Wenn die Pharmaindustrie als Wohltäter auftritt

Eine Krebserkrankung gehört zu den Krankheiten, deren größter Schrecken auch darin liegt, dass die Gesellschaft darauf “harmloser” reagiert als zum Beispiel auf die nächste “Horror-Schweinegrippe“.

Jedes Jahr sterben erheblich mehr Menschen durch Krebs als durch eine Grippe. Der Grund dafür liegt nicht zuletzt in der Tatsache, dass die Heilungschancen, trotz großspurigem Marketinggetöse, bei einer Reihe von Krebsarten eher sehr dürftig ausfallen.

In zahlreichen Fällen wird durch den Einsatz der Chemotherapeutika das Leben (und vor allem das Leiden des Patienten) um nur wenige Monate verlängert. Diese wenigen Monate sind statistisch verglichen mit der gesamten durchschnittlichen Lebensdauer eines Mitteleuropäers eher insignifikant – also eigentlich kaum wahrnehmbar.

Aber dennoch wird uns dieser Mangel an Signifikanz immer wieder als „medizinischer Fortschritt“ oder gar „Durchbruch“ verkauft…

Die Firma Roche hatte vor einiger Zeit einen solchen „Durchbruch“ auf den Markt geworfen: Avastin, generisch Bevacizumab (klingt fast wie Beelzebub – und wirkt teilweise auch so). Auch hier gibt es keine wirklich überzeugenden lebensverlängernden Resultate für den monoklonalen Antikörper, wie das britische National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) feststellte (Link zu den NICE-Unterlagen), denn der geringe Gewinn an Lebenszeit steht für NICE in keinem vernünftigen Verhältnis zu den hohen Therapiekosten im Bereich von mehreren 10.000 Euro. Aber nicht nur die geringfügige Lebensverlängerung (die fast gar keine ist), „ärgert“ Ärzte und Patienten. Der Preis für das Medikament ist deutlich höher als seine Wirkung. Böse Zungen behaupten, die Höhe des Preises entspräche den Nebenwirkungen (siehe unten), denn das Medikament ist eines der teuersten Medikamente überhaupt auf dem Markt.

Roche zeigt deshalb jetzt ein Einsehen und macht mit Krankenhäusern einen speziellen Deal: Die Firma will den Krankenhäusern künftig ihr Geld erstatten, falls das Medikament versagen sollte. Das hört sich erst einmal gut an – ist es aber nicht. Denn das Krankenhaus bekommt nur dann ihr Geld erstattet, wenn es dem Patienten schlechter geht. Oder anders herum ausgedrückt: Wenn es dem Patienten schlecht geht, dann geht es dem Krankenhaus finanziell gut. Und wenn es dem Krankenhaus finanziell gut geht, weil Roche Gelder zurück zahlt, dann wird das Krankenhaus kaum Grund sehen, andere Medikamente von anderen Firmen für diese Behandlung einzusetzen. Roche baut hier also an einem Monopol, vorausgesetzt, andere Firmen greifen nicht in die gleiche Trickkiste.

Legoland lässt grüßen – schon wieder…

Patienten kommen in die Klinik mit der Hoffnung, dass ihnen dort geholfen wird. Ernstzunehmende Ärzte, von denen es glücklicherweise doch noch einige gibt, setzen alles dran, genau dies zu tun. Die Aktion, die Roche hier eingeleitet hat, ist jedoch gut geeignet, diesen „Idealfall“ durch harte finanzielle Erwägungen zu knacken. Das Vorgehen schreit ja förmlich nach einem Interessenskonflikt. Denn wenn der Patient eine Verbesserung verspürt, dann gibt es keine Rückerstattung durch die Firma. Geht es dem Patienten schlechter (oder er stirbt), dann kann das Krankenhaus auf eine fette Rückerstattung hoffen.

Jetzt könnte man argumentieren, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun habe. Hat es aber… Dieser „Pay for Performance“-Vertrag, den die Firma mit den Krankenhäusern abschießen will, garantiert eine Rückzahlung für das Medikament, falls es versagt oder der Tumor weiter wächst. Dies gilt für die Erstbehandlung von Tumoren im fortgeschrittenem Stadium von Lungenkrebs, Brustkrebs, Darmkrebs und Nierenkrebs. Das sind immerhin ca. 3300 Euro pro Monat pro Patient. Die Crux bei der ganzen Sache ist jedoch, dass die Kosten für Behandlung und Medikation in den meisten Fällen von den Krankenkassen übernommen werden. Die Rückerstattung aber geht an das Krankenhaus, nicht an die Krankenkasse. Damit wird jeder tote oder dahinsiechende Patient zu einer zusätzlichen und äußerst lukrativen Einnahmequelle für das Krankenhaus. Wenn das nicht mit dem Beelzebub zugeht?

