(P. Köhler) Präklinische Studien prüfen neue Wirkstoffe in der Regel an Kulturen von Krebszellen in Petrischalen, oder an kleinen Versuchstieren wie Ratten oder Mäusen. Die Versuchsberichte erscheinen jährlich zu Hunderten in den Fachzeitschriften oder werden auf unseren Kongressen präsentiert.
C. Glenn Begley, früherer Forschungschef des kalifornischen Biotech-Pharmaunternehmens Amgen (stellt u.a. Neupogen her) hatte viele solche Versuchsbeschreibungen in seinen Labors nachkochen lassen, um mögliche künftige Medikamente zu identifizieren. Sein Koautor Lee Ellis ist leitender Krebschirurg am MD Anderson Cancer Center in Houston.
Die Amgen-Wissenschaftler konnten von 53 veröffentlichten Studien nur sechs reproduzieren. Ellis und Begley ziehen daraus den Schluss, dass das akademische System die Autoren ermutige, zu schnell und zu viel zu publizieren, und sie fordern höhere Qualitätskriterien bei der Veröffentlichung.
Zum gleichen Ergebnis kam 2011 auch das Pharmaunternehmen Bayer.
Das ist schon etwas peinlich für die Grundlagenforscher und für die ganze Krebsmedizin. Man könnte zwar vermuten, dass die Labors von Amgen einfach zu schlecht sind, um die oft komplizierten Zell- und Tierversuche erfolgreich nachzustellen. Oder es liegt, wie Begley schreibt, an den falschen Anreizen für Wissenschaftler, schnell und oft zu publizieren und dabei immer möglichst hohe Erwartungen zu schüren, um Geldgeber und Universitätsgremien von ihrer Arbeit zu überzeugen.
Andererseits wissen wir doch schon lange, dass die Grundlagenforschung uns nur sehr selten wirklich neue Medikamente beschert: Von 25000 Artikeln in namhaften Zeitschriften aus den Jahren 1979-83 veranlassten nur 100 eine klinische Studie und nur eine einzige neue nützliche Wirkstoffklasse wurde gefunden (die ACE-Hemmer).
Es ist nach meiner Auffassung ein systematisches Problem und wird nicht gelöst, wenn Journals und Dekane nur besser aufpassen (trying harder is not an option). Vielmehr sollten wir akzeptieren, dass Krebs die komplizierteste Erkrankung der Welt ist.
Wenn Sie unerschrocken sind und den Unterschied zwischen einer monokausalen Krebstheorie wie der von Hulda Clark und der modernen Zellbiochemie noch nicht kennen, dann klicken Sie einmal auf http://www.nature.com/nrc/posters/subpathways/index.html (zehn Jahre alt) oder http://cancer.cellmap.org/cellmap/ (aktuell)!
Substanzen, die gegen Zellkulturen und Mäusetumoren wirken, helfen noch lange nicht beim Menschen, und selbst erfolgreiche Phase-I-Studien (= Anwendungen bei einzelnen Versuchspersonen) heissen noch lange nicht, dass das getestete Medikament auch die weiteren Hürden bis zur Marktreife passieren wird: tatsächlich schafft es nur jedes 20. Präparat bis in die Apotheken.
Wissenschaftler, Journalisten, und nicht zuletzt auch die Verantwortlichen für die Forschungsgelder müssen sich bewußt sein, dass a) nur wenige Ergebnisse aus dem Forschungslabor anderswo reproduzierbar sind, dass b) von den reproduzierten Ergebnissen die meisten nicht auf den Menschen übertragbar sind, und dass c) von den beim Menschen eingesetzten Substanzen nur ein kleiner Bruchteil sich als wirklich nützlich erweisen wird.
Und dennoch glaube ich, dass wir im nächsten Jahrzehnt größere Fortschritte in der Therapie des Krebses sehen werden als in allen Jahrhunderten zuvor.