GEMA-Gebühren für Musik in der Praxis?

Wer in Deutschland Musik der Öffentlichkeit zugänglich macht, ist im Normalfall automatisch Kunde der GEMA, unabhängig davon ob es sich bei diesen Kunden um Radio- oder Fernsehsender, Kinos, Veranstaltern von öffentlichen Musikdarbietungen o.ä, handelt.

Bisher wurden auch Leistungserbringer des Gesundheitswesens von der GEMA zur Kasse gebeten, sofern sie ihren Patienten die Wartezeit mit der Wiedergabe von Musikstücken verkürzten.

Nach dem aktuellen Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 15.03.2012 (C-135/10) soll dies nun der Vergangenheit angehören.

Der Hintergrund:

Die Gebührenpflicht für die öffentliche Wiedergabe begründet sich in Deutschland aus dem Urheberrechtsgesetz, nach welchem dem Urheber die ausschließlichen Rechte an seinem Werk zustehen, unter anderem auch das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.

In § 15 Abs. 3 UrhG wird die öffentliche Wiedergabe wie folgt definiert:

 „Die Wiedergabe ist öffentlich, wenn sie für eine Mehrzahl von Mitgliedern der Öffentlichkeit bestimmt ist. Zur Öffentlichkeit gehört jeder, der nicht mit demjenigen, der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen, denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehungen verbunden ist.“

Dieses Recht kann der Künstler gegen eine entsprechende Vergütung auch Dritten einräumen. Um die Wahrnehmung seiner Interessen des Künstlers praktikabel auszugestalten vertritt die GEMA als Verwertungsgesellschaft dessen Rechte und zieht dazu Gebühren unter anderem von den Nutzern, die Werke öffentlich zugänglich machen.

Da den Urhebern von Werkstücken das Recht auf eine angemessene Vergütung mittels Unionsrecht auch in allen anderen europäischen Mitgliedsstaaten eingeräumt werden muss, existieren auch außerhalb Deutschlands entsprechende Verwertungsgesellschaften der einzelnen Länder, wie beispielsweise die italienische SCF.

Diese hatte in Ausübung Ihrer Interessenwahrnehmung gegen einen italienischen Zahnarzt Klage auf Feststellung erhoben, dass dieser in seiner privaten Zahnarztpraxis in Turin als Hintergrundmusik geschützte Tonträger wiedergegeben habe und dass für diese Tätigkeit eine angemessene Vergütung zu entrichten sei.

Im Rahmen dieses Rechtsstreits wandte sich die Corte d’appello di Torino (Berufungsgericht Turin, Italien) an den europäischen Gerichtshof, unter anderem mit der Frage, ob der Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ die kostenlose Wiedergabe von Tonträgern in einer privaten Zahnarztpraxis erfasst.

Die Entscheidung:

In seiner Entscheidung vom 15.03.2012 (C-135/10) verneinte der Europäische Gerichtshof diese Frage mit folgender Begründung:

Ob eine „öffentliche Wiedergabe“ durch die kostenlose Wiedergabe von Tonträgern in einer privaten Zahnarztpraxis gegeben ist, sei an der Situation eines bestimmten Nutzers und sämtlicher Personen zur beurteilen, für die dieser die geschützten Tonträger wiedergibt. In diesem Zusammenhang seien eine Reihe weiterer Kriterien zu berücksichtigen, die unselbstständig und miteinander verflochten seien.

Zu diesen Kriterien gehöre nach der Rechtsprechung des Gerichtes zunächst die zentrale Rolle des Nutzers. Diese gebe nur dann ein Werk öffentlich wieder, wenn er „in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens tätig wird, um seinen Kunden Zugang zu einer Rundfunksendung zu verschaffen, die das geschützte Werk enthält“.

Als zweites Kriterium widmete sich das Gericht dem Begriff der „Öffentlichkeit“, welche dem Gericht zufolge aus einer unbestimmten Zahl potentieller Leistungsempfänger und aus recht vielen Personen -im Sinne einer Mindestschwelle- bestünde. Die unbestimmte Zahl der Leistungsempfänger konkretisierte das Gericht dabei als  „Personen allgemein, also nicht auf besondere Personen beschränkt, die einer privaten Gruppe angehören”.

Letztlich zog der EuGH auch den Umstand heran, ob die „öffentliche Wiedergabe“ Erwerbszwecken diene. Voraussetzung sei in diesem Zusammenhang, dass sich der Nutzer gezielt an das Publikum wende, für das die Wiedergabe vorgenommen wird. Zudem müsse das Publikum in der einen oder anderen Weise für diese Wiedergabe aufnahmebereit sein und nicht bloß zufällig “erreicht” werden.

Anhand der erwähnten Kriterien entschied der EuGH, dass ein Zahnarzt, der für seine Patienten in seiner Praxis kostenlos Tonträger wiedergibt, die unabhängig von ihrem Willen in deren Genuss gelangen, keine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne des Unionsrechts vornimmt. Die Patienten eines Zahnarztes würden üblicherweise eine Gesamtheit von Personen darstellen, deren Zusammensetzung weitgehend stabil sei. Im Hinblick auf die Anzahl der Personen, denen der Zahnarzt denselben Tonträger hörbar macht, handele es sich um eine unerheblich bis unbedeutende Mehrzahl von Personen, da der Kreis der gleichzeitig anwesenden Patienten in der Praxis des Zahnarztes im Allgemeinen sehr begrenzt sei. Selbst wenn Patienten aufeinanderfolgen, könne nicht von einer erheblichen Anzahl von Leistungsempfängern die Rede sein, da diese in aller Regel nicht Hörer desselben Tonträgers seien. Letztlich diene die Musikwiedergabe auch nicht den Erwerbszwecken eines Zahnarztes. Die Patienten würden eine Praxis lediglich zu dem einzigen Zweck der Behandlung aufsuchen, und lediglich zufällig und unabhängig von ihren Wünschen Zugang zu bestimmten Tonträgern haben, so die Richter.

Der Europäische Gerichtshof kann im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens von den Gerichten der Mitgliedsstaaten angerufen werden. Der Gerichtshof entscheidet lediglich über die ihm vorgelegten Fragen zur Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union. Den nationalen Rechtsstreit selbst entscheidet er jedoch nicht. Dies bleibt nach wie vor den nationalen Gerichten überlassen, welche aber in ihrer Entscheidung an die Vorgaben des EuGH gebunden sind.

Bisher sah neben der SCF auch die GEMA in Deutschland Ärzte und Zahnärzte, welche in ihren Wartezimmern Musik abspielten, als Gebührenschuldner für diese als „öffentlich“ eingestufte Musikwiedergabe an.

Praxistipp:

Die GEMA hat bereits angekündigt, durch ein unabhängiges Gutachten klären zu lassen, inwieweit die Entscheidung des EuGH die Rechtslage in Deutschland betrifft. Wir raten Ihnen, Zahlungsaufforderungen der GEMA zunächst unter Verweis auf dieses Urteil zu verweigern und die GEMA aufzufordern, bis zu einer abschließenden Klärung der Rechtslage in Deutschland die Beiträge zu stunden.

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