„Und was haben wir hier?“
Voller Schwung reiße ich nach kurzem Anklopfen die Tür zu Zimmer fünfzehn auf.
„Guten Morgen, die Damen!“
Keine Antwort.
„Da kannst Du lange warten!“ sagt Jenny leise und schiebt grinsend den Wagen mit den Patientenakten herein.
„Wen haben wir denn hier?“ frage ich und schlage die erste Akte auf.
„Frau Schröder,“ sagt Jenny und verdreht theatralisch die Augen, „ein faules Ei. Ganz klassisch, so wie es im Buche steht!“
Ich lege mahnend den Zeigefinger auf den Mund.
„Ist doch egal,“ seufzt Jenny kopfschüttelnd, „hört doch eh keiner!“
Ich schaue auf die Diagnosenliste: Demenz, Zustand nach mehreren Schlaganfällen, Vollpflegefall, bettlägerig, seit Jahren keine verbale Kommunikation mehr möglich. Dann trete ich ans Krankenbett.
„Guten Morgen, Frau Schröder!“ sage ich betont laut und deutlich und greife nach der Hand der Patientin. Die Hand ist schlaff, die Haut dünn wie Papier. Stehende Hautfalten, trockene Zunge. Flüssigkeitsmangel.
„Gib Dir keine Mühe!“ zischt Jenny hinter mir.
„Guten Morgen, Frau Schröder, hören Sie mich?“
Keine Reaktion.
„Was können wir für sie tun?“ frage ich leise, eher an mich selbst gewandt. Jenny zuckt mit den Schultern. Okay, sie könnte ein paar Infusionen gebrauchen. Kriegt sie schon. Ich schaue aufs Laborblatt. Kreatinin hoch. Wundert mich nicht. Kalium niedrig. Müssen wir substituieren. Aber wie?
„Kann sie trinken?“
Jenny sagt nichts. Ich trage Kalium-Brausetabletten in den Medikamentenplan ein und klappe die Krankenakte zu.
„Weiter im Text. Was ist mit den anderen beiden Damen?“
„Genau dasselbe!“ sagt Jenny und bemüht sich gar nicht mal, sonderlich leise zu sprechen, „Drei faule Eier auf einmal. Bingo. Volltreffer. Hauptgewinn!“