“Ich habe ein Magen-Carcinom. Vielleicht auch distaler Ösophagus, das weiß ich nicht so genau.”
“Aha.” Dr. Lampe, der niedergelassene internistische Kollege, sah mich zweifelnd an. “Was haben Sie denn für Symptome? Magenschmerzen? Schluckbeschwerden? Bluterbrechen? Gewichtsverlust?”
“Nichts von alledem. Aber neulich hatte ich eine Patientin, die war 27 Jahre und hatte ein Adenocarcinom des Magens. Hässliche Geschichte, schon voll durchmetastasiert, da war nicht mehr viel zu machen.”
Dr. Lampe drehte seinen Kugelschreiber ein paar Mal hin und her. “Sie haben kein Magen-Carcinom, nur weil andere Menschen eins haben.”
Ich rutschte unruhig auf dem unbequemen Plastikstuhl hin und her. “Nun, möglicherweise habe ich auch einen Tumor in der Lunge. Gestern habe ich ein Mal gehustet.”
Dr. Lampe machte große Augen. “Und sonst? Atemnot, Bluthusten, rezidivierende Infekte, irgend sowas?”
“Nein, nichts dergleichen. Aber ich hatte da neulich so einen Patienten, 35 Jahre alt und hatte Tumoren in beiden Lungenflügeln. Trauriger Fall.”
“Können Sie sich körperlich belasten?”
“Gestern noch zwanzig Kilometer gelaufen, ging ganz gut.”
Dr. Lampe wollte unübersehbar mit dem Kopf gegen die Tischkante schlagen. “Sie haben kein Lungencarcinom, ganz sicher nicht.”
“Ok…” ich überlegte. “Pankreas vielleicht? Ich hatte da neulich eine 34jährige Patientin, die hatte…”
“Ein Pancreas-Carcinom, ich weiß.” vollendete Dr. Lampe meinen Satz.
“Traurige Geschichte.”, sagte ich. “Noch so jung.”
“Hören Sie, Anna, nur weil Sie sich jeden Tag mit einer Negativauswahl konfrontiert sehen, heißt das noch lange nicht, dass Sie das gleiche Schicksal erleiden werden. In Ihrer Altersgruppe ist jede Art von Tumorerkrankung selten!”
“Wollen wir nicht doch ein Ganzkörper-MRT machen?”, fragte ich hoffnungsvoll.
“Nein, wollen wir nicht.”
“Ok, aber was ist mit einem Colon-Carcinom, das könnte ich doch haben?”
“Haben Sie irgendwelche Symptome, die dafür sprechen würden?” Dr. Lampe war jetzt zusehends genervt.
“Nicht wirklich… aber man weiß ja nie. Ich hatte da neulich mal so einen Patienten, der war 37 Jahre alt und…”
“Ich will es gar nicht hören!” unterbrach mich Dr. Lampe barsch. Dann sprach er mit etwas ruhigerer Stimme weiter: “Hören Sie, Anna, in welchem Saal sind Sie denn gerade eingesetzt?”
“Saal 14.”, erklärte ich ihm.
“Und das heißt?”
“Große Bauch- und Thoraxchirurgie?”
Dr. Lampe ließ seinen Stift auf den imposanten Mahagoni-Schreibtisch fallen. “Ich werde Ihnen jetzt sagen, was Sie haben.”
Ich sah ihn erwartungsvoll an. “Sie haben einen akuten Fall von Saal 14-Syndrom, das ist alles! Und jetzt gehen Sie bitte, denn Sie sind vollkommen gesund, und wenn ich Sie noch ein Mal wegen solch vermeintlicher Beschwerden sehe, dann verschreibe ich Ihnen Psychopharmaka.
Ich war ganz schnell weg.