Gastbeitrag: Diabetes, Kreppel und Fleischwurst

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Christian Mang, Mainz
Ein Medizinstudent, der auch hier bei WordPress ist (Synonymo), hat mich auf diese Seite aufmerksam gemacht! Ich bin selbst Arzt und lese mit Amüsement, wie sehr sich doch die Erlebnisse ähneln, die man mit Patienten und Angehörigen macht! Wobei -ehrlich gesagt- die Patienten von Medizynicus ja direkt noch geordnet denken, wenn ich das mit meinen Highlights vergleiche… ein Beispiel:

Ein Diabetiker brachte mir, nachdem ich bereits während einiger vorheriger Sitzungen mehrere Stunden Ernährungsschulung in ihn investiert hatte, in die Sprechstunde einen halben Ring warme Fleischwurst mit und packte sie auf meinem Schreibtisch aus mit den in rheinhessisch dargebrachten Worten: “Herr Doktor, Sie müsse mal was gutes esse! Sie sehe immer so ausgehungert aus”
(Während er das sagte, hatte er sich beim Anblick der vor uns liegenden Fleischwurst offenbar vagal so sehr erregt, dass seine nach aussen gespitzten Lippen ganz nass wurden vor Freude!) “Und zum Nachtisch habe ich Ihnen ein paar schöne Kreppel (=Berliner) mitgebracht!”
Wie von Zauberhand öffnete sich eine Tüte mit 6 (!) Kreppeln, die allesamt für mich gedacht waren, weil der Patient vorsorglich für sich selbst noch eine weitere Tüte mitgebracht hatte!
Das war einer jener Momente, bei denen in einem Comic über mir lediglich nur noch eine Gedankenblase gezeichnet worden wäre, die entweder leer gewesen wäre oder maximal drei Gedanken-Punkte beinhaltet hätte…

Dennoch war der Patient “extrem gesundheitsbewusst” und ich wurde im weiteren Gespräch missioniert! Ich wurde in einem Monolog aufgeklärt über die Cholesterin-Lüge! Er esse jeden Tag zwei bis drei Eier, denn Cholesterin sei ja ganz wichtig für den Körper. Ich unterliess den Versuch, zwischen nutritivem und endogen synthestisiertem Cholesterin zu differenzieren und überlegte stattdessen, wie ich ohne Verlust meiner Rolle als beispielgebendem und ernährungsbewusstem Arzt die vor mir liegende Fleischwurst in mich stopfen könne, da ich tatsächlich bis zum Nachmittag noch nicht ausreichend gegessen hatte! Ich war hin- und hergerissen und fühlte mich ein wenig an Tantalus erinnert.

Währenddessen steigerte sich der Patient in Wut über all diese unnötigen Ernährungsrestriktionen, die er für völligen Unsinn hielt! Im Gegenteil, er würde jeden Morgen ein halbes Glas Olivenöl zum Frühstück trinken, denn das sei ja gesund! (Mir wurde kurz übel bei der Vorstellung, pures Öl zu trinken, aber zum Glück war ich gedanklich ja immer noch abgelenkt durch die Fleischwurst, die langsam zu erkalten drohte!)

Und dann folgte das Thema Ausleitung (übrigens auch der Grund warum ich diesen Kommentar an dieser Stelle untergebracht habe)… “Die Schulmedizin hat ja keine Ahnung! Der Bluthochdruck, den Sie bei mir messen (180/110) ist ja kein Bluthochdruck! Das ist nur Folge der Vergiftung!” Erwartungsvoll schaute er mich an, wartete aber die von mir offensichtlich zu stellende Frage “Welche Vergiftung?” gar nicht ab, sondern redete weiter! “Ich habe Ihre Medikamente ausgependelt, Herr Doktor! Die sind für mich nicht geeignet! Ich habe alles abgesetzt!”
Zum Glück brachte mich meine Hypoglykämie in eine Art Trancezustand, so dass ich den weiteren Ausführungen kampflos “folgte”… “Sie haben den völlig falschen Ansatz, Herr Doktor! Mein Nachbar hat seinen Blutdruck im Griff, indem er Knoblauchzehen in Schnapps angesetzt hat und davon täglich ein Gläschen trinkt!”

“Ihre Medikamente dagegen sind Gift”
(Mir schoss durch den Kopf, dass er strenggenommen im pharmakologischen Sinne sogar ja recht hatte! Aber ohne dies zu kommentieren, gab es für mich eine viel entscheidendere Kardinalsfrage: “Ob diese Kreppel wohl gefüllt oder ungefüllt sind?”)

“Herr Doktor! Ich habe Ihnen hier die Lösung mitgebracht!” Er packte aus seiner Tasche einen Aluminiumring, ein Kabel und eine mit einem Bergkristall gefüllte Aluminiumspitze aus, die er miteinander zusammensteckte! In den Aluminiumring stellte er mehrere kleine Kochsalz-Ampullen, die mit einem unleserlichen handschriftlichen Vermerk versehen waren! “Das hier ist fürs Blut, das hier für die Leber, das hier für die Toxine, das hier für die Nervenkraft und das hier für das Herz! Wenn ich nun einen Tupfer mit einem Blutstropfen von mir unter die Aluminiumspitze lege oder die Spitze auf ein Foto von mir richte, werden alle krankmachenden Prozesse aus mir ausgeleitet!” (Der Begriff war offenbar von der Homöopathie geborgt worden).
“Und, Herr Doktor, wenn Sie mir einen Blutstropfen von sich auf einem Tupfer mitgeben, kann ich auch für Sie eine Fernbehandlung machen, die Sie gesund hält!”

Ich fragte lakonisch, was denn diese Apparatur gekostet habe und von wem eigentlich die beschrifteten Ampullen stammten?
Der Patient erläuterte mir, dass er dies alles in einem Spar-Set bei seiner “Heilerin” in Alzey bestellt habe und dass er die Grundausstattung mit 10 Ampullen, die ja immerhin individuell von der Heilerin für eine erfolgreiche Ausleitung mit mentaler Kraft versehen worden seien, für 3.900 Euro gekauft habe!

Ich blickte ihn ungläubig an! “Eine Ampulle für Geisteskraft scheint es nicht zu geben”, dachte ich im Stillen!

Ohne selbst in weiter ausdifferenzierte Gedanken zu verfallen, gab ich die für diese Sitzung geplante Diabetes-Schulung resigniert auf, ging in den Nachbarraum, holte mir ein Besteck und verspeiste in Anwesenheit des Patienten die von ihm mitgebrachte Fleischwurst!

Ich glaube, in meiner gesamten Laufbahn habe ich selten einen Patienten so glücklich gemacht, denn während ich aß, machte der Patient mit leerem Mund korrespondierende Kaubewegungen mit und kommentierte jeden zweiten Bissen von mir wiederholt mit dem Satz: “Gell, däs schmeckt?”

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