Wie ein Mensch zur Leiche wird – Teil 2: Der Totenschein

So, jetzt sitze ich also zu nächtlicher Stunde im Schwesternzimmer und kaue auf dem Kugelschreiber herum. Der Kaffee ist kalt geworden. Ich hole mir einen neuen. Vor mir liegt ein Stück Papier. Genau genommen, ein Formularsatz, der aus mehreren Teilen besteht: der Totenschein von Frau Olschewski. Und der grinst mich öd und leer an und will von mir ausgefüllt werden.
Da Deutschland ein föderalistischer Staat ist, hat jedes Bundesland sein eigenes Totenscheinformular kreiert. Die Dinger unterscheiden sich in Farbe und Grad der Unhandlichkeit, aber eines haben sie alle gemeinsam: einen sogenannten Nicht-Vertraulichen Teil, der ans Standesamt geht und nur die Personalien inklusive Sterbedatum, Zeitpunkt und Ort enthält und einen sogenannten Vertraulichen Teil, und da muss ich jetzt die Ursache des Todes eingeben, und zwar zunächst die „unmittelbare Todesursache“, dann die zu Grunde liegende Erkrankung und schließlich weitere Diagnosen, die eventuell zum Ableben beigetragen haben.
Aber weiß ich das?
Früher einmal, in der guten alten Zeit, da hat man es sich einfach machen können und in die erste Zeile das gute, alte „Herzversagen“ eingetragen. Ist ja nicht unbedingt falsch. Trifft aber auch auf das eine oder andere Mafiaopfer zu und ist daher wenig aussagekräftig und somit von heutigen Staatsanwälten nicht erwünscht.
Also, woran ist denn Frau Olschewski nun verstorben? Immerhin habe ich die Krankenakte zur Hand und weiß somit von ihrer schweren Tumorerkrankung, somit habe ich schon etwas für die zweite Zeile (wir erinnern uns: das „als Folge von“, also die zum Tode führende Krankheit). Und als unmittelbare Todesursache trage ich „Multiorganversagen“ ein, das ist zwar genausowenig aussagekräftig wird aber merkwürdigerweise akzeptiert. Und dann noch ein paar Sachen aus der langen Liste der internistischen Dauerdiagnosen in die dritte Zeile, und fertig… halt! Noch nicht. Gibt es Hinweise für einen „Nicht-Natürlichen Tod“? Nein, ich kann nicht ausschließen, dass nicht doch jemand… ähem… diskret nachgeholfen hat. Aber ich halte es für unwahrscheinlich. Also kein Kreuzchen gemacht. Und dann ist da noch die Rechnung… die muss ich noch unterschreiben: „Wir bedauern das Ableben Ihres Angehörigen,“ steht auf dem Vordruck, „und erlauben uns, Ihnen das folgende Honorar zu berechnen.“
Früher einmal ging dieses Honorar in die eigene Tasche desjenigen, der die Leichenschau gemacht hat. Heute streicht das Krankenhaus sich die Kohle ein.
So, das wäre geschafft.
Jetzt muss ich noch die Angehörigen anrufen.

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