Zübeyde (43) lebt in Bielefeld, wo sie als mobile Krankenpflegerin arbeitet. Seit sechs Jahren weiß die gebürtige Kurdin, dass sie HIV-positiv ist. Die alleinerziehende Mutter hat eine zehn Jahre alte Tochter. Kriss Rudolph sprach mit ihr über ihr Leben mit HIV und ihr Engagement als Botschafterin der Welt-Aids-Tags-Kampagne „positiv zusammen leben“.
Zübeyde, welche Erinnerung hast du an den Tag, als du deine Diagnose bekommen hast?
Das war ein ziemlicher Schock, denn ein früherer Test war negativ ausgefallen. Mein erster Gedanke war: Was ist jetzt mit dem Kind? Was wird aus ihr, wenn ich sterbe? Ich hatte Angst, dass sie auch positiv sein könnte. Auf ihr Ergebnis musste ich drei Tage warten, und das war eine richtig schlimme Zeit. Aber Naomi war dann Gott sei Dank negativ, wie durch ein Wunder.
Wie schränkt dich deine Krankheit ein?
Ich merke sie teilweise an meiner Müdigkeit. Ich muss auf mich aufpassen, darf mich nicht auspowern. Weil sich durch die Medikamente mein Körper verformt, treibe ich viel Sport. Aber meine Power ist begrenzt.
Und die brauchst du ja auch für deine Tochter Naomi.
Ja, aber das klappt bislang ganz gut. Sie kommt am Nachmittag von der Schule, und wir verbringen dann den restlichen Tag zusammen. Wenn ich kaputt bin, lege ich mich hin. Sie kennt diese Phasen und weiß: Wenn ich mich ausgeruht habe, geht es mir besser. Wenn sie den Abendbrottisch deckt, legt sie mir ganz selbstverständlich meine Tabletten hin.
Ich wollte nicht Verstecken spielen
Wie hast du ihr deine Krankheit erklärt?
Ich habe sehr früh mit ihr darüber gesprochen und ihr kleine Fresszellen aufgemalt. Dann habe ich ihr erklärt, dass die in meinem Blut sind und dass einige krank sind und nicht weggehen werden. Dagegen nehme ich Medikamente, damit es mir besser geht. Und ich habe ihr gesagt, sie kann absolut offen mit anderen darüber reden.
Dazu gehört viel Mut und Vertrauen in andere Menschen.
Diesen Mut hatte ich von Anfang an. Ich wollte nicht Verstecken spielen. Dafür bin ich überhaupt nicht der Typ.
Wie gehst du auf der Arbeit mit deiner Krankheit um?
Im Vorfeld der Kampagne habe ich meinen Chef informiert, und seine Reaktion fand ich sehr schön. Er sagte, ich solle das so machen, wie ich es wollte. Auch ob ich meine Patienten informieren wollte, sei ganz allein meine Verantwortung. Eigentlich hatte ich vor, es auch den Kollegen mitzuteilen. Aber dann fand ich, ich muss das gar nicht. Ich kenne das Team noch nicht so gut, sonst hätte ich mich dem einen oder anderen schon anvertraut. Abgesehen davon: Die erzählen mir ja auch nicht alles über sich.
Musstest du lange überlegen, ob du mitmachst bei der Kampagne?
Ein paar Wochen. Ich habe an Familienmitglieder gedacht, an Freunde, teilweise auch an Ex-Freunde (lacht). Wie das wohl für sie wäre, mich da auf einem Plakat zu sehen. Und ich habe überlegt, was das für meinen Job bedeutet. Es hat mich aber auf jeden Fall gereizt. Meine Freunde haben mich auch unterstützt. Die haben gesagt: Klar, mach das! Wenn jemand dafür richtig ist, dann du!
Die Krankheit hat nur so viel Macht über mich, wie ich ihr gebe
Wie ist es für dich, wenn du an deinen Plakaten vorbeifährst?
Ich muss immer erst mal grinsen. Und in der Regel winke ich mir dann zu. Ich freue mich wirklich über jedes Plakat. Das ist einfach ein schöner Moment. Genauso, wenn mir jemand mit roter Aids-Schleife entgegenkommt. Das ist für mich ein kleines Highlight.
Welches Anliegen hast du als Botschafterin?
