“Frisch positiv getestet – was verändert das in meinem Leben?” Mit dieser Frage wird man sich am kommenden Wochenende auf dem 6. diesjährigen Positiventreffen im Waldschlösschen bei Göttingen auseinandersetzen. Seit über 25 Jahren schon lädt die Akademie Waldschlösschen Menschen mit HIV aus ganz Deutschland in ihr Tagungshaus ein. Wie sehr sich das Leben mit dem Virus verändert hat, spiegelt sich daher auch in diesen Treffen wider. Ein Bericht von Wolfgang Vorhagen.
Das erste Treffen fand im April 1986 statt – in Zeiten einer mediengeschürten Aidshysterie und politischer Auseinandersetzungen zwischen den Befürwortern einer repressiven Seuchenstrategie (z. B. Peter Gauweiler) und einer vernunftbasierten Lernstrategie (wie Rita Süssmuth). Die beiden Initiatoren, Jörg Sauer und Bernd Flury, kannten das Waldschlösschen bereits als „schwules Tagungshaus“, und erhofften sich hier auch für Menschen mit HIV und Aids einen geschützten Rahmen. Ihrer Einladung folgten 37 schwule Männer und eine heterosexuelle Frau. Sie kamen aus ganz Deutschland angereist und hatten bis dahin noch keine anderen Positiven kennengelernt. Entsprechend groß war ihr Bedürfnis, sich auszutauschen und Solidarität zu erleben.
Heute gilt es vor allem, Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln
Danach war klar, dass man diesen Weg weitergehen wollte, und noch im gleichen Jahr gab es zwei weitere Treffen. 1987 begann sich eine kleine Gruppe zu bilden, der Teilnehmer/innen und ein Waldschlösschen-Mitarbeiter angehörten. Sie wollten die Regie für künftige Positiventreffen übernehmen und gründeten deshalb 1988 den Verein „Positiv e.V.“. Fast 150 Treffen haben seither stattgefunden. Tausende Positive haben sie mitgestaltet oder im Waldschlösschen einfach nur neue Kraft für den Alltag mit HIV geschöpft.
Etliche derer, die in den ersten zehn Jahren dabei waren, sind längst an den Folgen der HIV-Erkrankung verstorben. Damals waren die Treffen von schwerer Erkrankung und frühem Tod geprägt. Heute dagegen gilt es vor allem, Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln und das Positivsein in ein ansonsten fast „normales“ Leben zu integrieren. Trotzdem wird bei jeder „Neuen-Runde“ zu Beginn der Treffen deutlich: Viele erleben das positive Testergebnis immer noch als tiefen biografischen Einschnitt mit erheblichen Folgen für das Privat- und Berufsleben.
Jedes Mal kommt eine bunte Mischung zusammen
Gemäß dem Motto „Wissen ist Macht“ geht es bei den viertägigen Positiventreffen vor allem darum, sich medizinisches und sozialrechtliches Wissen anzueignen und gesellschafts- und gesundheitspolitische Fragen zu diskutieren. Sie regen aber auch dazu an, sich mit der eigenen Lebenssituation und mit gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen auseinanderzusetzen. Jedes Mal kommt eine bunte Mischung zusammen: gerade erst positiv Getestete und Langzeitpositive, Studenten, Berufstätige und Rentner, Junge und Ältere, Schwule, Bi- oder Heterosexuelle, Männer und Frauen. Die unterschiedlichen Lebensverhältnisse HIV-positiver Menschen spiegeln sich auch bei den Ehrenamtlichen von Positiv e.V. wider: Ein Teil ist berufstätig, ein anderer Teil bereits seit längerem berentet, die einen haben das „Trauma Aids“ fast von Beginn an erlebt, die anderen sind erst seit wenigen Jahren infiziert.
Für uns Veranstalter ist es immer wieder spannend, uns mit den unterschiedlichen Interessen und Erwartungen auseinanderzusetzen und – unterstützt durch die große Schar kompetenter Dozent(inn)en – Trennendes wie auch Gemeinsames herauszuarbeiten. Diese Vielfalt spiegelt sich dann in der Vielzahl der Workshops wider – an jedem Vormittag und Nachmittag mindestens vier –, aber auch in den mindestens drei „Sondertreffen“ pro Jahr für bestimmte Gruppen mit ähnlichen Erfahrungen und Lebenssituationen, nämlich Langzeitpositive und ältere Positive, dann junge Positive bis 30 und schließlich Berufstätige. Für alle Positiventreffen aber gilt, dass sie gelebte Selbsthilfe im besten Sinne sind: durch die Mitglieder von Positiv e.V. und auch durch das spontane Engagement der Teilnehmer/innen.
Teilnehmen kann auch, wer wenig Geld hat
Die bundesweiten Positiventreffen sind ein gutes Beispiel für ein gelingendes Miteinander von Selbsthilfe, Erwachsenenbildung und Deutscher AIDS-Hilfe. Ohne die schon seit 1987 währende Zusammenarbeit von Positiv e.V und Akademie Waldschlösschen mit der DAH (und die Unterstützung durch Bundesmittel) wäre ein Projekt wie dieses nicht möglich – teilnehmen können so auch Menschen, die nur wenig Geld haben, was vor allem bei Langzeitpositiven häufig der Fall ist.
Die Treffen haben sich übrigens als sehr „vermehrungsfreudig“ erwiesen und die Selbsthilfe HIV-positiver Menschen gestärkt: Aus ihnen sind diverse Initiativen entstanden, von Positiventreffen in einzelnen Bundesländern und auf internationaler Ebene über das Netzwerk der Jungpositiven bis zur Interessenvertretung „HIV im Erwerbsleben“. Dennoch kommen zur „Mutter aller Positiventreffen“ sogar noch mehr Menschen als früher ins Waldschlösschen: Weil die HIV-Infektion heute eine behandelbare chronische Krankheit ist, mit der auch ein hohes Alter erreicht werden kann, hat das Leben mit HIV viele Gesichter bekommen. Der Bedarf, sich zu informieren und auszutauschen, sich gegenseitig zu stärken und sich gemeinsam für weitere Verbesserungen zu engagieren, ist dadurch gewachsen.