„Gerechte Löhne, Soziale Sicherheit“ hat sich der Deutsche Gewerkschaftsbund als Hauptforderung auf Transparente für die Demonstrationen am 1. Mai drucken lassen. Für Menschen mit HIV stellt sich allerdings oft das Problem, überhaupt erst mal einen Job zu finden.
In einer dreiteiligen Porträtserie beleuchten wir die besonderen Herausforderungen für HIV-Positive auf dem Arbeitsmarkt.
Für den Langzeitarbeitslosen Silvio war die Vorstellung, auf längere Zeit nur zu Hause herumzusitzen, die Hölle. Über das Projekt „zukunft positiv“ der Schwulenberatung Berlin konnte er nun eine für ihn passende MAE-Stelle finden. Von Axel Schock.
Kurz nach elf Uhr. Binnen weniger Minuten ist der Geräuschpegel deutlich angestiegen. Kaffeetassengeklapper mischt sich mit dem Stimmengewirr der rund zwei Dutzend Menschen, die an diesem Montag zum „Regenbogenfrühstück“ der Berliner AIDS-Hilfe gekommen sind und sich bereits angeregt miteinander unterhalten. Hinterm Tresen des Berliner Selbsthilfeprojekts „Café PositHiv“ kümmert sich Silvio um den Nachschub an Kaffee und Tee. Dreimal in der Woche arbeitet der 30-Jährige hier im Café und übernimmt im Rahmen einer MAE-Stelle, einer „Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung“, wie es im korrekten Amtsdeutsch heißt, auch Hilfsarbeiten in der Verwaltung der Aidshilfe.
„Ich freue mich, wenn ich nützlich sein und andere Menschen unterstützen kann.“
Silvio kam vor acht Jahren nach Berlin. Hier einen Job zu bekommen, war schwerer, als er sich das vorgestellt hatte. „Arbeit tut mir seelisch gut. Zuhause nur herumzusitzen und zu versauern, das würde mich krank machen“, sagt Silvio. „Ich weiß, wie es ist, wenn man ein halbes Jahr nichts mehr zu tun hat und dann in eine Lethargie verfällt, aus der man nur noch schwer wieder herausfindet.“ Der finanzielle Aspekt der MAE-Stelle spielt für ihn lediglich eine untergeordnete Rolle. „Ich freue mich, wenn ich nützlich sein und andere Menschen unterstützen kann.“
Dass Silvio nun 30 Stunden die Woche als Helfer eingesetzt wird, wurde durch das Projekt „zukunft positiv“ der Schwulenberatung Berlin möglich. Sie ist der Träger von „Ein-Euro-Jobs“, wie MAE-Maßnahmen umgangssprachlich gern genannt werden, speziell für HIV-Positive und für schwule Männer oder Trans*-Menschen mit und ohne Behinderungen. Rund 60 Arbeitsgelegenheiten an 30 verschiedenen sozialen und kulturellen Einrichtungen – vom Schwulen Museum, über Beratungsstellen wie das Mann-O-Meter bis hin zu Pflegeeinrichtungen – können derzeit durch die Zusammenarbeit mit den Jobcentern in fünf Berliner Stadtbezirken angeboten werden.
Für viele ist der 1-Euro-Job nach vielen Jahren wieder die erste regelmäßige Beschäftigung
„Für viele unserer Klienten ist das nach vielen Jahren der Arbeitslosigkeit ihre erste regelmäßige Beschäftigung“, berichtet Kerstin Mörsch, die „zukunft positiv“ mit aufgebaut hat. „Wir können ihnen in dieser Maßnahme sinnvolle und wertschätzende Arbeit anbieten.“ Ein wichtiges Kriterium ist dabei, dass sich die Einsatzstellen in diskriminierungsfreier Umgebung befinden. Neben der sozialpädagogischen Betreuung sind auch interne wie externe Qualifizierungsmaßnahmen Teil des Projekts. „Wir haben eine 20-prozentige Vermittlungsquote in den ersten Arbeitsmarkt“, sagt Stephan Jäkel, Leiter der Abteilung „HIV und Hepatitis“ in der Schwulenberatung, mit Stolz. Viele der Langzeitarbeitslosen erschließen sich über MAE-Stellen wie etwa in Pflegeeinrichtungen neue Arbeits- oder Tätigkeitsfelder in der Betreuung. Bei Interesse und Eignung haben sie beispielsweise die Möglichkeit, sich zum Pflegeassistenten oder Demenzbegleiter ausbilden zu lassen.
MAE-Projekte für Menschen mit HIV und Aids gibt es auch in anderen Städten des Bundesgebietes, wie etwa in Bielefeld, Nürnberg, Köln und München. Die meisten sind direkt bei den örtlichen Aidshilfen angesiedelt. Einige von ihnen bieten auch Ausbildungsplätze an. Die Schwulenberatung Berlin ist allerdings die einzige Einrichtung, die Stellen in verschiedenen Einsatzbereichen offeriert und koordiniert. Silvio hatte von dem Beschäftigungsprojekt in Schwulen-Medien gelesen und seine Beraterin beim Jobcenter auf diese Möglichkeit angesprochen. „Ich war überrascht, wie souverän und verständnisvoll sie darauf reagiert und sich intensiv darum gekümmert hat“, erzählt er. Ab und zu rufe ihn die Betreuerin ihn, um sich zu erkundigen, wie es mit der Maßnahme läuft und wie es ihm gesundheitlich geht.
„Meine Infektion spielt für mich keine zentrale Rolle in meinen Leben. Die Viruslast liegt unter der Nachweisgrenze. Ich lebe ein normales Leben“, betont Silvio. Nur manchmal fühle er sich aufgrund der täglich eingenommenen Medikamente ein wenig schlapp. In solchen Fällen sei es dann auch kein Problem, sich mal eine halbe Stunde Auszeit zu nehmen.
„Mit meinem MAE-Job beweise ich ja, dass ich arbeitswillig, pünktlich und zuverlässig bin“
Seine MAE-Maßnahme ist zunächst auf ein halbes Jahr befristet. Silvio ist aber guter Dinge, dass sie danach verlängert wird. Noch lieber wäre es ihm, wenn ihm die Arbeitsagentur einen 400-Euro-Job oder – noch besser – eine Festanstellung anbieten würde. „Mit meinem MAE-Job beweise ich ja, dass ich arbeitswillig, pünktlich und zuverlässig bin. Ich möchte natürlich nicht hier steckenbleiben, sondern gern einen Sprung nach vorne machen, um mir auch irgendwann wieder Rentenansprüche erarbeiten zu können. Die Hoffnung stirbt bekanntlich immer zuletzt“, gibt sich Silvio optimistisch und kümmert sich wieder pflichtbewusst um den Kaffee- und Teedurst der Frühstücksgäste.
Weiterführende Beiträge zum Thema gibt es im DAH-Dossier „HIV und Arbeit“
Informationen zum Thema bietet die Interessenvertretung HIV im Erwerbsleben
In unserer Reihe zum 1. Mai ist bisher der Beitrag „Dieses Bisschen mehr macht den Unterschied zwischen Überleben und Leben“ erschienen.