Vom 3. bis zum 4. Oktober fand im italienischen Ort Abbo Terme das diesjährige Treffen des „Health in Prisons Projects“ (HIPP) statt. Peter Wiessner, Mitglied der European Aids Treatment Group und als freiberuflicher Sozialwissenschaftler im Bereich HIV und Haft engagiert, berichtet und kommentiert:
Zusammengeschlossen im Health in Prisons Project, einem Netzwerk der WHO-Region Europa, sind Vertreter der für die Gesundheit in Haft zuständigen Ministerien aus 44 Ländern – von A wie Albanien über G wie Georgien und I wie Israel bis U wie Usbekistan. Deutschland ist als eines der wenigen europäischen Länder nicht vertreten – und entzieht sich dadurch den Fragen und Diskussionen, die bei diesen Treffen verhandelt werden. Das ist beschämend und zeigt den Stellenwert, den die Gesundheit und die Rechte Gefangener für die Bundesregierung haben.
Kein Hoch auf die föderale Struktur
„Entschuldigt“ wird dies damit, dass die Zuständigkeit für den Strafvollzug auf Bundesländerebene liegt – eine faule Ausrede, wie ich finde. Das Bundesjustizministerium schleicht sich dadurch aus der Verantwortung. Und auch das Gesundheitsministerium hat kein Interesse an einer Mitwirkung und nimmt keinen Einfluss, lässt also seine Verantwortung für die Gesundheit der Menschen in Deutschland an den Hafttüren enden. Ein Skandal.
Dabei gibt es viel zu diskutieren und zu lernen: Die Vertreter der teilnehmenden Länder stellen Strategien, Studienergebnisse und beispielhafte Projekte vor und beraten über Minimalstandards für die Behandlung von HIV, Hepatitis, Tuberkulose und anderen Krankheiten, über den Zugang zu Präventionsmöglichkeiten, Substitutionstherapien, Sexualität und sexuelle Gewalt in Haft, die besondere Situation von Frauen in Haft und viele andere Themen. Im Zentrum stehen dabei immer wieder die Prinzipien, dass Gefangene ein Recht auf die gleiche Gesundheitsversorgung haben wie „draußen“ auch, dass Gesundheit ein unverhandelbares Recht ist und dass die Gesundheitsversorgung Gefangener kein Bestandteil der Strafe sein darf.
Wie wichtig es ist, auch in Deutschland das Recht der Gefangenen auf Gesundheit zu schützen und ihre Gesundheitsversorgung sicherzustellen, zeigen zum Beispiel die Rate übertragbarer Infektionskrankheiten bei Inhaftierten, die im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ungleich höher ist, und auch die in Europa einzigartige Praxis des Zwangsoutings HIV-positiver Gefangener in den nordrhein-westfälischen Haftanstalten (aidshilfe.de berichtete).
Welches Ministerium trägt die Verantwortung für die Gesundheit in Haft?
Im Zentrum des diesjährigen HIPP-Treffens stand erneut die Frage, ob man die Verantwortung für die Gesundheit der Gefangenen nicht von den Justiz- in die Gesundheitsministerien verlagern sollte – oder wie man sicherstellt, dass beide Ministerien zumindest miteinander kommunizieren. Wenn man die Zustände in der „Parallelwelt Haft“ an das angleichen will, was draußen verwirklicht werden kann, macht es durchaus einen Unterschied, welches Ministerium das Budget für Gesundheit in Haft kontrolliert und verwaltet, wer die Gesundheitspolitik entwirft, wer die Anstellung und Ausbildung des medizinischen Personals kontrolliert, wer die Qualität der medizinischen Versorgung sicherstellt und wer für die Überprüfung der Standards zuständig ist.
Die WHO arbeitet derzeit an einem Rahmenprogramm, in dem diese und ähnliche Fragen zusammengefasst und Empfehlungen dazu vorgestellt werden sollen. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich auch die Bundesregierung daran beteiligt.
Anmerkung der Redaktion: Zur Frage „Macht es einen Unterschied, welches Ministerium für Gesundheit in Haft zuständig ist?“ hat uns Peter Wiessner ein Diskussionspapier zur Verfügung gestellt, das wir hier gerne vorstellen. Kommentare und Diskussionsbeiträge sind herzlich willkommen.
Weitere Informationen
„Health in Prisons Project“ (HIPP): Homepage (in englischer Sprache)
Liste der HIPP-Netzwerkmitglieder
Diskussionspapier: Macht es einen Unterschied, welches Ministerium für Gesundheit in Haft zuständig ist