Is academic medicine for sale? Ist die akademische Medizin käuflich?
Diese provokante Frage stellte Marcia Angell in einem Editorial des New England Journal of Medicine (NEJM):
Marcia Angell: Is academic medicine for sale? New England Journal of Medicine, 2000 May;342(20):1516-8. doi:10.1056/NEJM200005183422009 PDF
Dieser Leitartikel war ziemlich einflussreich. Er wurde bis heute über 275 mal in anderen wissenschaftlichen Artikel referenziert (Quelle: Web of Science, Stand 24.09.2011).
Marcia Angell ist Ärztin (M.D.). Sie arbeitete von 1979 bis 2000 für das renommierte New England Journal of Medicine und zuletzt als Chefredaktorin (editor-in-chief). Durch ihre 20-jährige Arbeit bei einer der wichtigsten medizinischen Fachzeitschrift hatte sie tiefe Einblicke in die medizinische Forschung und war «am Puls des Geschehens».
Dieser Artikel ist nun bereits über 10 Jahre alt. Zu dieser Zeit war Bill Clinton Präsident der USA. Was hat sich seit dem Erscheinen geändert? Wurden die angesprochenen Probleme gelöst?
Vereinzelte Schritte wurden unternommen. Gröbste Auswüchse wurden teilweise beseitigt. In der Schweiz wurde beispielsweise die 2006 verbindliche Richtlinie der Schweizerischen Medizinischen Wissenschaften (SAMW) Zusammenarbeit Ärzteschaft – Industrie erarbeitet.
Die grundlegenden Probleme wurden aber noch nicht gelöst. Es hat sich nicht wirklich viel verändert. Das Bewusstsein für Interessenkonflikte ist nach wie vor klein.
Deutsche Übersetzung des Artikels
Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen dieses wichtige und einflussreiche Editorial von Marcia Angell ins Deutsche zu übersetzen. (Ich danke Oliver für die geleistete Arbeit.)
Marcia Angell: Ist die akademische Medizin käuflich? N Engl J Med, Mai 2000 PDF oder als Webseite
Ein Auszug aus der Übersetzung (Hervorhebung von mir):
Ich glaube, dass die Behauptung, dass umfassende Beziehungen zwischen akademischer Forschung und Industrie notwendig für den Technologietransfer sind, stark übertrieben ist, insbesondere im Hinblick auf die klinische Forschung. Es könnte einige Vorzüge in Bezug auf die Grundlagenforschung geben, aber bei der meisten klinischen Forschung, einschliesslich klinischer Studien, ist die «Technologie» im Grundsatz bereits entwickelt. Die Forscher testen es einfach. Ob finanzielle Arrangements den Technologietransfer erleichtern, hängt darüber hinaus entscheidend davon ab wie diese Arrangements aussehen. Sicherlich sind Forschungsunterstützungen konstruktiv, wenn richtig angewendet. Aber es ist höchst zweifelhaft, ob viele der anderen finanziellen Regelungen den Technologietransfer erleichtern oder anderen sozialen Nutzen bringen. Zum Beispiel gibt es keinen denkbaren sozialen Nutzen, wenn Forscher an dem Unternehmen beteiligt sind, deren Produkte sie studieren. Reisen rund um die Welt, um bei Industrie-gesponserten Symposien zu erscheinen, hat viel mehr mit Marketing zu tun, als mit Technologietransfer. Beratungsvereinbarungen können die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung nützlicher Produkte erhöhen, aber selbst das ist fraglich. Die Industrie könnte die klinischen Forscher mehr um deren Goodwill zu Beratern machen als um von deren Fachwissen zu profitieren. Der Goodwill von akademischen Forschern ist ein sehr wertvolles Gut für die Medikamenten- und Gerätehersteller. Für den Technologietransfer ist es keineswegs notwendig, dass Forscher persönlich belohnt werden. Man könnte sich ein anderes System zur Erreichung des gleichen Zweckes vorstellen. Zum Beispiel könnte die Bezahlung für Beratung über einen Fonds (pool) gehen, aus dem Forschungs- oder andere Aufgaben des medizinischen Zentrums unterstützt werden.