Ausländerinnen, die in Deutschland als Prostituierte arbeiten, sind für die HIV-Prävention besonders schwer zu erreichen. Die AIDS-Hilfe Oberhausen geht deshalb einen bislang einmaligen Weg: Sie bietet Schnelltests und Beratung direkt im Rotlichtbezirk an.
Es gibt weder Autoverkehr noch Passanten. Wer die Flaßhofstraße durch die Absperrung betritt, will dort seinen Geschäften ungestört und diskret nachgehen. 16 kleine, unscheinbare Siedlungshäuser stehen in dieser gepflegten Oberhausener Privatstraße; jedes einzelne beherbergt ein Bordell oder einen Sexclub mit zusammen etwa 230 Zimmern, in die sich Sexarbeiterinnen einmieten können. Zwischen 100 und 200 Euro Tagessatz zahlen sie dafür.
Rund 150 Frauen sind es nach Angaben des Streetworkprojekts LILJA im Schnitt, die hier als Prostituierte arbeiten. Manche seien nur für wenige Tage hier, bevor sie in die Rotlichtbezirke anderer Städte weiterziehen, andere blieben ein paar Monate. Die wenigsten nur haben einen deutschen Pass. Osteuropäerinnen, insbesondere aus Bulgarien und Rumänien, stellen mit über 80 Prozent die Mehrheit der hier tätigen Prostituierten. Seit dem EU-Beitritt einiger Länder sei die Anzahl rasant gestiegen, so die örtliche Beratungsstelle von SOLWODI („SOLidarity with WOmen in DIstress”), die sich um Migrantinnen im Sexgewerbe kümmert.
Großer Bedarf an Aufklärung über sexuell übertragbare Krankheiten
Zwar gebe es immer wieder auch Fälle von Zwangsprostitution, wie SOLWODI berichtet, die meisten Frauen aber treibe die Armut hierher. Das Sexgewerbe erscheint für sie als die einzige Möglichkeit, um in kurzer Zeit möglichst viel Geld zu verdienen. „Manchmal begegne ich richtig tragischen Schicksalen“, erzählt Regina Noesges, die hauptamtlich bei der AIDS-Hilfe Oberhausen arbeitet. „Frauen Mitte 50, die ihrer Familie zuliebe hier anschaffen gehen, um die Ausbildung der Kinder zu finanzieren. Zu Hause erzählen sie, dass sie hier als Haushaltshilfe arbeiten.“
Nur wenige Frauen verfügen über gute Kenntnisse zu sexuell übertragbaren Krankheiten. SOLWODI und AIDS-Hilfe sahen deshalb die Gefahr, dass einige der Frauen bereits mit HIV infiziert sind oder sich noch infizieren könnten. Daraus entwickelte sich die Idee, einen HIV-Schnelltest anzubieten
„Entscheidend war, dass das Angebot niedrigschwellig und vor Ort sein sollte“, sagt Regina Noesges, „denn die meisten Frauen, die in der Flaßhofstraße arbeiten, kennen sich in Oberhausen überhaupt nicht aus, sondern fahren direkt zu ihrem Arbeitsplatz.“ Sie kämen mit einem Touristenvisum nach Deutschland und schafften so lange an, bis zum Beispiel das Geld für die Ausbildung ihrer Kinder zusammengespart sei.
Selbst die Bordell-Hausmeister nutzen den HIV-Schnelltest
Dass Handlungsbedarf besteht, sah auch das örtliche Gesundheitsamt und stellte für die HIV-Schnelltest-Aktionen eine Laborkraft sowie die Test-Kits zur Verfügung. Selbst die Bordellbetreiber und Hauswirtschafterinnen –„Früher nannte man sie Puffmütter“, klärt Noesges auf – zeigten sich aufgeschlossen. Die Räume stellt ein Bordellbetreiber zur Verfügung. Die Resonanz bei dem ursprünglich als einmalige Aktion geplanten Beratungs- und Testangebot im vergangenen Jahr war so gut, dass es nun regelmäßig einmal im Quartal wiederholt wird.
