Ich hielt die Karte so in die Luft, dass Willi sie sehen konnte, Prof. Deutschmann aber nicht.
“ASA II, 5 F’s, PONV!!! lap OP, abdomineller Druck, ggf. respiratorische Kompl.”
stand auf meiner Karte zu lesen. Dann schrieb ich noch ein “Ich verabscheue dich, du Idiot.” darunter. Willi grinste nur blöd und ratterte brav die von mir erwähnten Punkte herunter. Er schaffte es sogar, das alles in einen einigermaßen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Prof. Deutschmann nickte erfreut. “Sehr gut, sehr gut.”, sagte er. Ich verabscheute nun auch ihn. “Dann erzählen sie doch mal was zur medikamentösen PONV-Prophylaxe.”, forderte er Willi auf. Dieser guckte wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Wahrscheinlich wusste er noch nicht mal, dass es sich bei PONV um postoperative Übelkeit und Erbrechen handelte. Abermals sah ich mich genötigt, etwas auf meine Karte zu schreiben.
“4 mg Dexamethason vorab, kurz vor Ende Ondansetron 4 mg und MCP 10 mg, ggf. TIVA, du minderbemittelter Volltrottel.”
Willi las das Geschriebene brav vor, allerdings ohne den letzten Zusatz. Das hätte ich auch zu schön gefunden, wenn ihm das rausgerutscht wäre, aber den Gefallen tat er mir nicht. Mir war schon klar, dass die Antwort weit über das geforderte Maß eines Staatsexamens hinausging, entsprechend begeistert war Prof. Deutschmann auch von Willis Antwort.
“Ausgezeichnet, Herr Willi, sehr differenziert. Dann wollen wir mal…” Er sah sich suchend um. Dann fand er mich, die ich gerade noch hektisch die Karteikarte wieder einstecken konnte.
“Schwester Anna…? Wollen Sie uns vielleicht mal mit dem Dexamethason aushelfen?”, fragte er ungeduldig. Ach ja, ich hatte irgendwie vergessen, dass das jetzt ja mein Job war. Hektisch suchte ich das gewünschte Medikament und injizierte es der Patientin. Prof. Deutschmann sah etwas unbegeistert aus.
“Nun, Herr Willi, dann sagen Sie uns doch bitte, mit welchen Medikamenten und in welcher Dosierung sie hier die Narkose beginnen würden. Willi sah mich abermals erschrocken an. Stirnrunzelnd griff ich nach meinen Karteikarten und schrieb ihm die Dosierung für Fentanyl, Propofol und Atracurium in Relation zum Körpergewicht auf. Willi trug diese erleichtert vor. Herr Prof. Deutschmann nickte zufrieden. Dann drehte er sich wieder zu mir.
“Anna…”, bemerkte er tadelnd. Mist, schon wieder hatte ich vergessen, dass ich hier auch noch was zu tun hatte. Ich injizierte brav die gewünschten Medikamente, ohne das Muskelrelaxanz, wie es Willi vorher, oh Wunder, richtig dargelegt hatte. Willi versuchte sich an der Maskenbeatmung. Zu meiner Überraschung klappte das sogar, auch wenn er viel zu viel Druck applizierte, was Prof. Deutschmann allerdings nicht zu merken schien. Dabei ließ er Willi etwas zur Präoxygenierung erzählen, was ich schnell durch eine Karte mit:
“Stickstoff auswaschen, funktionelle Residualkapazität, du minderbemittelte Kreatur!”
in die richtigen Bahnen zu lenken wusste. Dabei musste ich mich erneut von Prof. Deutschmann kritisieren lassen, weil ich vergessen hatte, jetzt das Muskelrelaxanz zu spritzen.
