Die Situation ist alarmierend. Doch der Staat schweigt

Logo des Präventionsnetzwerks LaSky

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Seit sieben Jahren engagiert sich das russische Netzwerk LaSky in der HIV-Prävention für Schwule und andere Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Über die Situation im Land und die Arbeit von LaSky berichtet Xenia Maximova.

Laut offizieller Statistik sind die meisten HIV-Positiven in Russland intravenös Drogen Gebrauchende. Unter den Betroffenen scheint es so gut wie keine MSM zu geben. „Ganz im Gegenteil“, korrigiert LaSky-Leiter Andrey Beloglazov, „die Infektion verbreitet sich in letzter Zeit gerade unter Männern, die Sex mit Männern haben“. Andrey weiß, wovon er spricht, er kennt die Situation von innen. „Es ist alarmierend. Noch nie zuvor sind so viele Männer an den Folgen der HIV-Infektion gestorben, darunter auch Bekannte, ebenso Leute mit gutem Einkommen, Prominente…“.

Aber kaum etwas geschieht. HIV-Prävention für Schwule und andere MSM leisten in Russland bisher nur die wenigen Nichtregierungsorganisationen. Sie sind auch die einzigen, die ein staatliches Engagement in diesem Feld einfordern. Der Staat hört sich das zwar an, wird aber nicht aktiv – und schweigt weiter. Die offiziellen Daten liefern schließlich keine Belege für dringenden Handlungsbedarf. „Es ist kaum zu erklären, weshalb die Ärzte ihre schwulen Patienten nicht als solche melden“, so Andrey Beloglazov. Erst 2011 habe das russische Gesundheitsministerium reagiert und homosexuelle Männer zu den „HIV-Risikogruppen“ hinzugefügt.

Mit HIV/Aids befasst man sich im Medizinstudium nur zwei Stunden

Fortbildung für Ärzte zum Thema MSM hält Andrey für sehr wichtig. „Ich würde nicht sagen, dass Homophobie bei russischen Medizinern weit verbreitet ist. Die meisten sind sehr offen, aber es mangelt ihnen an aktuellen Informationen.“ Er erinnert sich an einen Vortrag, den er im Rahmen eines Runden Tisches gehalten hat. Die meisten Anwesenden waren Fachärzte für Infektionskrankheiten. Nach dem Vortrag habe sich ein älterer Professor mit einem Händedruck bei ihm bedankt und gesagt: „Sie haben mir die Augen geöffnet!“. Die Zurückhaltung der Ärzte rührt nicht zuletzt auch daher, dass unter „Prophylaxe“ traditionell die Impfung verstanden wird, nicht aber Prävention im Sinne von Information und Befähigung zur Risikominderung. Und mit dem Thema HIV befasst man sich im Medizinstudium ohnehin nur zwei Stunden.

LaSky-Leiter Andrey Beloglazov. Foto: Tom Scheel

LaSky-Leiter Andrey Beloglazov. Foto: Tom Scheel

LaSky hat jede Menge Projektideen. Einige konnten verwirklicht werden, für weitere mangelt es an Geld. Im Petersburger Büro der Organisation werden ärztliche und psychologische Beratung und Safer-Sex-Kurse angeboten, es gibt ein Community-Zentrum, einen Stammtisch, einen kostenlosen Friseur. Auch Kunstworkshops sind im Programm. „Von einem Teilnehmer habe ich selbstgemachte Pelmeni* aus regenbogenfarbenem Teig bekommen“, lacht Andrey.

„Jungs aus der Provinz sind so fasziniert, dass sie alles vergessen, was sie irgendwann einmal zum Schutz vor HIV gehört haben“

Die Organisation will möglichst viele MSM an ihre Angebote binden, damit sie miteinander ins Gespräch kommen und sich dadurch stärker fühlen. „Im Lauf von sieben Jahren haben wir bei Schwulen und anderen MSM viel Vertrauen aufbauen können, sodass jetzt ganz unterschiedliche Leute zu uns kommen – von Jungs aus der Provinz, die in die Stadt zum Geldverdienen kommen, bis hin zu Top-Managern, die sich einsam fühlen“, erzählt Ilja Kurmaev, Leiter des Petersburger Büros.