Ein gutes Dutzend Frauen fanden sich jeweils bei den bisherigen Terminen ein, und sogar die Hausmeister haben die Gelegenheit zum HIV-Test genutzt. Die Sprach- und Kulturvermittlerinnen von SOLWODI helfen, die freiwilligen Fragebögen zu demografischen Angaben bzw. zum Sexualverhalten auszufüllen. Noch haben die dabei erhobenen Daten keine statistisch ausreichende Menge erreicht, sie zeichnen aber bereits ein deutliches Bild: Die Hälfte der Frauen – mehrheitlich aus Osteuropa, ein Viertel aus Lateinamerika stammend – lebt demnach in einer festen Partnerschaft. Nur ein Drittel verfügt über eine Krankenversicherung. Ebenso wenige sind gegen Hepatitis A und B geimpft bzw. hatten sich zuvor schon einmal auf HIV testen lassen. Wie wichtig es ist, diese Lücke in der Beratung und der Vorsorge zu schließen, bestätigten insbesondere die Gespräche mit deutschen Sexarbeiterinnen, die schon länger im Gewerbe tätig sind. Sie vermissten den sogenannten „Bockschein“, berichtet Regina Noesges.
Ein Drittel der Frauen hatte sich erstmals testen lassen
Seit der Abschaffung des Bundesseuchengesetzes und der Einführung des Infektionsschutzgesetzes 2001 benötigen Prostituierte kein amtsärztliches und weithin als diskriminerend empfundenes Gesundheitszeugnis mehr. Das Ende dieser behördlichen Kontrolle bedeutete aber auch das Ende freiwillig wahrzunehmender Hilfsangebote der Gesundheitsämter, etwa kostenloser Hepatitis-Schutzimpfungen, die auf diesem Wege auch Frauen ohne Krankenversicherung wahrnehmen konnten. „Und wenn man schon mal beim Amtsarzt war, ließ man sich auch gleich bei der einen oder anderen Sache beraten“, sagt Noesges.
Wie groß dieser Beratungsbedarf ist, zeigte sich bereits bei den bislang drei Schnell-Test-Aktionen: „Ich bin immer davon ausgegangen, dass Sexarbeiterinnen sich den Themen Kondomgebrauch, sexuell übertragbaren Krankheiten und Schwangerschaftsverhütung gut auskennen. Die Erfahrungen aber zeigen, das dies überhaupt nicht stimmt“.
Stutzig machten das Beratungsteam beispielsweise, wie viele der Sexarbeiterinnen in den Gesprächen von Kondomunfällen berichteten. Bei konkreten Nachfragen stellte sich heraus: Aus Kostengründen verwenden viele Frauen Babyöl als Gleitmittel. Dass fetthaltige Mittel für Gummis völlig ungeeignet sind, war ihnen nicht bekannt. Ein weiterer Grund: Viele Frauen achten beim Kondomkauf nicht auf die Qualität, sondern bestellen sich die preisgünstigste Ware im Großpack via Internet.
Frühstück mit Nachhilfe in Sachen Schwangerschaftsverhütung
Regina Noesges und LILJA wollen nun versuchen, diese Wissenslücken während eines Frühstücks zu schließen. Bei Kaffee und Brötchen soll eine lockere Atmosphäre geschaffen werden, in der auch mal ganz ungezwungen Frauenkondome auf den Tisch gepackt werden können, um damit ins Gespräch zu kommen. „Auf diese Weise hoffen wir, dann einige grundsätzliche Dinge klären zu können“, sagt Regina Noesges. Zum Beispiel, dass kleingeschnittene Spülschwämme kein guter Ersatz für Periodenschwämmchen sind, sondern aufgrund des ungeeigneten Materials zu Verletzungen und Entzündungen führen können.
Zu tun ist also noch reichlich, die bisherige Resonanz aber stimmt das Team rund um die Schnelltest-Aktionen optimistisch. Vor allem hoffen sie, dass das Angebot bald auch von jenen Frauen angenommen wird, die sich bisher scheuen – zum Beispiel, weil sie berechtigte Angst vor einem positiven Ergebnis haben. Bislang ist noch bei keiner Frau eine HIV-Infektion festgestellt worden. Sollte das passieren, würden die betroffenen Frauen von der psychosozialen Begleitung der AIDS-Hilfe weiter betreut.
Und noch ein Umstand erfreut Regina Noeskes: Weder hätten die Freier viel von den Testaktionen mitbekommen, noch seien die Betreiber damit hausieren gegangen. Die anfänglichen Befürchtungen, dass die Bordellbesitzer mit einem „sauberen Puff“ werben und Freier nicht mehr auf Schutz achten könnten, weil vermeintlich „alle durchgetestet“ sind, hätten sich erfreulicherweise nicht bewahrheitet.
Axel Schock