Und es gibt dann auch schon die ersten Reaktionen auf dieses teuflische Ansinnen. Wolfgang Becker-Brüser vom Arznei-Telegramm bezeichnet das Ansinnen als „einen echten Skandal“. Weiter führt er aus: „Die Regelung lädt geradezu dazu ein, auch Patienten mit Bevacizumab zu behandeln, bei denen die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass es ihnen nützt.“ Und im Zuge der Monopolisierung von Avastin kommt es dann dazu, dass besser wirksame Medikamente unter den Tisch fallen und nur das allein selig machende Roche-Präparat zur Anwendung kommt. Aber haben wir nicht auch genau diese finanziellen Erwägungen im Vordergrund stehen, wenn es um die alternativen Medikamente geht? Sind nicht auch hier handfeste finanzielle Interessen dafür ausschlaggebend, warum solche Medikamente mit allen Mitteln und Tricks vom Tresen gefegt werden? Bei der Roche-Geschichte jedoch trifft es diesmal die Schulmedizin, denn auch innerhalb der Schulmedizin gibt es eine konsequente Fortsetzung dieser Profitorientierung.

Der Anfang vom Ende

Verzweifelte Situationen rufen nach verzweifelten Maßnahmen. Denn inzwischen ist bekannt geworden, dass der medizinische Durchbruch Avastin, der irre viel Geld kostet und kaum etwas bewirkt (außer einem Sack voller Nebenwirkungen), in den USA auf der Abschussliste stehen könnte. Die FDA (US-amerikanische Zulassungsbehörde) scheint eine Zulassung für die Indikation “Brustkrebs” zurückziehen zu wollen. Das wäre mehr als katastrophal für die Firma. Damit wären solche Maßnahmen mitnichten eine karitative Geste für Patienten oder Krankenhäuser, sondern ein verzweifelter Beitrag, das Produkt auf dem Markt zu halten. Da kann man auch schon mal Kosten erstatten, die gar nicht entstanden sind, zumindest aus der Sicht der Krankenhäuser.

Das wiederum wirft die Frage nach der rechtlichen Seite auf. Ist ein solches Vorgehen nicht Betrug? Von Seiten der Krankenkassen gibt es die entsprechenden Kommentare: “(…) eindeutig gesetzeswidrig!” Aber die Kassen scheinen nichts gegen die Rückzahlerei von Roche zu haben, solange sie in den Rückzahlbonus miteingeschlossen werden. Armer Patient. Der bekommt ein beelzebübisches Medikament nur deshalb, weil für dessen Einsatz das Krankenhaus und vielleicht auch noch die Kassen vom Hersteller belohnt werden.

Was muss eigentlich noch geschehen, damit jeder den Zynismus dieser Leute unter der Haut verspürt?

Kein Zynismus? Wie wäre es damit? Roche bietet den Krankenhäusern mit dem Vertrag auch ein Rechtsgutachten an, das eine „Rechtsunsicherheit“ einräumt. ABER: Wenn die Kliniken die Knete einstreichen, dann dürfen sie das, da sie die Zahlungen der Kassen nicht für tatsächlich entstandene Kosten bekommen, sondern nur für die Verabreichung von Arzneien und für die Behandlung. Und so was machen die Ärzte ja von Berufs wegen.

Fazit

Wenn ein Präparat wenig taugt, dann müssen begleitende Maßnahmen her, um es auf dem Markt zu halten. Denn die Nebenwirkungsrate ist beeindruckend: Jeder zweite Patient leidet unter Erbrechen, drei von vier haben Schwächezustände, jeder fünfte zeigt lebensbedrohliche Blutungen im Magen-Darm-Trakt, was nur ein kleiner Auszug aus der Liste der Nebenwirkungen ist. Und das alles für eine Lebensverlängerung von ca. 4 Monaten. Kein Wunder, dass man sich was einfallen lassen muss. Und der Patient ist wieder einmal Mittel zum Zweck.

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