Spätestens wenn ein erzkonservativer Politiker und Ex-General den „Krieg gegen die Drogen“ für gescheitert erklärt, sollte man ins Grübeln kommen. Von Philip Eicker.
„Wir führen diesen Krieg seit 30 Jahren“, bilanzierte Guatemalas Präsident Otto Pérez Molina im Februar. „In allen betroffenen Ländern ist die Zahl der Toten gestiegen und die Korruption schlimmer geworden.“ Der frühere Fallschirmjäger fordert deshalb die Legalisierung aller Drogen, um der Mafia zumindest dieses Geschäft zu vermasseln.
Uruguay plant bereits die Legalisierung von Cannabis
Bei seinen südamerikanischen Amtskollegen rennt Pérez Molina offene Türen ein: Auf einem Gipfel zentralamerikanischer Staaten forderten mehre Regierungschefs eine Neuausrichtung der internationalen Drogenpolitik. Uruguay plant bereits die Legalisierung von Cannabis. Die Global Commission On Drug Policy, der einflussreiche Politpensionäre wie Fernando Henrique Cardoso und Kofi Annan angehören, fordert seit 2011 eine Ende des sinnlosen Drogenkrieges.
Die Botschaft der Elder Statesmen ist klar: Die Politik der strikten Drogenverbote hat die Probleme vergrößert statt gelöst. Besonders in Mexiko. Dort liefern sich Militär und Drogenkartelle seit Jahren einen Wettkampf der Brutalität. Allein 2011 starben fast 13.000 Menschen im Zusammenhang mit Drogenkriminalität. Das Erschütternde daran: Die Gewalt ist sinnlos. Trotz der Repression steigt der Drogenkonsum weltweit. Die Vereinten Nationen schätzen, dass der Gebrauch von Opiaten von 1998 bis 2008 um ein Drittel gestiegen ist.
Die traurigen Nachrichten beweisen: Kein Verbot der Welt kann die Lust auf Drogen mindern. Der Versuch, sie aus der Welt zu schaffen, muss ebenso scheitern wie schon das Alkoholverbot in den USA der 20er Jahre. Die Leute tranken einfach weiter, nur heimlich. Versorgt wurden sie auch damals von der Mafia. Erst die Prohibition hat Gangster wie Al Capone groß gemacht.
Kein Verbot der Welt kann die Lust auf Drogen mindern
Leider haben die Vereinigten Staaten aus diesen Erfahrungen keine Lehren gezogen. Nur zögerlich setzen sie auf jene pragmatische Drogenpolitik, die sich in Westeuropa schon in den 90ern durchgesetzt hat. Ein Beispiel: Wer seine Drogen spritzt, erhält sterile Einwegspritzen. Sie sind legal erhältlich, in Apotheken, Beratungsstellen, in einigen Städten auch rund um die Uhr am Automaten. Das ändert erst einmal nichts an der Abhängigkeit – aber es verhindert eine HIV-Infektion durch die Weitergabe gebrauchter Nadeln. Schadensminderung heißt dieses Erfolgsrezept (englisch: Harm Reduction).
Die Zahlen sprechen für sich: In Ländern wie der Schweiz, die früh auf Schadensminderung gesetzt haben, liegt die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Infektion bei Menschen, die Drogen injizieren, unter fünf Prozent – in den USA bei über 15 Prozent. Dort haben die Behörden zu lange auf Repression gesetzt. Noch immer verbietet der US-Kongress die staatliche Finanzierung von Nadeltauschprogrammen.
Das Ziel ist ein Drogenkonsum, der so wenig Schaden anrichtet wie möglich
Harm Reduction ist der bessere Weg. Im Vordergrund der Drogenhilfe müssen die wichtigen Dinge stehen, zum Beispiel die Förderung der sozialen Integration durch Arbeit, Freunde und Familie. Zugleich muss man es Drogengebrauchern ermöglichen, einen mündigen Umgang mit Drogen zu erlernen, damit sie ihren Konsum selbstbestimmt kontrollieren können. Das Ziel ist ein Drogenkonsum, der so wenig Schaden anrichtet wie möglich. Die Wege dorthin sind so vielfältig wie die Menschen, die Drogen nehmen. Voraussetzungen sind die Entkriminalisierung der Drogenkonsumenten, niedrigschwellige Hilfsangebote und ärztlich begleitete Substitutionsbehandlungen.
Ein Beispiel aus Deutschland: Nach langjährigen Studien wurde 2010 Heroin als Medikament zugelassen. Statt beim Dealer kann man den Stoff nun vom Arzt bekommen, natürlich nur auf Rezept und unter bestimmten Auflagen. So muss der Patient über 23 sein. „Legalisierung bedeutet nicht, einen Stoff für alle erreichbar zu machen“, betont Dirk Schäffer, Drogenreferent der Deutschen AIDS-Hilfe. „Legalisierung bedeutet vor allem Kontrolle von Handel und Konsum und Reduzierung von Gesundheitschäden.“
Statt beim Dealer kann man den Stoff nun vom Arzt bekommen
Thomas ist einer von denen, die ihren Drogenkonsum unter Kontrolle gebracht haben – mit viel Mühe und mit fachkundiger Hilfe. Auf der mehrsprachigen, von Drogenkonsumenten, Ehemaligen und Substituierten erarbeiteten Website mytreatmentmychoice.eu erzählt er von seiner Odyssee. Seit seiner Schulzeit in den 70er Jahren hat er viel ausprobiert: Alkohol, Marihuana, Tabletten, Heroin. „Ich habe etliche Entzüge gemacht, die meisten kalt“, erzählt er. Fast alle hat er abgebrochen. „Die Behandlung war einfach menschenunwürdig.“ Studien zeigen, dass nur 10 bis 15 Prozent nach solchen Entgiftungen dauerhaft abstinent bleiben.
Vor einigen Jahren hat sich Thomas für eine Substitutionstherapie entschieden. Anders als bei einer stationären Therapie konnte er so seinen Job behalten. Der sei wichtig für ihn, um ein stabiles Leben zu führen: „Es war gut, dass ich einfach da weitermachen konnte, wo ich gerade stand.“ In der Anfangszeit hat Thomas oft zusätzlich Heroin konsumiert. Mit seiner Ärztin konnte er darüber offen sprechen. Sie hat die Therapie entsprechend angepasst. „Als die Dosis hoch genug war, ist auch mein Interesse am Beikonsum zurückgegangen“, erinnert sich Thomas.
Ein Verzicht auf die Ersatzmedikamente kommt für Thomas derzeit nicht in Frage. Mit Empfehlungen hält er sich trotzdem zurück. „Die Menschen sind verschieden“, betont Thomas. „Für den einen ist Abstinenz das Richtige, für den anderen die Substitution.“
Thomas‘ Leben ist ein Beispiel dafür, wie man eine lebensgefährliche Abhängigkeit allmählich überwinden kann. Jeder muss seinen eigenen Weg finden – unterstützt von einer professionellen Drogenhilfe und einer Drogenselbsthilfe wie beispielsweise „JES – Junkies, Ehemalige , Substituierte“, die nicht bevormundet, sondern berät. Denn die Entscheidungsfreiheit ist ein hohes Gut. Deshalb fordert die Deutsche AIDS-Hilfe: Entscheidungsfreiheit für Menschen, die Drogen gebrauchen! Jetzt!
Die prominent besetzte Global Commission On Drugs fordert seit 2011 eine Neuausrichtung der internationalen Drogenpolitik, weg von der Repression, hin zur Gesundheitsförderung. Ihr aktueller Bericht liegt auch auf Deutsch vor.