Bericht aus Washington (3): Schwarz und schwul

Für Phill Wilson ist Therapie in erster Linie Therapie. Foto: DAH

„Therapie ist Prävention“ – das hört man auf der Konferenz in jedem Workshop. Die Präventionsakteure scheinen geradezu berauscht davon zu sein. Phill Wilson, Präsident des US-amerikanischen „Black AIDS Institute“, hat seine eigene Sicht darauf: „Behandlung ist in erster Linie Behandlung!“ Wilson ist schwarz, schwul und schon drei Jahrzehnte HIV-positiv. Er kennt die Situation schwarzer schwuler Männer in den USA. Viele von ihnen brauchen dringend eine Therapie – nicht für die Prävention, sondern fürs Überleben. Von Armin Schafberger.

„Ihr glaubt vielleicht, wir in den USA hätten es gut“, ruft er ins Publikum. Das stimme auch. Einerseits. Aber die Aids-Epidemie in den USA habe zwei Seiten. Eine gute, mit der fortschrittlichsten Behandlung und Forschung, und eine unglaublich schlechte. „Wir haben ein System, das gut für uns sorgen könnte, aber für viele von uns ist es schrecklich kaputt.“

Keine ethnische Gruppe in den USA ist so stark von der HIV-Epidemie betroffen wie schwarze schwule Männer. Obwohl nur 14 % der Bevölkerung Schwarze sind, stellen sie fast die Hälfte der Menschen mit HIV, das sind in absoluten Zahlen 510.000. Nach sexueller Orientierung sind schwule Männer mit 60 % aller Neuinfektionen am stärksten von HIV betroffen. Diese Zahlen verdeutlichen, wie katastrophal die Situation bei schwarzen Schwulen sein muss. Wilson rechnet vor, dass 60 % der 40-Jährigen aus dieser Bevölkerungsgruppe HIV-infiziert sind.

Therapie ist Prävention!? Stimmt diese Gleichung, wenn nur 28 % aller HIV-Positiven effektiv behandelt werden? Erst einmal müsste der Zugang zur medizinischen Versorgung verbessert werden. Dann wäre es auch sinnvoll, noch mehr Testangebote zu schaffen (alle Angaben in %).

Wie ist die Situation für HIV-Positive in den USA? Dort kennen ca. 80 % der HIV-Positiven ihren Status. Das, so Wilson, sei eigentlich ein ganz gutes Ergebnis. Aber dann wird es schlecht. Denn nur 62 % aller Positiven gelangen nach dem Test in die medizinische Versorgung. Noch weniger, nur 41 %, bleiben auch dauerhaft dort. 36 % erhalten eine antiretrovirale Therapie, und nur bei 28 % aller Positiven ist die Therapie erfolgreich (Viruslast unter der Nachweisgrenze). Therapie, so Wilson, habe unter diesen Bedingungen nur bedingt präventive Wirkung. Behandlung sei ohnehin zuallererst Behandlung, vor allem, wenn vielen eine Therapieoption fehle.

Die Zivilgesellschaft, vor allem die Aids-Organisationen, müssen sich bewegen

Auf Präsident Obamas „Affordable Care Act“, also die erschwingliche Krankenversorgung, setzt Wilson große Hoffnungen. Wenn dieses Gesetz umgesetzt wird, dürften Menschen mit Erkrankungen, die sie schon vorher hatten, von der Krankenversicherung nicht mehr abgelehnt werden. Dann ist Wilson seinem Ziel näher gekommen: dass Positive ein erfülltes Leben mit dem Virus leben können, ohne Einschränkungen und ohne Diskriminierung.

Button des Black AIDS Institute: Gemeinsam sind wir größer als Aids! Foto: DAH

Damit das möglich ist, muss sich die Zivilgesellschaft bewegen und stärkere Anstrengungen auf sich nehmen. Den Kern dieser Bewegung sieht Wilson in den Aids-Organisationen. Doch mit ihnen geht er hart ins Gericht. Die meisten täten die neuen Erkenntnisse zu Therapie und Prävention wie auch die zukünftigen Möglichkeiten mit PREP und Mikrobiziden zu pauschal als „Medikalisierung der Prävention“ ab. Dabei komme es doch darauf an, die neuen Möglichkeiten sinnvoll in die bestehende Prävention zu integrieren.

Wilson hat eine Vision: die USA mögen ein Ort werden, wo neue HIV-Infektionen ein seltenes Ereignis bleiben. Und wenn sie passieren, sollten alle – gleich welcher Herkunft, sozialer Stellung, sexueller Orientierung und Identität, gleich welchen Geschlechts oder Alters – uneingeschränkten Zugang zu qualitativ hochwertiger, lebensverlängernder Behandlung haben, frei von Stigmatisierung und Diskriminierung. Selbst wenn sein Black AIDS Institute nächste Woche schließen müsste, würde er noch diese Woche mit vollem Engagement dafür kämpfen. Das nimmt man ihm sofort ab.

 

 

 

 

 

 

 


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