Am 16. November strahlt die ARD die Fernsehdokumentation „Der Aidskrieg“ aus (23:15-0:00 Uhr). Sie erinnert an die Anfänge von Aids in Deutschland, die politisch-gesellschaftlichen Debatten und den Beginn der Selbsthilfebewegung. Von Axel Schock
So weit man in die Medizingeschichte zurückschauen kann, wurden im Kampf gegen Krankheiten und Seuchen Kriegsmetaphern verwendet: Man kämpfte gegen Erreger und Keime, erklärte der Tuberkulose und der Syphilis den Krieg. Die Rollen von Freund und Feind waren dabei stets klar verteilt.
Vor 30 Jahren beginnt ein neuer Krieg gegen ein neues, bis dahin unbekanntes Virus. Doch dieses Mal werden als Gegner nicht nur das todbringende Virus, sondern auch dessen Träger ausgemacht. Die Kampfzone reicht tief hinein in die Gesellschaft und erschüttert sie in ihren Grundfesten. „Wir hatten Angst vor einer Pogromstimmung“, erinnert sich der Münchner Schwulenaktivist Guido Vael.
Dass dies keine hysterische Übertreibung ist, sondern tatsächlich das gesellschaftliche Klima Mitte der Achtzigerjahre beschreibt, ruft die WDR-Fernsehdokumentation „Der Aidskrieg“ auf eindrückliche Weise ins Gedächtnis zurück. Sie verwebt Interviews von Zeitzeugen mit Archivaufnahmen, Fotos und Privatfilmen.
Eine Zeitreise durch die politischen und gesellschaftlichen Debatten der ersten Jahre mit Aids
Wer diese ersten Jahre der Epidemie in Deutschland bewusst mitverfolgt hat, wird durch diese fundiert recherchierte Dokumentation so manchen Flashback erleben. Filmautor Jobst Knigge lässt wie im Stakkato die wichtigsten Stationen noch einmal Revue passieren: 1981 erscheinen die ersten Meldungen über die mysteriöse Seuche in den USA, im Jahr darauf werden bereits die ersten Fälle auch in Deutschland registriert.
Die Medien, insbesondere der „Spiegel“, schüren in der Bevölkerung Angst und Misstrauen. Die Panikstimmung führt zu Reaktionen in der Politik, wie sie seit dem Ende des Faschismus in Deutschland nicht mehr vorstellbar waren. Der bayrische Kultusminister Hans Zehetmair etwa bezeichnet im Fernsehen frei heraus Homosexualität als „widernatürlich“ und plädiert dafür, „diese Ränder der Gesellschaft auszudünnen“, um damit die „gesunde Volksmehrheit“ zu schützen. Und in der bayrischen Staatskanzlei wird offen über die Zerschlagung der schwulen Subkultur beraten. Der Aids- und Homosexuellenaktivist Guido Vael berichtet in dieser Dokumentation etwa, dass man in München der Aids-Hilfe die Verteilung von Kondomen in Szenelokalen verbot. Die Begründung: Sie verstoße damit gegen das Ladenschlussgesetz.
Doch längst ist Aids mehr als nur eine „Schwulenseuche“. Die Angst vor der Stigmatisierung belastet HIV-Infizierte gleich welcher sexuellen Orientierung. Das Ehepaar Niemeyer verschweigt seine HIV-Erkrankung fast zwei Jahrzehnte lang selbst gegenüber seinen Kindern, weil es die Reaktionen der Mitmenschen fürchtet. Und die Schauspielerin Jessica Stockmann muss ihrem Lebensgefährten, dem Ex-Tennis-Profi Michael Westphal, am Sterbebett versprechen, zehn Jahre über seine wahre Todesursache zu schweigen.
Kulturkampf mit ungewissem Ausgang
Zweierlei macht diese 45-minütige Dokumentation noch einmal deutlich: Zum einen, wie sehr diese Panikstimmung vor allem ein Medienprodukt war, und zum anderen , wie hart und auf Messers Schneide der daraus resultierende Kulturkampf geführt wurde. Zwangstestung, Zwangsisolierung, namentliche Meldepflicht und sogar die staatlich angeordnete Tätowierung von HIV-Positiven wurden diskutiert. Sollte der „starke Staat“ durchgreifen, oder sollte man auf das Prinzip Prävention durch Aufklärung setzen?
Jobst Knigge hat damalige Hauptverfechter dieser beiden gegensätzlichen Haltungen vor die Kamera geholt: den ehemaligen Münchner Staatsrat und späteren bayrischen Staatsekretär Peter Gauweiler (CSU) und die ehemalige Gesundheitsministerin Rita Süssmuth (CDU). Es erstaunt dann doch, wie offenherzig Gauweiler auch 30 Jahre danach noch zu seiner Politik von damals steht und seinem Ekel gegenüber Schwulen und ihrem „schwanzgesteuerten öffentlichen Vergnügen“ Ausdruck verleiht.
Wie brisant Aids innenpolisch zu dieser Zeit geworden war, macht Süssmuth im Interview deutlich. Sie war sich sicher, dass die Aids-Debatte die Bundestagwahl 1987 entscheiden würde. „Die Auseinandersetzung wurde in einer Schärfe geführt, dass wir nicht wussten, ob wir diesen Kampf gewinnen.“ Süssmuth lud deshalb internationale Wissenschaftler zu einem Geheimtreffen ins Bundeskanzleramt ein. Sie hoffte, mit dieser Unterstützung das Kabinett davon zu überzeugen, dass Prävention der richtige Weg sei, um auf die Seuche zu reagieren. Ihre Strategie war erfolgreich. Der politische Kulturkampf war fürs Erste gewonnen, der Krieg damit aber keineswegs zu Ende.
Den ehrenamtlichen Helfern in den Pflegestationen blieb oft nicht mehr, als den Sterbenden die Hand zu halten, erzählt der Arzt Dietmar Schranz. Archivaufnahmen aus der Mitte der 80er Jahre zeigen den damaligen Medizinstudenten als Ehrenamtler in der Aids-Pflege. Immer wieder kam es vor, dass das Pflegepersonal sich weigerte, die Patienten zu behandeln, erinnert sich Gerd Paul, Mitbegründer der Berliner Aids-Hilfe. „Es war eine ganz persönliche, tief ins Herz gehende Empörung“, die ihn erstmals in seinem Leben politisch aktiv werden ließ.
„Der Aidskrieg“ von Jobst Knigge. Interviewpartner u. a. Bernd Aretz, Gerd Paul, Jessica Stockmann, Peter Gauweiler, Rita Süssmuth, Dietmar Schranz, Matthias Frings, Almut und Heinz-Dieter Niemeyer.
TV-Ausstrahlungen: Das Erste, 16. 11., 23.15 Uhr; WDR Fernsehen, 25. 11., 23.15 Uhr; Phoenix, 1. 12., 18.30 Uhr