Rainer Jarchow heißt zwar nicht mehr Jarchow, ist aber ganz er selbst geblieben. Er hob die Aidshilfe Köln aus der Taufe, stand als Aids-Pastor Erkrankten bei, dann gründete der Millionenerbe die Deutsche AIDS-Stiftung. Noch immer setzt er sich für Menschen mit HIV ein. Heute feiert er seinen 70. Geburtstag. Wir gratulieren!
Von Christian Lütjens
Ein kleines Verwirrszenario vorweg: Am 1. August 2011 begingen die Grünen im Kaisersaal des Hamburger Rathauses einen Festakt anlässlich „Zehn Jahre eingetragene Lebenspartnerschaft“. Die Fraktionsvorsitzende Anja Hajduk verwies in ihrer Rede auf zwei prominente Gäste, die den Schritt der Verpartnerung bereits hinter sich hätten: Corny Littmann (großer Applaus) und Rainer Ehlers …
Bei der Nennung des zweiten Namens erstarrte die 400-köpfige Runde in irritierter Stille. Rainer wer? Ehlers? Nie gehört. „Rainer Ehlers, geborener Jarchow“, fügte Hajduk nach einer Kunstpause hinzu. Da zerplatzten die Fragezeichen über den Köpfen und erneut brandete Applaus los. Rainer Jarchow!
Der Name Jarchow ist ein “Wertbegriff” – trotzdem hat er ihn gerne aufgegeben
Ja, den kannten die Hamburger. Von 1994 bis 2004 hatte er sich in der Hansestadt als „Aids-Pastor“ profiliert und mit dem Verein „Memento – Gemeinschaftliche Grabstätten für Menschen mit HIV und Aids“ eine lokale Institution geschaffen. Wer näher mit der HIV-Thematik vertraut war, wusste zudem um Jarchows frühere Verdienste: die Mitbegründung der Kölner Aidshilfe und die Gründung der Deutschen Aids-Stiftung. Dieser Mann sollte nun unter einem anderen Namen durch die Welt laufen? „Mich haben nach meiner Hochzeit im Juli 2011 viele gefragt, wie ich den Namen Rainer Jarchow aufgeben könne. Der sei doch ein Wertbegriff“, sagt Ehlers schmunzelnd. „Ich für meinen Teil konnte ihn sehr gut aufgeben. Außerdem war es mir wichtig, deutlich zu machen, dass ich in meinem hohen Alter noch den Mann meines Lebens gefunden habe.“
Womit wir beim Thema wären: Das „hohe Alter“ von Rainer Ehlers beträgt am 16. Dezember 2011 nämlich 70 Jahre. Ein runder Geburtstag, der Anlass gibt, den Lebensweg des „Dinos der Aids-Seelsorge“ (wie er sich selbst bezeichnet) nachzuvollziehen.
Anfang der 70er outete sich der junge Pastor Jarchow vor seinem Bischof als schwul
Dieser Weg führt aus einer Kaufmannsfamilie ins Pastorenamt, dann aus einer Hetero-Ehe in die offen gelebte Homosexualität. Letzteres dürfte ein wesentlicher Auslöser für jene Aura der Selbstbestimmung sein, die das Schaffen Jarchows (wir bleiben für den Rückblick beim alten Namen) stets antrieb. Er war Anfang der Siebziger Jahre einer der ersten Pastoren, die sich vor ihrem Bischof als schwul outeten. Danach arbeitete er noch eine Weile weiter als Geistlicher, bis er sich Anfang der Achtziger einer Aussteigerkommune im griechischen Ithaka anschloss. Dort frönte er dem einfachen Leben, hütete Ziegen, pflanzte Olivenbäume, dachte nach. Aber nur drei Jahre lang.
Dann erfolgte die Rückkehr nach Deutschland – und damit der Schritt in den Aktivismus. Jarchow zog nach Köln, wo er sich im Zeitungsteam der Gay Liberation Front (GLF) engagierte. Hier begegnete ihm das Thema Aids zum ersten Mal.
Seine Mitstreiter Jean-Claude Letist und Michael Zgonjanin berichteten nach Amerikareisen von einer mysteriösen „Schwulenseuche“, die in den USA immer mehr Opfer forderte und gleichzeitig zu einer verstärkten politischen Ächtung von Homosexuellen führte. Dieses Drohszenario veranlasste die drei Männer 1985 dazu, die Aidshilfe Köln zu gründen.
