“Herr Doktor!”
Wie bitte?
“Hallo Herr Doktor, hier bin ich?”
Wer bitte?
“Herr Doktor, fast hätte ich Sie gar nicht erkannt!”
Na bitte!
Ich bin gut getarnt. Meine gammeligste Jeans habe ich an, ein knallbuntes T-Shirt, dazu Basecap und eine dunkle, dunkle Sonnenbrille. So sitze ich, hinter einer Zeitung versteckt bei Gepetto auf der Terrasse und schlürfe meinen obligatorischen doppelten Espresso… inkognito, wie ich dachte… zu früh gedacht…
“…Sie haben ja nichts dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze, ja?”
Vieleicht doch? Zu spät! Schon geschehen.
“…wie gut, dass ich Sie hier treffe, Herr Doktor, ich wollte sowieso heute noch mit Ihnen sprechen, ich war ja gerade bei meiner Mutter…”
Hallo?
“…ja, und wir hatten doch darüber gesprochen, dass meine Mutter vielleicht noch ein paar Tage bei Ihnen bleiben kann, weil…”
“Wer ist Ihre Mutter?”
Ich bemühe mich, möglichst eisig zu klingen. Nicht eisig genug. Meine neue Tischgenossin schaut mich leicht irritiert an.
“Hermine Flatschmeier, Sie wissen doch?”
Natürlich weiß ich.
Flatschmeier, Hermine, achtundsechzig Jahre, entgleister Diabetes, dazu ungefähr ein Dutzend internistischer Vordiagnosen und ein Lebendgewicht von hundertsechtzig Kilogramm. Geschätzt, denn gewogen haben wir sie noch nicht. Weil sie sich noch nicht aus dem Bett hinausbewegt hat. Weil sie das nämlich gar nicht mehr kann. Unsere Pflegekräfte können auch nicht mehr, wenn Frau Flatschmeier unser Haus nicht innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden verläßt, droht der offene Bürgerkrieg.
“Die geht ja morgen nach Hause!” sage ich in betont optimistischer Stimmungslage.
“Nein!”
Ich beiße mir auf die Zunge.
“Richtig! Die geht in ein Heim zur Kurzzeitpflege. Damit Sie mal ein wenig Ruhe haben!”
Frau Flatschmeier wird nämlich von Frau Flatschmeiertochter gepflegt. Wie die das mehr oder weniger alleine schafft, ist mir ein Rätsel. Und um ihr eine Atempause zu gönnen, haben wir die Kurzzeitpflege organisiert.
Frau Flatschmeiertochter seufzt.
“Nein!” sagt sie.
“Was nein?”
“Ich habe soeben im Heim angerufen und den Platz abgesagt!”
Wie bitte? Jetzt in der Urlaubszeit kann man Kurzzeitpflegeplätze bei uns in Bad Dingenskirchen mit der Laterne suchen!
“Warum?”
“Meine Mutter will nicht!”
“Was will sie nicht?”
“Sie will nicht ins Pflegeheim!”
“Aha?”
“Sie will nach Hause!”
“Hmm.”
“Aber ich kann nicht mehr, Herr Doktor! Ich kann einfach nicht mehr! Verstehen Sie das?”
Sehr wohl verstehe ich das?
…oder… Äh, doch nicht so ganz?