Ein gesegnetes Alter

Schwester Gaby begrüßt mich mit feierlich-ernst-schicksalsschwerem Blick.
„Was ist los?“ frage ich, nachdem ich mir einen Kaffee eingeschenkt, einen Schluck gekostet, den Rest der Tasse in den Ausguss gekippt und mich angewidert geschüttelt habe.
„Frau Mayer hat’s endlich geschafft!“
„Wie bitte?“ Morgens vor acht ist mein Gehirn noch nicht ganz auf Betriebstemperatur. Ein Schluck anständiger Kaffee wäre jetzt nicht schlecht.
„Frau Mayer!“
„Die aus Zimmer siebzehn?“
„…hat’s geschafft!“
„WAs hat die geschafft?“
Gaby schlägt sich mit der flachen Hand vor die Stirn.
„Sie ist von uns gegangen!“
Ach so! Nun ist das nicht gerade eine Nachricht, die mich jetzt vom Hocker hauen würde, Frau Mayer war dement und hat ihre letzten Tage auf unserer Station zugebracht wie… na, wie eine demente alte Durchschnittspatientin halt.
„Es sind übrigens gerade die Angehörigen da!“ sagt Schwester GAby und schiebt mich in das betreffende Zimmer.
Dort steht eine Versammlung von schweigenden Gestalten.
Ich setze meine professionell-feierlich-ernst-schicksalsschwere Miene auf und drücke jedem von ihnen schweigend die Hand.
„Nächste Woche wäre sie neunzig geworden!“ schluchst eine dralle Mitfünzigerin.
„Nun ja… sie hat immerhin ein gesegnetes Alter erreicht!“ sagt ein Grauhaariger Mann.
„Eine gute Mutter war sie!“ sagt die Frau.
Der Grauhaarige nickt.
„Aber jetzt kommen wir mal zum Geschäftlichen,“ sagt er und schaut mich scharf an, „Bis wann sind die Papiere fertig?“

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