allerdings ist Rosebelle durch die Spalte rein äußerlich entstellt und stigmatisiert. In einigen Jahren würde sie vermutlich nur schwerlich einen Mann finden und somit eine Familie gründen können – was wiederum bedeuten würde, dass sie lebenslang bei ihrer Familie leben müsste und von dieser abhängig wäre.
Die vom German Doctor geforderte Operation hat weitreichende Konsequenzen für die Familie. Zum einen müssen die Mutter oder der Vater das Kind in die Klinik begleiten, das heißt, sie können sich nicht um ihre weiteren Kinder kümmern. Und Rosebelles Eltern haben insgesamt zehn Kinder! Da muss wohl überlegt sein, ob es möglich ist, dass ein Elternteil für unbestimmte Zeit abwesend ist. Zum anderen haben die Eltern und auch Rosebelle das kleine Bergdorf noch nie verlassen! Wie sollten sie den weiten Weg finden, die stundenlange Fahrt in einem Bus selbst unternehmen und sich auch noch in einer 800 000 Einwohner-Stadt wie Cagayan de Oro, in der die Operation stattfinden sollte, zurechtfinden? Dann noch die Ungewissheit, wie lange Rosebelle im Krankenhaus auf die Operation warten müsste – denn dies kann sich unter Umständen über mehrere Wochen hinziehen. Und nicht zu vergessen, Mutter und Kind müssen auch wieder den langen Weg in die Heimat zuruecklegen.
„Area-Koordinatorin Gaga, die die Rolling Clinic Sprechstunden im Ort organisiert, und ich haben lange mit den Eltern gesprochen“, erzählt der German Doctor weiter. „Nachdem ich all meine Überzeugungskunst eingesetzt und ein Versprechen abgegeben habe, hat die Familie schließlich eingewilligt.“
Robert Henker bot Mutter und Kind an, sie im Auto des Rolling Clinic Teams mit nach Cagayan de Oro zu nehmen und die Rückfahrt für sie zu organisieren. Und er musste der Familie versprechen, dass Mutter und Kind in spätestens zwei Wochen wieder zurück zu Hause sein werden. „Sonst hätten sich die Eltern nicht darauf eingelassen. Sie wollten den Vater nicht mit neun Kindern für unbestimmte Zeit alleine lassen“, erklärt Robert Henker. „Da muss man schon immer abwägen, was man empfiehlt – was bringt es, wenn zwar ein Kind die notwendige Operation bekommt, aber dafür in der Zeit zwei andere Kinder vielleicht krank werden und ohne die Fürsorge ihrer Mutter möglicherweise sogar sterben können.“
Es wurde vereinbart, dass die „Lula“, die Großmutter der Familie, sich in der Zeit gemeinsam mit dem Vater um die anderen Kinder kümmern würde. Auch die Area-Koordinatorin Gaga und die örtlichen Gesundheitsarbeiter würden während der Abwesenheit der Mutter ein Auge auf die Familie werfen.
German Doctor Robert Henker koordinierte per Handy das „Projekt Rosebelle“ mit Phlippinen-Koordinator Dietmar Schug und bekam das „OK“: Rosebelle würde sowohl in kürzester Zeit einen OP-Termin bekommen als auch innerhalb von zwei Wochen wieder nach Hause kommen.
Nun galt es, das Unternehmen in die Tat umzusetzen. Tatsächlich standen Mutter Marina und Rosebelle mit einer gepackten Tasche am nächsten Morgen zum Aufbruch bereit. Es wurde die notwendige „social survey“ durch die Koordinatorin Gaga durchgeführt, also der Check, ob die Familie wirklich bedürftig ist und damit von den German Doctors kostenfrei behandelt wird. Schließlich konnte es losgehen. „Zu unserem Jeep waren es jedoch drei Stunden abenteuerlicher Fußweg“, beschreibt Robert Henker den ersten Teil der Reise.
Das German Doctors Team, fünf mit Medikamenten bepackte Pferde, Mutter und Patientin mussten somit zunächst über Berge und Täler wandern und – einzeln und nacheinander – auf dem Rücken eines Carabao-Ochsen – einen Fluss überqueren. Das eigentliche Abenteuer für Mutter und Tochter begann jedoch mit dem Einsteigen in den Jeep. „Die beiden haben noch nie vorher in einem Auto gesessen“, erzählt Robert Henker. „Die arme Mutter litt die gesamte Fahrt lang unter Übelkeit und Erbrechen!“
Im Krankenhaus angekommen stellte der German Doctor im Gespräch mit Langzeitarzt Dr. Martin Grau und Koordinator Dietmar Schug nochmals sicher, dass Rosebelle so schnell wie möglich operiert wird. Und so war es: Bereits am nächsten Tag wurde Rosebelle schon ins Krankenhaus aufgenommen und von der behandelnden Chirurgin gesehen. Ein OP-Plan wurde erstellt und die Operation schon für den kommenden Tag veranschlagt – ein keinesfalls alltäglicher, sondern glücklicher Umstand – sowohl für die Patientin, als auch für die gesamte Familie.
Hier besuchen Robert Henker und ich Rosebelle und ihre Mutter kurz vor dem Ende unseres Projektaufenthaltes in Cagayan de Oro. Die kleine Patientin schläft gerade. „Ich bin zum ersten Mal in einer Großstadt und in einem Krankenhaus“, erzählt uns Mutter Marina aufgeregt. „Und ich vermisse meinen Mann Rohelio und meine Kinder.“ Ich bitte sie, sie aufzuzählen, und ohne zu stocken, nennt sie mir Namen und Alter: Ramel (20), Rochilin (18), Realin (16), Rohelio Junior (15), Rosemary (13), Rexter (11), Aljey (10), Rodele (8), Rosebelle (5) und Gerald (1,5).
Eine Woche nach unserem Besuch an ihrem Krankenbett erhalten Robert Henker und ich die freudige Nachricht und auch ein Foto von Dr. Martin Grau. „So schnell kann es gehen: Rosebelle wurde erfolgreich operiert und ist genesen. Wir haben sie, 12 Tage nach der Aufnahme, in einen Bus gesetzt. Mittlerweile müsste sie schon wieder zu Hause angekommen sein.“
Das freut uns sehr! „Ich kann nur jedem German Doctor, der auf Rolling Clinic geht, empfehlen, die Patienten nicht einfach zu überweisen oder sie anzuweisen, zu einem bestimmte Arzt zu gehen. Sondern vielmehr auch zu prüfen und zu hinterfragen, ob es für die Familie überhaupt möglich ist, das Empfohlene umzusetzen“, fasst Robert Henker rückblickend seine Erfahrungen zusammen. „Die philippinische Mentalität gebietet es den Patienten, niemals eine Anweisung des German Doctors offensichtlich abzulehnen. Wenn eine Familie trotz Zusage gegenüber dem Arzt zwei- oder dreimal einer Überweisung nicht nachgekommen ist, sollte man genauer nachfragen und ihr keinesfalls Vorhaltungen machen. Nach meiner Erfahrung ist es wichtig, sich – sofern möglich – viel Zeit für die Patienten zu nehmen und freundlich aufzutreten, um manchmal die Patienten mit viel Gefühl förmlich zu ihrem Glück zu zwingen! Im eben dargestellten Fall wäre Rosebelle niemals operiert worden, wenn das gesamte Team sich nicht zwei bis drei Stunden für sie und ihr Schicksal Zeit genommen hätte.“
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