Sparen? – Nicht bei uns! Notfallmedizin und Ressourcen

Heute möchte ich einmal zu einem interessanten Artikel in der Laienpresse Stellung nehmen. Auch wenn das Thema in diesem Blog Klinische Notfallmedizin allein ist, sollte man nicht die Augen
verschliessen auch vor Diskussionen, die über das eigene Fachgebiet hinausgehen, denn manche Dinge aus dem ärztlichen Bereich gehen uns alle etwas an.

 

Im Artikel des DIE ZEIT magazin vom 16.05. ” Der Alltag in deutschen Kliniken –
Ärzte brechen ihre Schweigepflicht”
wird das Thema des Dauerkonfliktes des einzelnen Arztes zwischen Patientenwohl und finanziellem Wohl der Klinik thematisiert.

Durch zunehmenden finanziellen Druck potentiert durch die Auswirkungen des DRG-Systems falle es den Ärzten zunehmend schwerer sich in diesem Interessenskonflikt zu behaupten, so der Artikel. Es
werden insgesamt fünf, zum Teil passende, zum Teil weniger passende Beispiele angeführt, die diesen Interessenkonflikt repräsentieren sollen. Im Einzelnen sind dies die Folgenden:

 

1.) ein Notaufnahmeassistenzarzt der keine Möglichkeit zur i.v. Lysetherapie bei (vermutlich) ischämischem Stroke einer Patientin im erweiterten Lysezeitfenster sieht, weil keine 24h-cMRT
Bereitschaft vorhanden ist

 

2.) ein ausländischer Gastarzt der eine ätere Patientin aufgrund eines Kommunikationsdefizits und mangelnder Ausbildung schmerzhafter, unnötiger Diagnostik (in diesem Fall einer Lumbalpunktion)
unterzieht 

 

3.) eine Notärztin die abrechnungstechnisch unliebsame Patienten in verschiedenen Krankenhäusern der Stadt nicht unterbringen kann, während zur gleichen Zeit lukrativere STEMIs junger Patienten
in denselben Häusern gern gesehen sind

 

4.) ein Krankenhaus-Unfallchirurg dem von der Geschäftsleitung mittels Zielvereinbarungsgesprächen ständig höhere Fallzahlen von Vertebroplastien abverlangt werden, während konservative Therapie
nahezu nicht mehr stattfindet

 

5.) ein Stationsarzt einer Privatklinik in der mehrere Patienten weitertherapiert werden, weil sie “lukrative Fälle” sind, bishin zu Therapien entgegen jedem ethischen Verständnis

 

Jeder von uns kennt diese Fälle, wo man eigentlich kein gutes Gefühl bei hat. Zum Teil fehlt uns als jungen Medizinern vielleicht der
Überblick in bestimmten Konstellationen, zum Teil sind wir vielleicht aber auch nicht so korrumpiert wie manch ein anderer, der mit seinen Beinen schon tiefer im Systemsumpf steht.

 

Bei nofame4u geht es um Notfallmedizin und somit möchte ich die Fälle 1-3  nicht unkommentiert lassen, da diese einen gewissen
Notfallmedizinbezug haben. Die Fälle 4&5 finde ich insgesamt wohl am zutreffendsten für eine Problembeschreibung vornehmlich finazieller Natur, sie fallen aber am wenigsten in unser
Themengebiet.

 

Fall 1 ist meines Erachtens nach fachlich ein nicht geeignetes Beispiel, kann eine Lysetherapie bei passender Klinik im 4,5-Stunden Zeitfenster gegenwärtig auch durch ein eine
Blutung ausschliessendes cCT durchgeführt werden. Im übertragenen Sinn wird jedoch bemängelt, dass Patienten vielfach unter reduzierten Budgets zu leiden haben und hierdurch z.B. notwendige
Diagnostik nicht durchgeführt wird. Dies ist sicher von Klinik zu Klinik anders, kann von mir jedoch auch aus persönlichen Erfahrungen bestätigt werden. In manch einem (zumeist kleinen) Haus
werden z.B. nur sehr wenige CT-Thoraces zur LAE-Diagnostik durchgeführt, trotzdem gibt es auch das Gegenteil einer wenig überlegenden Grossgeräteüberdiagnostik, bevorzugt in grossen Häusern.
Meines Erachtens handelt es sich hier um ein tiefergehendes Problem, bei dem finanzielle Defizite neben fehlender fachlicher Qualifikation in der Notaufnahme und geringer Implementierung von
Evidenzbasierter Medizin nur eine untergeordnete Rolle spielen.

 

Fall 2 ist ein immer wiederkehrendes Bild in zahlreichen Kliniken. Wer irgendwo in Ballungszentren (oder auch auf dem Lande?) als Notarzt herumfährt kennt seine Pappenheimer-Kliniken, in denen
man auf die sprachlich und medizinisch minderbegabtesten Kollegen trifft. Hat man die Wahl ist diese einfach, hat man sie nicht, ist man gelegentlich geneigt den Patienten stattdessen lieber
selbst mit nach Hause zu nehmen und auf dem Sofa zu versorgen, wo man bessere Bedingungen vorfindet. Doch auch dies ist meiner Ansicht nach viel zu kurz gedacht wenn man versucht das Ganze
finanziell zu begründen.

Wie kann es kommen dass alleine 1000 Abiturienten einen Studienplatz einzuklagen versuchen und andererseits Kleinkliniken keine qualifizierten Bewerber finden? Meine Meinung: ein antiquiertes,
verschultes Studiensystem, katastrophale Arbeitsbedingungen in zahlreichen Kliniken und verstaubte berufspolitische Strukturen.

Nahezu jede Woche erreicht mich beispielsweise eine Interessenmail von jemandem, der an einem Facharzt für Notfallmedizin interessiert ist. Trotzdem finden sich noch immer
zahlreiche Medizinpotentaten die dies gegen einen klaren Trend zu verhindern versuchen. Solange eine derarte Unflexibilität bestehen bleibt und Machtpositionen berufspolitisch bestärkt bleiben
sehe ich keine Änderung der geschilderten Problemsituation.

 

Fall 3 ist fachlich gesehen auch nicht allzu korrekt, denn jeder selbstbewusste Notarzt kann einen Patienten im nächsten geeigneten Haus übergeben, ob dies von der Aufnahme gewünscht ist oder
nicht. Dies mag nicht immer taktisch klug sein, wäre für mich aber sicher immer die bessere Alternative als eine Stadtrundfahrt mit einem (am Besten noch instabilen) Patienten. Auch hier komme
ich nicht umhin zu sagen, dass dieser Patientenkuhhandel in einer gut organisierten Notaufnahme nicht passiert. Mit ressourcenschonendem Einsatz von Diagnostik und Therapie nach Evidenz und einem
Abbau von redundant vorgehaltenen Personal, Medikamenten und Räumlichkeiten kann, wenn politisch durchgesetzt, sicher auch die multikränkste Pflegeheim-Omi medizinisch und ökonomisch noch gut
versorgt werden, ohne beim Krankenhausmanager einen Herzkasper zu verursachen.

 

In der Summe: Es ist nicht alles ein finanzielles Systemproblem auf Makroebene. Durch Strukturverbesserungen im Einzelfall können Teile der geschilderten Probleme gebessert werden, wenn nur die
verkrusteten Strukturen erst einmal gelöst sind…

 

Ich wünsche mir Kommentare!!!

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