LaSky-Zentren gibt es in zehn russischen Regionen. Die Arbeit in Moskau und Sankt Petersburg beschreibt Andrey als besonders schwierig. Denn diese vergleichsweise reichen Städte bekommen nur einen winzigen Teil des ohnehin bescheidenen Budgets der Organisation – trotz des starken Zustroms von Männern aus der Provinz. Sie kommen in die Metropolen, weil ein Coming-out hier eher möglich ist und es große Schwulenszenen gibt. Sie sind zwar verborgen, aber genauso schick wie etwa die in New York. „Jungs aus der Provinz kommen in die Clubs und sind so fasziniert, dass sie alles vergessen, was sie irgendwann einmal zum Schutz vor HIV gehört haben“, erzählt Andrey. „Nirgendwo liegen kostenlose Kondome bereit – wer welche benutzen will, muss dafür Geld hinlegen. Da kauft man sich lieber ein Getränk. Und das Virus? Das kann es hier doch gar nicht geben, wo alles so glamourös und schick ist!“

Manche HIV-Positive nehmen lieber eine Nacht im Zug in Kauf, statt sich im nächsten Aidszentrum anzumelden

Andererseits herrscht in den Schwulenszenen die Aidsphobie. Manche HIV-Positive, die es sich finanziell leisten können, lassen sich nicht in Moskau oder Petersburg, sondern in anderen Städten medizinisch behandeln. Sie nehmen lieber eine Nacht im Zug in Kauf, statt sich im nächsten Aidszentrum anzumelden. Man würde dort bestimmt jemanden treffen, der einen kennt – und dann spräche sich die HIV-Infektion schnell herum. Einige gehen noch viel weiter weg, zum Beispiel nach Berlin. Hier sind die Überlebenschancen größer: Man kann sich medizinisch behandeln lassen, kann eine Aus- oder Weiterbildung machen und findet vielleicht auch einen Job.

Ausstellung "Männer wie wir" in Petersburg. Foto: LaSky

Ausstellung "Männer wie wir" in Petersburg. Foto: LaSky

Eines der LaSky-Projekte ist auch in Deutschland und in der Schweiz bekannt geworden: die Fotoausstellung „Männer wie wir. Es lohnt sich zu leben!“. Sie umfasst rund 90 Exponate von russischen Fotokünstlern, die Männer durch das „verliebte Objektiv“ ihrer Kameras beobachtet haben. Ins Bild gesetzt werden dabei Aspekte wie Homophobie, aber auch gegenseitiger Respekt und Wertschätzung der eigenen Person – wichtige Voraussetzungen, um Verantwortung für sich selbst und andere übernehmen zu können. Safer Sex und HIV-Prävention sind denn auch Schwerpunkte der Ausstellung.

„Ich stelle mit Erstaunen fest, dass die Menschen in Petersburg immer toleranter werden“

In Petersburg hat LaSky die Ausstellung im letzten Herbst zum zweiten Mal gezeigt. Einige Fotos zeigen die Liebe zwischen Männern. „Ich stelle mit Erstaunen fest, dass die Menschen in Petersburg, besonders die Jugendlichen, immer toleranter werden. Wir mussten kaum homophobe Angriffe befürchten“, sagt Ilja Kurmaev. Anders war das 2009, als die Fotosammlung zum ersten Mal präsentiert wurde: Damals standen vor dem Eingang Babuschkas mit orthodoxen Kreuzen und Ikonen in den Händen und ließen die Besucher nicht rein.

LaSky – der Name der Organisation ist Programm. Das englische Wort „Sky“ verweist auf die Farbe Blau, die in der russischen Umgangssprache schwule Männer symbolisiert. Zusammen mit dem spanischen Artikel „la“ ausgesprochen wird daraus der russische Imperativ „laskaj“, was „liebkose“ bedeutet. Dieser Aufruf findet sich auch in den Slogans des Projekts, wie etwa „LaSky mit Vertrauen!“ oder „LaSky sicher!“.

 

* Pelmini: mit Fleisch gefüllte Teigtaschen, die in Wasser oder Brühe gekocht werden

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