Jenny strahlt mich an.
Normalerweise freue ich mich immer, wenn Jenny mich anstrahlt, aber warum sie das am Sonntag vormittag tut, mitten in der Stationsküche und dann auch noch in Zivilklamotten, das verstehe ich derzeit nicht. Aber es braucht mich ja auch nicht zu interessieren. Bei akutem Zustand nach Dienst braucht mich eigentlich gar nichts mehr zu interessieren. Mit beiden Händen umklammere ich meine Tasse Krankenhauskaffeeplörre und freue mich darauf, dass der Feierabend nicht weit und mein Bett maximal noch eine halbe Stunde entfernt ist.
„Wie gefällt’s Ihnen, Herr Doktor?“ fragt Schwester Paula und strahlt ebenfalls.
Wenn Schwester Paula strahlt, dann ist eigentlich Alarmstufe rot angesagt.
„Was sol mir gefallen?“
„Na, die Weihnachtsdekoration!“ strahlt Jenny und deutet auf eine rotgoldenglänzende Sternengirlande, die von der Deckenlampe aus quer durch den Raum flattert.
„Richtig, jetzt wo Du’s sagst!“
Ich nehme noch einen weiteren Schluck bittere Krankenhauskaffeeplörre.
„Und?“
Beide Damen strahlen um die Wette.
„…frag ich mich doch den ganzen Tag schon, wo dieses Glitzerzeug herkommt!“
Paula fasst das offenbar als Kompliment auf, Jennys Miene verdüstert sich hingegen.
„Passt schon, fein gemacht, Mädels!“ sage ich betont gönnerhaft.
„Schließlich ist heute der erste Advent!“ sagt Paula und deutet auf ein bänderverziertes kreisrundes Koniferengesteck in der Mitte des Tisches.
„Richtig. Aber keine Kerzen anzünden ja?“
„Hä?“
„Ist aus brandschutzrechtlichen Gründen streng verboten!“ sage ich und deute auf einen an der Pinwand anfgehängten Schrieb unseres Brandschutzbeauftragten. Der hat uns alle nämlich letzte Woche zur Brandschutzbelehrung zitiert. Hat zwei Stunden gedauert. Aber das ist ein anderes Thema.
„In diesem Sinne, schönen Tag noch, Mädels!“
Ich stehe auf, schütte den Rest aus meiner Tasse in den Ausguss und mache mich vom Acker. Jetzt ist mein Bett nur noch zehn Minuten entfernt. Maximal.