Maliziös grinsend betrete ich das Krankenzimmer und reiche der Patientin die Hand.
„Guten Tag, Frau Huber, wir haben einen neuen Anschlag auf Sie vor!“
Frau Huber kann das vertragen. Sie hat Humor. Und so wird sie auch den folgenden Satz mit Fassung nehmen.
„Wir möchten Ihnen nämlich Rattengift verabreichen!“
Die Patientin lächelt.
„Okay, wann?“
„Heute Abend. Und von da an jeden Tag… das heißt, nur wenn Sie einverstanden sind, natürlich!“
Frau Huber wird einverstanden sein. Denn das Rattengift hat natürlich einen therapeutischen Zweck. Frau Hubers Lebenserwartung soll sich also durch die regelmäßige Einnahme von Rattengit verlängern. Bei den Retten ist das bekanntlich anders. Wie kann das funktionieren?
Bei Rattengift handelt es sich oft um sogenannte Cumarine. Das sind Stoffe, welche die Blutgerinnung herabsetzen. Die arme Ratte verblutet also innerlich.
Frau Huber leidet an einer Herzrhythmusstörung. Diese bewirkt, dass sich im Herzen (und anderswo) kleine Blutgerinnsel bilden können und die können dann ins Gehirn geschwemmt werden und dort einen kleine Blutgefäße verstopfen und so einen Schlaganfall auslösen.
Und damit dies nicht geschiet, soll – Bingo! – die Blutgerinnung herabgesetzt werden, mit Hilfe eines Cumarins.
In Deutschland verwendet man gerne den Wirkstoff Phenprocoumon, besser bekannt unter den Handeslnahmen Marcumar oder Falithrom, in anderen Ländern ist der Wirkstof Warfarin gebräuchlicher.
Beide Medikamente haben nun zwei unangenehme Eigenschaften: Sie werden von jedem Menschen unterschiedlich schnell und unterschiedlich stark verstoffwechselt. Während Frau Huber zum Beispiel jeden Tag eine halbe Tablette benötigt, braucht Herr Meier eine ganze und Frau Schulze nur eine Viertel Tablette. Welcher Mensch wieviel braucht, kann man vorher nicht abschlätzen, es gibt nur eine Möglichkeit: Try and Error.
Und damit sind wir auch bei der zweiten unangenehmen Eigenschaft: die geringe therapeutische Breite. Wenn man zu wenig Rattengift einnimmt, hilft es nichts. Nimmt man zuviel ein… nunja, dann läuft man halt Gefahr, das Schicksal einer Ratte zu teilen. Und die Bandbreite dazwischen ist ziemlich eng.
Aus diesem Grund sind regelmäßige Blutkontrollen notwendig, anfangs alle paar Tage, später reicht meist ein Bluttest pro Monat. Aber nicht alle Patienten sind fit genug, um einmal im Monat zum Doktor gehen zu können. Dann muss der Doktor halt zu ihnen kommen, und das ist natürlich aufwändig. Zudem haben viele Menschen natürlich schlechte Venen, was die Piekserei nicht unbedingt angenehmer macht.
Kurz und gut: als dann ein neues Medikament auf den Markt kam, welches bei gleicher Wirkung keine Piekserei mehr brauchte, war die Fachwelt begeistert.
Da störte es auch nicht, dass das neue Mittel achtzehn mal so teuer war.
Ist Dabigatran also wirklich das bessere Rattengift?