Große Aufregung herrschte vergangene Woche im kalifornischen „Porno Valley“, wo der Großteil der US-amerikanischen Hardcore-Streifen abgedreht wird: Ein HIV-Verdacht stoppte die Fließbandproduktion. Axel Schock bilanziert die Erregung in der Branche und in der Berichterstattung.
Vermutlich müssen im San Fernando Valley derzeit Doppelschichten absolviert werden, schließlich gilt es einen Rückstand von schätzungsweise 200 Pornofilmen aufzuholen. Eine Woche lang herrschte in den Pornostudios enthaltsame Ruhe – eine solche Verschnaufpause gönnt man den Akteuren, Kameraleuten und Maskenbildnern nicht einmal zu den Weihnachtsfeiertagen. Und das alles nur, weil ein diskret geschlechtsneutral als „Patient A“ bezeichneter Sexdarsteller HIV-positiv getestet wurde. Falsch positiv, wie sich bei der Nachprüfung herausstellte. Falscher Alarm also, sagt die Milliarden-Branche, klopft sich auf die Schulter, weil das Sicherheitssystem doch funktioniert hat, und lässt weiter vögeln. Ohne Kondom, versteht sich. Das verlange der Markt, also der Konsument– und der Kunde ist schließlich König. Ob den Darstellern Sex mit Gummi vielleicht lieber wäre, danach fragen die Produzenten freilich nicht.
Der Selbstbetrug der Sexindustrie wird kaum hinterfragt
„HIV-Fall legt US-Porno-Industrie lahm“ – so oder ähnlich titelten auch deutsche Medien, und die Boulevardmedien hatten einen Heidenspaß daran, den Lesern die Folgen bildhaft ausmalen: Tausende von Silikonbusenträgerinnen und Testosteronhengsten, die sich nun nackt unter der kalifornischen Sonne langweilen und auf das erlösende „Action please!“ warten, um endlich wieder kameragerecht übereinander herfallen zu können. Überraschend bei alledem ist, dass weder die US-Pornobranche noch die Medien den schwammigen Sicherheitsbegriff und den Selbstbetrug der Sexindustrie hinterfragten – „Patient A“ ist ja nun wahrlich nicht der erste und einzige HIV-Fall innerhalb der US-Pornobranche. Man redet einfach nur nicht gerne darüber.
2004 aber kam ein Fall in die Öffentlichkeit: Darren James wurde nach einem Dreh in Rio positiv getestet, und mindestens drei seiner Partnerinnen hatten sich bei ihm angesteckt. „Ich hatte unglaublich viele Aufträge zu der Zeit, ich dachte, ich sei unbesiegbar“, sagte James später reumütig in einem Interview. Der Darren-James-Skandal aber hatte die Branche in Misskredit gebracht. Fortan sollten alle Pornodarsteller sich in dreiwöchigem Rhythmus testen lassen. Das hatte Darren James schon vorher auf freiwilliger Basis gemacht. „Aber zwischen den Tests arbeitest du ja weiter, und du drehst mit Menschen, von denen du nicht weißt, was sie vorher getan haben.“ Außerdem dauert es bis zu drei Monate, bis sich Antikörper gegen HIV gebildet haben, die dann im HIV-Test nachgewiesen werden können – man kann sich also zwischen solchen Tests angesteckt haben und trotzdem als HIV-negativ getestet werden.
Riesengeschäft mit der Scheinsicherheit
Für die „Pornokliniken“, die die regelmäßigen Tests der rund 1500 hauptberuflichen Pornodarstellerinnen und -darsteller im San Fernando Valley durchführen, ist diese Scheinsicherheit ein Riesengeschäft. Und nicht immer ein sauberes: Die größte dieser Privateinrichtungen wurde im Mai wegen Korruptionsvorwürfen geschlossen. Der Prozess, der die Hintergründe erhellen soll, steht noch aus.
Das vermeintliche Sicherheitsnetz der US-Pornobranche hat also reichlich große Löcher. Dass diese von den Verantwortlichen so kleingeredet werden, ist für Michael Weinstein, Präsident der Aids Health Care Foundation Los Angeles, ein Skandal: „Wenn in Filmen Tiere zum Einsatz kommen, so gelten höhere Vorsichtmaßnahmen als für Pornodarsteller“, empört er sich. Weinstein versucht nun ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das Drehgenehmigungen im Regierungsbezirk von Los Angeles an die Verwendung von Kondomen knüpft. 41.000 Unterschriften muss er dazu bis zum Jahresende sammeln, damit sein Antrag offiziell zur Abstimmung gelangt. Der „HIV-Skandal im Porno-Valley“ dürfte ihm dabei sicherlich zu Hilfe kommen. Derweil wird im San Fernando Valley weiter im Akkord ungeschützt gevögelt.