Ich habe in ein paar Posts über die Entwicklung der Medikamente heute geschrieben. Was dabei auffällt ist, wie oft der Zufall dabei eine Rolle gespielt hat:
- Penicillin und Antibiotika
- Insulin
- Marcoumar
- Viagra
- Regaine
- Lidocain und Lokalanästhetika
- opioide Schmerzmittel
Verschiedene Umstände machen den Zufall so prominent bei der Entdeckung von Medikamenten. Unser Körper, Wirkstoffe und ihre Wechselwirkung sind so komplex, dass wir sie selbst heute noch trotz enormem wissenschaftlichem Fortschritt nicht komplett verstehen.
Während einer langen Zeit unserer Entwicklung standen wir diesbezüglich fast vollkommen im Dunkeln. Unser Unwissen dämpfte aber nicht das Verlangen nach etwas um Krankheit und Leid mindern zu können. Wir suchten nach Medikamenten und Behandlungsmethoden.
In der Verzweiflung nahm man das wenige, das man an Wissen hatte und ging Risiken ein und versuchte neues.
Die Erinnerung an die Fehler die gemacht wurden und der Preis der dafür gezahlt wurde findet sich heute noch im Wort Pharma … das griechische Pharmakon bedeutet beides: Heilmittel und Gift.
Glücklicherweise waren nicht alle Ergebnisse tödlich, manches führte zu wertvollen Erkenntnissen. Durch Versuch und Empirik gelangten unsere Vorfahren zu Wissen über das Erkennen von Krankheiten, deren Verlauf und manch Behandlungsmethoden und auch erste Medikamente.
Ein Medikament ist eine chemische Struktur die wirksam und sicher ist für die Behandlung einer Krankheit oder ihrer Symptome.
Die ersten Medikamente waren Chemikalien, die man aus Pflanzen extrahierte, von denen bekannt war, dass sie wirkten. Z.B. das Schmerzmittel Morphin aus Opium und auch der Weidenrindenextrakt, den wir im Aspirin wiederfinden.
Neben der Natur haben Medikamente heute eine zweite Quelle in chemischen Labors, welche Atome und Moleküle kombinieren um neue Verbindungen zu schaffen. Die Hersteller von Chemikalien, (speziell von Farbstoffen) bekamen ein weiterer Eckstein der pharmazeutischen Industrie.
Die Natur bietet Millionen von Substanzen aus Pflanzen und Organismen und Chemiker können nochmals so viele produzieren. Wie findet man jetzt in diesem Heustock an Substanzen die wenigen mit therapeutischem Potential, diejenigen, die sich gegen eine Krankheit einsetzen lassen?
4 G’s: Geduld, Geschick, Glück und Geld – das war die Antwort von Paul Ehrlich, dem Vater der Medikamententherapie.
Basierend auf der Beobachtung, dass verschiedene Färbemittel unterschiedlich auf verschiedene Zelltypen färbten entwickelte er um 1900 die „Rezeptor-Theorie“ – nämlich dass Chemikalien an unterschiedliche Rezeptoren der Zellen binden und so eine Wirkung auslösen.
Ein Molekül, speziell ein Toxin (Gift) könnte sich gezielt an ein Bakterium binden und es töten. Zur Zeit der Formulierung reine Spekulation entwickelte sich diese Rezeptor-Theorie 50 Jahre später zur Grundlage der Pharmakologie.
Paul Ehrlich selbst untersuchte hunderte Arsen-haltige Verbindungen um sie gegen das Bakterium, das Syphilis verursacht einzusetzen und 1909 entwickelte er so das Medikament Salvarsan. Die vielen möglichen Verbindungen zu testen ist langwierig und oft langweilig und es ist immer noch das Element des Glücks vorhanden, das einen einen wirksamen Stoff finden lässt.
Die Natur ist ein riesiges Grundlager. Der Mikrobiologe Selman Waksman und sein Team begannen 1939 Mikroben, die im Boden lebten nach Aktivitäten gegen pathogene (krankheitserregende) Bakterien zu testen. Über die Jahre testeten er und seine Gruppe einige zehntausend Mikroben … aus denen (oder deren Produkten) schliesslich 10 Medikamente entstanden. Das wichtigste davon: das Antibiotikum Streptomycin gegen Tuberkulose.
Gesponsert von pharmazeutischen Firmen, Staatsbetrieben und Universitäten durchforsteten Bioprospektoren darauf jeden Winkel der Erde um Proben der Erde, der Luft und Wasser zu nehmen und Pflanzen zu sammeln- manchmal geführt durch Erkenntnisse der Volksmedizin.
Aus dieser Sammlung kamen die Hinweise auf die meisten Antibiotika, Immunsuppressiva, Krebsmittel und über 100 der bedeutendsten Medikamente heute.
Dann in den 1970ern nahm die Zahl der neuen Substanzen ab. Nachdem man Millionen von Mikroorganismen und Pflanzen getestet hat brachten neue Tests nur dieselben alten Substanzen.
Das Pendel schwang zurück zur anderen Quelle für Wirkstoffe: synthetische Chemikalien. Medizinische Chemiker haben über die Jahrzehnte viele Wirkstoff-ähnliche Substanzen produziert. Ab den späten 1980er Jahren wurde deren Produktivität noch erhöht durch die kombinatorische Chemie, die neue Verbindungen tausendmal schneller und zu niedrigeren Kosten produzieren kann. Bibliotheken mit Millionen von chemischen Verbindungen sind in industrie- und akademischen Labors angesammelt. Computer, Roboter, Miniturisierung und andere Technologien ermöglichen es Forschern sie effektiv zu handhaben. Man kann heute bis 100’000 Verbindungen täglich screenen.
Dieses Massen-screening ist nicht notwendigerweise blindes Suchen. Heute sucht man gezielt in „chemischen Bibliotheken“ mit entsprechenden Themen nach aussichtsreichen Verbindungen.
Je mehr wir über die Funktion des Körpers wissen, je mehr wir erkennen, welche Strukturen dabei eine Rolle spielen und wie sie aussehen desto gezielter können wir nach Substanzen suchen, die mit diesen Strukturen interagieren. Die Theorie mit den Rezeptoren verhält immer noch. Dank Elektronenmikroskopen wissen wir, wie die Rezeptor-Proteine aussehen und wo sie Andockstellen für Substanzen haben – die dann Reaktionen in der Zelle auslösen. Und dann wird gezielt nach Substanzen gesucht, die in diese Stellen passen.
Etwa 5000 oder mehr mögliche Ziele für Medikamente sind dadurch bekannt. Die praktische therapeutische Anwendung aber braucht viel mehr an Forschung was die physiologische Rolle dieser Ziele betrifft und die Wechselwirkung mit Medikamenten-ähnlichen Substanzen.
Vorher haben Menschen alles versucht ohne Ahnung, ob es auch funktionieren würde. Versuch und Irrtum spielen heute immer noch eine grosse Rolle, aber nun wird das gelenkt durch das (teilweise) Wissen um die Ziele des Medikaments. Das Wissen um die Struktur des Zielmoleküls gibt den Pharmakologen eine Idee, wie das neue Medikament aussehen sollte. Aber Zufall … und Glück, das braucht es auch heute noch.
Demnächst: vom Wirkstoff zum Medikament
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