Die seltsamsten Sachen erlebt man nachts. Schon komisch.
Umreißen wir einmal kurz die Situation:
Patient, mittelalt, Diabetiker. Hypoglykämie, aber keine neue Highscore (bzw Lowscore): Ehefrau hat dem Patienten bereits subkutan Glukagon gegeben.
Der Notarzt trifft ein, als wir unseren Patienten (dem es sichtbar schlecht geht, trotz noch/wieder normalen BZ-Wertes) bereits im RTW haben, lässt sich von uns die Werte erzählen und erklärt uns erstmal (vor dem Patienten, natürlich) für bekloppt, dass das ja ein völlig normaler BZ sei, warum wir ihm denn was von Unterzuckerung erzählen wollten, usw. Okaaay.
Da es dem Patienten aber wenige Minuten später wieder schlechter geht, messen wir den BZ erneut, und siehe da: der ist schon nicht mehr grenzwertig, sondern drunter.
Unser Patient ist wach, orientiert, usw, also hätte man ihm ja eigentlich auch ganz gut unser Zitronentörtchen Glukosegel oral geben können.
Notarzt ist aber ein kleiner Rettungsgott und möchte das unbedingt intravenös machen. Ist ja auch nachvollziehbar, bei derart schlechten Venenverhältnissen nachts um halb drei flammt bei mir auch immer der Ehrgeiz auf. Nicht.
Egal, Notarzt will zugehen, ich bereite alles vor.
Ganz ehrlich, ich kann wirklich richtig gut Zugänge legen (das ist meine geheime Superkraft), aber da hätte ich allerhöchstens rosa gewählt. Und das auch nur, wenn’s wirklich nötig gewesen wäre. Bei diesem Patienten hätte ich auf den Zugang verzichtet.
Notarzt will zeigen, was in ihm steckt, und fordert grün. Bitte, gerne, grüne Viggo angereicht, festgeklebt, Infusion drangebastelt. Kurz getestet, läuft, fein.
Ich hätte vielleicht ein wenig länger gewartet als zwei Tropfen, bis ich die Glukose injiziert hätte. Glukose ist echt venenreizend, und verursacht Nekrosen (also ein Absterben des Gewebes) wenn es ins Gewebe gerät (z.B. wenn der Zugang nicht richtig liegt oder die Vene platzt, was ja gerade bei schlechten Venen schon mal passieren kann). Aber hey, der Notarzt weiß ja bestimmt, was er da tut.
(Um die Spannung direkt aufzulösen: Nein, die Vene ist nicht geplatzt.)
Während der Fahrt ins nächstgelegene Krankenhaus wunderte der NA sich über das Glukagon, das unser Patient von seiner treusorgenden Ehefrau bekommen hat. Hätte er ja noch nie gehört, dass ein Diabetiker Glukagon hätte. Ich übrigens schon, in dem Ferienlager, das ich vorletzten Sommer betreut habe, hatte das nahezu jedes diabeteskranke Kind dabei.
Das wäre ja total komisch, warum der denn nicht stattdessen Glukose hätte, das wäre ja wirksamer, um eine Unterzuckerung aufzufangen.
Auf unere Mutmaßung, dass Glukagon halt den Vorteil hätte, dass man es auch subkutan geben könnte, und deswegen “für den Hausgebrauch” geeigneter, meinte er nur:
“Glukose kann man ja auch subkutan geben.”
(Hinterher habe ich natürlich recherchiert, und anscheinend kann man 5%ige Glukose tatsächlich im Notfall auch subkutan geben. Nun denn. Wenn ich aber daran denke, wie sorglos er die deutlich höher konzentrierte Glukose durch einen potentiell unsicheren Zugang in eine wirklich sehr kleine Vene gegeben hat, habe ich so meine Zweifel daran, ob er sich bewusst war, dass das nicht für jede Glukosekonzentration gilt.)
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