„Ich kannte zu diesem Zeitpunkt niemanden, der positiv war“, sagt Rainer Jarchow, „aber wir verfolgten die Schwulenhatz in Amerika. Dort wurde teilweise dazu aufgefordert, nichts gegen die Krankheit zu unternehmen, weil sie die beste Gelegenheit war, dass Schwule sich selber ausrotteten. So etwas befürchteten wir in Deutschland auch. Deshalb haben wir die Aidshilfe gegründet.“
“Wir befürchteten eine neue Schwulenhatz auch in Deutschland”
Der „vorbeugende, schwulenpolitische Ansatz“ wurde allerdings bald von den Schicksalen der Erkrankten überlagert. Jarchow wurde Seelsorger bei der Aidshilfe und Aidsberater im Kölner Gesundheitsamt: „Auf einmal saßen all diese Menschen vor mir, mit ihrer Ohnmacht und ihrer Wut. Damals beschloss ich, mich bedingungslos auf die Seite der Infizierten zu stellen.“ Ein Beschluss, der letztlich zur Gründung der Deutschen Aids-Stiftung führte.
1986 erbte Jarchow von seinem Vater eine beträchtliche Summe Geld. Jarchow senior hatte bis in die Sechziger Jahre ein kleines Vermögen mit der Deutschland-Lizenz für Campari gemacht. Als Teile dieses Vermögens nun auf dem Konto von Sohn Rainer landeten, war diesem klar, dass er das Geld für einen sozialen Zweck einsetzen würde. Die Gründung einer Stiftung zugunsten von Menschen mit HIV lag nahe.
Bild titelte: “Campari-Erbe gibt eine Million für Aidskranke”
Eine Million D-Mark investierte Jarchow in das Projekt. Sein Ziel war dabei nicht nur die finanzielle Unterstützung von Aidskranken, sondern auch die Auslobung eines Medienpreises für Journalisten, die angemessen und aufklärerisch über die Krankheit berichteten. Dank seiner Freundschaft zu Ute Canaris, damals Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, gewann Jarchow das Land Nordrhein-Westfalen als Unterstützer. So ging die Stiftungsgründung im Mai 1987 mit einer Landespressekonferenz einher, die die Organisation prompt in alle Medien brachte. Die Tagesthemen berichteten und die Bild-Zeitung titelte: „Campari-Erbe gibt eine Million für Aidskranke“.
Die daraus resultierende Prominenz erleichterte die Rekrutierung von Geldgebern und weckte die Aufmerksamkeit der HIV-Positiven. Die Stiftung wurde zum Selbstläufer. Und sie operierte auch dann erfolgreich weiter, als ihr Gründer 1994 zurück in seine Heimat Hamburg zog, um dort jene denkwürdige Dekade als Aids-Pastor zu bestreiten, in der sich hinsichtlich HIV und Aids unglaublich viel veränderte.
„In dieser Zeit trat das ein, was man mit dem unschönen Wort ‚Normalisierung‘ bezeichnen kann. Nach der Welt-Aids-Konferenz in Vancouver 1996 und der Einführung der antiretroviralen Therapie ging meine Arbeit allmählich von der Sterbeberatung zur Lebensberatung über.“ 2004 dann der Ruhestand, 2005 die Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse, 2007 die Verleihung der Goldenen Kompassnadel vom Schwulen Netzwerk NRW.
Ein Rückzug ins Private kommt nicht in Frage
2011 steht nun im Zeichen von Hochzeit und siebzigstem Geburtstag. Ein endgültiger Rückzug ins Private? Mitnichten. Rainer Ehlers bleibt Ansprechpartner für die Aidshilfen, sitzt weiterhin im Fachbeirat seiner Stiftung und steht als Redner für Symposien zur Verfügung.
„Ich denke, dass meine Beurteilung und meine Art mit Dingen umzugehen noch immer hilfreich sein können“, sagt er. „Weil ich völlig unabhängig bin. Eine sehr privilegierte Position, wie ich finde.“
Tatsächlich ist seine Unabhängigkeit das Wesentliche, zu dem man Rainer Ehlers an seinem Siebzigsten beglückwünschen muss, denn sie ist sein eigener Verdienst. Er ist objektiv geblieben, weil er sein Schaffen immer daran ausgerichtet hat, was gerade nötig war, nicht an persönlichen Eitelkeiten.
Dass er seinen Nachnamen abgelegt hat, ist dafür ein gutes Beispiel. Rainer Ehlers braucht den Applaus nicht, den ihm der „Wertbegriff“ Jarchow einbringt. Wir applaudieren auch und gerade deswegen und sagen: Herzlichen Glückwunsch!