Seit Jahrzehnten betreiben wir eine Hausarztpraxis in einer Kleinstadt mit ländlicher Umgebung, die ständig gewachsen ist. Seit dem 1. Juli diesen Jahres ist eine Zweigpraxis auf dem Land dazu gekommen. Wir sind sieben Ärzte, fünf Teilhaber, ein zukünftiger Teilhaber, dazu ein Weiterbildungsassistent. Drei Ärzte versorgen, neben ihrer Tätigkeit in der Hauptpraxis, die Praxis auf dem Land. Der Assistenzarzt ist hier und da im Einsatz.
Für die Patienten der Landarztpraxis gab es mit dem 1. Juli einiges zu verkraften:
- der langjährige Hausarzt (über 30 Jahre) hat sich weitgehend zurückgezogen. Viele Patienten vermissen ihn, zumal es sich in diesem Falle um eine Seele von einem Menschen handelt. Ein Arzt, der lieber sich ausbeutet als einem Patienten einen Wunsch abzuschlagen. Das hat sich geändert. Nicht, dass wir Unmenschen wären, aber es läuft halt anders, und wir alle wissen, wie es mit dem „anders“ ist, wenn etwas 30 Jahre lang gewohnheitsmäßig abgelaufen ist
- die neue Praxisführung arbeitet, wenn irgend möglich organisiert, das heißt mit einer Terminsprechstunde. Selbst die meisten Notfälle lassen sich großteils organisieren. Die Ära, in der Patientenwunsch an den Hausarzt und dessen Erfüllung zeitlich nahezu eine Einheit sind, sind vorbei (vom echten Notfall abgesehen)
- Rezepte und Überweisungen sollen neuerdings möglichst vorbestellt werden, dafür wurde extra eine Telefonnummer eingerichtet. (Was für ein neumodischer Kram, der sich als gar nicht so schlecht herausstellt, weil man sich nicht mehr in das Getümmel am Tresen stürzen muss)
- überall stehen neuerdings Computer in der Praxis herum (Was sich als gar nicht so schlecht herausstellt, weil so alle Informationen überall zur Verfügung stehen. Auf diese Weise sind z. B. telefonische Kontakte oder Kontakte in der Sprechstunde auch möglich, obwohl die Praxis auf dem Land nicht geöffnet ist)
- immer ist ein anderer Arzt da. Was nur gefühlt so ist, da jeder unserer Ärzte auf dem Land bestimmte Sprechstunden anbietet, allerdings ist der Gegensatz zu vorher natürlich riesig
- früher war es schöner (ein gern in allen Lebenslagen ausgesprochenes Pauschalurteil). Nicht einmal im Wartezimmer kann man mehr in Ruhe sitzen und schnacken, weil man mit Termin so schnell dran ist
Drei, vier Wochen lang hatten wir mit reichlich Kommentaren, Beurteilungen und Verurteilungen zu kämpfen. Die negativen Stimmen waren allerdings nur gefühlt in der Mehrzahl, die absolut meisten Patienten sind sehr glücklich, dass es überhaupt weitergeht mit der ärztlichen Versorgung im Dorf und auf dem Land. Nur wissen wir alle, ganz besonders in einer Hausarztpraxis, wie einige wenige, die Stimmung drücken können. Aber Geduld lohnt sich, auch im Fall unserer Zweigpraxis.
Bereits jetzt, nach dem Abschluss des ersten Quartals, hat sich Vieles eingespielt. Die negativen Stimmen sind leise geworden, viele verstummt. Schneller als erwartet. Wir hatten uns ein Jahr Geduld verordnet, denn immerhin haben wir den Patienten tatsächlich einiges an Veränderungen zugemutet und tun es noch.
Aber wenn nicht jetzt die Regeln ändern, wann dann?