Darf man als Arzt/Ärztin vor PatientInnen oder Angehörigen weinen?
Ich verhalte es mir, denn ich bin der Meinung, dass ich nicht die Berechtigung habe auch zu weinen, wenn jemand stirbt. Denn im Beruf bin ich weder die direkt Betroffene, noch die Angehörige. Deswegen muss ich stark sein, auch wenn ich manchmal am liebsten mitheulen möchte.
Es gibt einige Krankheitsfälle, die tragisch verlaufen und die mich nachdenklich stimmen. Wenn aber ein junger Mensch stirbt, noch dazu plötzlich, nimmt es mich wirklich mit. Vor kurzem kam eine junge Frau zu uns, die einen schweren Autounfall erlitt. Eigentlich war bei Eintritt schon klar, dass sie sehr schlechte Karten hat. Das Schädel-CT war eine Katastrophe, komplett verstrichene Sulci und die Mittellinie war überall, nur nicht in der Medianen. Die Leber war am auseinanderfallen, Stunde um Stunde füllten wir Erythrozytenbeutel um Beutel nach. Nach zwei Tagen führten wir mit den Angehörigen das Gespräch. Dass man nicht mehr operieren könne und auch im Sedationsstopp kein Anzeichen von Aufwachen ersichtlich sei. Dass es uns sehr leid tue, aber dass ihre 20-jährige Tochter und Schwester nicht mehr aufwachen werde. Am Bett der Patientin war ich bedrückt, aber es war nicht so schlimm. Dass sie eigentlich schon tot ist, war mir zwei Tage zuvor bei der Aufnahme schon klar. Aber dann sah ich die Familie vor mir, die zutiefst schockierten Eltern, die es nicht fassen möchten und können. Daneben die 3 Geschwister, die nur weinten und nichts mehr sagen konnten. Ich setzte mein “Pokerface” auf, ich versuchte ernst und seriös zu bleiben und musste mich konzentrieren, damit ich nicht auch mitheulte.
Nach dem Gespräch sperrte ich mich auf der Toilette ein und musste erst mal ein paar Minuten heulen und mich wieder fassen. Danach überlegte ich mir, was Angehörige wohl denken, wenn ein Arzt vor ihnen weinen oder feuchte Augen bekommen würde. Würden sie es als Empathie auffassen, oder als Schwäche?