Es gibt nichts, wofür man sich als Positiver schämen müsste. Die Krankheit hat nur so viel Macht über mich, wie ich ihr gebe. Indem man sich outet, nimmt man dem Ganzen den Schrecken. Wenn ich Geschichten von anderen Positiven höre, bin ich geschockt. Vielleicht liegt es an meiner Art, aber ich habe wirklich keine einzige schlechte Erfahrung gemacht. Das treibt mich auch immer an, weiterzumachen.
Was sind das für Geschichten, die andere dir erzählen?
Die werden zum Beispiel wegen HIV gekündigt. Aber meist lagen dann schon andere Dinge vor, und man schiebt dann gerne diese drei Buchstaben vor. Wenn mein Chef blöd reagiert hätte, hätte ich mir gedacht: Aha, dann bin ich hier wohl nicht richtig. Man findet auch einen anderen Job. Oder andere Freunde. Wenn mich jemand wegen HIV fallen lässt, war es kein richtiger Freund.
Wie halten es deine Freundinnen und Freunde mit Kondomen?
Teil, teils. Gerade bei flüchtigen sexuellen Kontakten haben die immer was dabei zum Verhüten. Manche Freunde sagen mir: Du hast uns „inspiriert“, wir lassen uns jetzt auch testen. Der Kontakt mit mir und meiner Erkrankung bringt die zum Nachdenken.
Wissen deine Leute gut Bescheid über HIV und Aids?
Eher nicht. Übertragungswege kennen die meisten. Dass es gegen HIV Medikamente gibt, wissen auch einige, aber dann hört es eigentlich auf. Da bin ich dann halt die Aufklärerin, und das mache ich auch gerne. Schließlich sind es ja meine Freunde.
Wie gehst du selber damit um, wenn du jemanden kennenlernst?
Der beste Moment ist, wenn ich merke, der andere hat mich gern. Und natürlich wenn sich abzeichnet, dass sexueller Kontakt stattfinden wird. Aber nicht erst, wenn man schon in der Kiste ist. Ich sage dann rechtzeitig: Es gibt etwas, das ich dir vorher mitteilen möchte.
Welche Reaktionen erlebst du dann?
Erst mal Stille. Und dann kommen Sprüche wie: Na ja, du hast meine Leichen im Keller noch nicht gesehen. (lacht) Oder eben: Okay, aber es gibt ja Kondome. Einer meinte mal: Na und? Bist du jetzt giftig, oder was? Ganz unterschiedlich. Aber es hat niemand gesagt: Ich gehe jetzt lieber nach Hause.
Wenn mich jemand wegen HIV fallen lässt, war es kein richtiger Freund
Was bedeutet der Welt-Aids-Tag für dich?
Es ist gut und wichtig, dass es den 1. Dezember gibt. Aber mich persönlich bewegt am meisten der 6. Januar, der Tag, an dem ich mein Testergebnis bekommen habe. Dann bin ich melancholisch, traurig, aber auch superglücklich und stolz, was ich alles geschafft habe. Da kommt alles hoch.
Wenn du die Zübeyde vor der Diagnose vergleichst mit der Zübeyde danach – wie unterscheiden sich die beiden?
Die unterscheiden sich schon sehr. Die alte Zübeyde vermisse ich auch teilweise, weil die ganz andere Sorgen hatte. (lacht) Man ist plötzlich mit seiner Endlichkeit konfrontiert. Die ersten zwei Jahre haben mich sehr geprägt. Auf der einen Seite ging es mir wirklich schlecht, andererseits ist so eine Grenzerfahrung sehr bereichernd. Ich lebe alles viel intensiver, und ich möchte die Zeit, die mir bleibt, so gut nutzen wie möglich. Ich wähle schneller aus: Wer ist ein Freund, wer nicht? Ich zögere nicht mehr so viel, wenn es darum geht, was möchte ich noch erreichen. So schwer es auch ist, mit dieser Krankheit zu leben, aber für diese Erfahrung ist es ganz wunderbar. Es treten plötzlich auch wieder Träume in den Vordergrund, und mir fällt ein: Du wolltest doch früher immer dieses und jenes, und ich sage mir: Warum soll ich das nicht machen?
Was für Träume sind das?
Am liebsten hätte ich ein Wohnmobil, mit dem ich rumfahre und alles erforsche und entdecke. Das habe ich immer schon gern getan. Oder ich möchte ein Café leiten. Das sind Dinge, die mir Freude machen. Und wenn meine Tochter groß ist, möchte ich zurückblickend sagen können: Das hast du gut gemacht. Ihr geht es super, sie ist glücklich.
Alles Gute dafür und viel Erfolg mit der Kampagne!