Eine Mordserie beherrscht die US-Medien: Ende 2010 findet die Polizei zehn zerstückelte Leichen an der Küste von Long Island, einer Insel östlich von New York. Alle Opfer waren Sexarbeiterinnen. Von Philip Eicker
Der Täter hatte sie über das beliebte Kleinanzeigenportal craigslist.com zu sich gebeten. „Prostituierte sind leichte Beute“, erklärte der Kriminalwissenschaftler Jack Levin daraufhin in ABC News: „Sie steigen freiwillig ins Auto des Mörders.“ Und: „Die Polizei spürt keinen Druck, den Fall aufzuklären. Es hat ja nur der eine Kriminelle einen anderen Kriminellen umgebracht.“
Das extreme Verbrechen wirft ein grelles Schlaglicht auf ein grundlegendes Problem: Prostitutionsverbote gefährden Leib und Leben von Menschen, die ihr Geld mit Sex verdienen. Auch in den USA ist Prostitution fast überall eine Straftat. Die Verbote sind gut gemeint, sie sollen Frauen vor sexueller Ausbeutung schützen. In Wirklichkeit passiert das Gegenteil: Die Gefahr von brutalen Übergriffen wächst.
In Privatwohnungen können Sexarbeiterinnen im Notfall nur schwer Hilfe holen
Prostitution gibt es überall. Gesetze können sie nicht abschaffen, nur unsichtbar machen. Das Geschäft läuft im Verborgenen weiter, mit hohen Risiken für die Anbieterinnen. Der Sex findet dann eben in Privatwohnungen statt. Aber dort können die Sexarbeiterinnen im Notfall nur schwer Hilfe holen. Bordelle und Straßenstrich mögen die Anwohner stören, für Prostituierte sind sie definitiv ein besserer Arbeitsplatz als Privatwohnungen. Hier können sich die Frauen gegenseitig helfen, die Polizei hat mögliche Missstände besser im Blick.
In Athen kamen Sexarbeiterinnen an den Internet-Pranger
Leider geht der Trend derzeit wieder in Richtung Verbot: In Hamburg müssen Männer seit 2012 Strafe zahlen, wenn sie Sexarbeiterinnen im Sperrbezirk ansprechen. 5.000 Euro kann eine „Kontaktanbahnung“ kosten. In Athen veröffentlicht die Staatsanwaltschaft Fotos von HIV-positiven Sexarbeiterinnen. Der Pranger im Internet soll die Frauen bloßstellen und ihren Freiern Angst machen, damit sie zum HIV-Test gehen.
Diese neue Repression drängt die Sexarbeiterinnen in eine gefährliche Unterwelt. Und sie hat auch wirtschaftliche Nachteile: Wenn die Behörden Bordelle schließen und Sperrbezirke einrichten, ruinieren sie den Frauen das Geschäft. Der Verdienstausfall setzt sie noch stärker unter Druck, gerade wenn sie drogenabhängig sind. „Wenn sich eine der wenigen Chancen bietet, lassen sie sich leichter auf ungeschützten Sex ein“, berichtet Gudrun Greb von Ragazza, einer Hamburger Beratungsstelle für Sexarbeiterinnen. „Sie willigen selbst bei Freiern ein, wo alle Alarmglocken schrillen.“
Ein weiteres Problem: Prostitutionsverbote ruinieren langfristig die Gesundheit der Sexarbeiterinnen. Sind sie von der Straße verschwunden, kann ihnen niemand helfen. Für Streetworkerinnen ist der Straßenstrich die beste Möglichkeit, um Prostituierte anzusprechen. So geschieht es in vielen deutschen Städten. Helferinnen verteilen zum Beispiel Kondome, Gleitgel und Gesundheitstipps an Frauen, die anschaffen gehen. Eine konkrete Maßnahme, die HIV-Infektionen verhindert und ein gesundes Leben fördert.
Behörden sollten Sexarbeiterinnen unterstützen – nicht bestrafen
In Oberhausen bietet die AIDS-Hilfe sogar HIV-Schnelltests im Rotlichtviertel an – oft der einzige Ort, um die ausländischen Frauen zu erreichen, die nur für einige Wochen dort anschaffen. Diese Arbeit wird stark behindert, wenn Prostitution nur noch im Verborgenen stattfindet und Sexarbeiterinnen aus Angst vor Strafe den Kontakt mit staatlichen Institutionen und oft sogar nichtstaatlichen Beratungsstellen meiden. „Die Barrieren sind auch so schon hoch genug“, sagt Gudrun Greb. Viele ihrer Klientinnen kommen aus Rumänien und Bulgarien, sprechen kaum Deutsch. „Sie sind sehr verschlossen, weil sie den harten polizeilichen Umgang aus ihren Heimatländern im Kopf haben.“
Statt Verbote auszusprechen, sollten die Behörden Sexarbeiterinnen unterstützen, zum Beispiel durch sichere Rückzugsräume, wo sie erste medizinische Hilfe bekommen. Pragmatische Angebote wie das in Oberhausen sind erste Schritte, um die Situation für Sexarbeiterinnen zu verbessern.
Für alle Unterstützungsangebote gilt: Die Sexarbeiterinnen müssen in Diskussion und Entscheidungen eingebunden werden. Sie wissen am besten, unter welchen Bedingungen sie arbeiten. Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) erprobt deshalb gemeinsam mit Huren-Selbsthilfeorganisationen eine Fortbildung für Sexarbeiterinnen, direkt am Arbeitsplatz der Frauen: im Bordell. „Wir konnten feststellen, dass Sexarbeiterinnen für solche Fortbildungen durchaus ansprechbar sind, auch wenn sie dafür Verdienstausfälle in Kauf nehmen müssen“, erklärt DAH-Frauenreferentin Marianne Rademacher. Neben rechtlichen und sozialen Fragen zeigten die Teilnehmerinnen stets großes Interesse an Informationen zu sexuell übertragbaren Infektionen.
Ein wichtiges Thema: Wie bestehe ich bei meinem Kunden auf Safer Sex? Das erfordert Durchsetzungsvermögen. Auch das soll die Fortbildung schulen. „Wir müssen die Sexarbeiterinnen stärken, damit sie sich überhaupt schützen können“, so Rademacher. „Wenn sie sich nicht einmal trauen, über ihre Arbeit zu reden, sind sie für die HIV-Prävention verloren.“
Gute Prävention macht Sexarbeiterinnen stark und gibt ihnen Rechtssicherheit. Dann können sie sich frei entscheiden, unter welchen Bedingungen sie ihrer Arbeit nachgehen. So können sie sich und ihre Angehörigen am besten vor Ausbeutung, Gewalt und sexuellen Krankheiten schützen. Deshalb fordert die Deutsche AIDS-Hilfe: Entscheidungsfreiheit für Sexarbeiterinnen. Jetzt!