“Jetzt könne Sie den bislang ausgezeichneten Eindruck noch damit küren, Herr Willi, dass sie die Patientin erfolgreich intubieren!” Prof. Deutschmann lächelte Willi aufmunternd zu. Mir wurde schlecht. Willi konnte nicht mal intubieren, wenn man ihm auf dem Weg zu den Stimmbändern Leuchtsignale aufstellen würde. Fast hätte ich meinen Einsatz verpasst, aber dann reichte ich Willi gerade noch rechtzeitig das Laryngoskop. Er machte sich irgendwie am Mund der Patientin zu schaffen, mit wurde schon übel, als ich sah, wie er an der oberen Zahnreihe herumhebelte. Hier würde ich ihm wohl nicht helfen können – oder doch? In diesem Moment ging die Tür auf und eine junge Schwester betrat aufgeregt den Raum. “Herr Professor Deutschmann, kommen Sie schnell, nebenan gibt es ein Problem!” rief sie ganz außer Atem. Der Professor zögerte, dann gab er jedoch nach. “Bin sofort wieder da!”, rief er und rannte hinaus.
“Aus dem Weg.”, herrschte ich den noch immer wild herumfuchtelnden Willi an und riss ihm unsanft das Laryngoskop aus der Hand, bevor die arme Patientin keine Zähne mehr hatte. Mit einer schnellen Bewegung war die Patientin intubiert.
“Ich hätte das auch gekonnt!”, sagte Willi beleidigt.
“Willi, du kannst gar nichts. Jetzt konnektierst du das mal alles schön und klebst den Tubus da fest, ich stelle das Beatmungsgerät ein, und wenn der Deutschmann wiederkommt, dann erzählst du ihm was von lungenprotektiver Beatmung, Vermeidung von Atelektasen durch PEEP und FiO2-Reduktion und lächelst nett, kapiert?” Willi nickte. Wir waren gerade so mit allem fertig, als Prof. Deutschmann wieder zu Tür herein kam.
“Entschuldigen Sie bitte… nebenan an gab es ein Problem mit dem Atemweg… Ich sehe aber, sie hatten hier keine Probleme. Ausgezeichnet, Herr Willi, das war sicher nicht einfach! Und ich sehe, sie haben bereits das Beatmungsgerät eingestellt, sehr gut, sie haben sich da ja einige Gedanken gemacht, erzählen Sie doch mal!” Dann fiel sein Blick auf die Tubusfixierung. “Aber Anna…” er schüttelte den Kopf. Wie sieht DAS denn aus? Das machen Sie nachher bitte nochmal neu!”
Ich kochte innerlich, während Willi etwas von lungenprotektiver Beatmung, Vermeidung von Atelektasen durch PEEP und FiO2-Reduktion erzählte. Der Professor nickte begeistert. Als Willi geendet hatte, klatschte er in seine Hände. “Ausgezeichnet, Herr Willi, wirklich. Ihre Leistung hier ist wirklich überzeugend! Selten habe ich einen Studenten auf so einem hohen Niveau Fragen beantworten sehen! Ich denke, wir können das dann hier beenden, Sie haben sich eine glatte Eins verdient.” Willi nickte stolz. Ich hätte mich fast übergeben. “Und das bei diesen widrigen Umständen…”, raunte er ihm mit einem Seitenblick auf mich zu. “Sie müssen entschuldigen… diese Schwester… naja… sie hat noch viel zu lernen.”
Willi lachte laut und schlug mir gönnerhaft auf die Schulter. “Ich kann ja mal versuchen, ihr ein bisschen was beizubringen, Herr Professor!”, wieherte er. Ich kollabierte fast vor unterdrücktem Ärger und trat Willi zumindest kräftig gegen das Schienbein, was dieser noch nicht mal zu bemerken schien.
So endete Willis Prüfung für alle Beteiligten außer mich zufriedenstellend. Glücklicherweise hat er sein Examen trotzdem nicht bestanden. Seine anderen mündlichen Prüfungen hat er allesamt vergeigt ;-D, weshalb man ihm nahelegte, einen Teil des PJs nochmals zu wiederholen. Er entschied sich natürlich, dies in der Anästhesie zu tun. Bei uns. Und so wird er wiederkommen, gleich nächsten Monat fängt er wieder als PJler bei uns an…
Nochmals zum allgemeinen Verständnis: diese Geschichte ist – wie alle anderen auch – reine Fiktion.