„Wir könnten Aids besiegen“

Elton John hat den Kampf gegen Aids zu seinem Lebensthema gemacht. Foto: David Shankbone

Popmusiker Sir Elton John erzählt in seinem Buch „Love is the Cure“, wie seine persönlichen Erfahrungen mit Aids sein Leben geprägt und ihn zum Aktivsten gemacht haben. Von Axel Schock.

Öffentliches soziales Engagement von Prominenten ist bisweilen eine etwas zweischneidige Angelegenheit. Für manche sind Charity-Einsätze nämlich nichts weiter als eine perfekte Win-Win-Situation. Mit minimalem Aufwand (bei Gala-Empfängen in die Kameras lächeln) gibt’s im Gegenzug Pluspunkte fürs Image, gute Presse und für die Veranstalter größere Medienaufmerksamkeit.

In nicht wenigen Fällen lassen sich Stars ihren Auftritt bei Benefiz-Abenden sogar noch in Form großzügiger „Aufwandsentschädigungen“ honorieren. Bei der einen oder anderen Person des öffentlichen Lebens mag man deshalb die Ernsthaftigkeit des sozialen Engagements durchaus anzweifeln.

Mitte der 80er Jahre, als Aids in rasantem Tempo zu einer kaum greifbaren Bedrohung anwuchs, schloss sich auch Elton John jenen Künstlern an, die ein gutes Werk für die Betroffenen tun wollten. John spendete großzügig Geld, trat bei Aidsgalas auf und nahm mit Dionne Warwick, Stevie Wonder und Gladys Knight eine Benefiz-Single zugunsten der American Foundation for AIDS Research auf. Mehr noch: Er kümmerte sich über viele Jahre um den 14-jährigen HIV-positiven Ryan White.

„Ich schäme mich zutiefst, dass ich damals nicht mehr unternahm“

Elton John tat also bereits einiges mehr, als lediglich mit einer Roten Schleife am Revers auf roten Teppichen zu kalten Buffets zu marschieren. Und doch urteilt er heute selbstkritisch: „Ich schäme mich zutiefst, dass ich damals nicht mehr unternahm.“ Und weiter: „Ich verwendete nicht genug Zeit oder Anstrengung darauf, gegen Aids zu kämpfen und diejenigen zu unterstützen, die daran erkrankt waren, obwohl ich das leicht hätte tun können und auch hätte tun sollen.“ Stattdessen habe er sich dem Kokain, dem Alkohol und anderen Exzessen gewidmet.

Elton John und sein Lebenspartner David Furnish (l.), der auch als Kurator der Stiftung arbeitet. Foto: EJAF

Elton Johns Buch „Love ist the Cure“, das heute parallel in mehreren Sprachen, darunter auch in deutscher Übersetzung erscheint, ist zunächst eine sehr ehrliche, offenherzige und dabei glaubwürdige Abrechnung mit seinem damaligen egozentrischen Lebenswandel, der zwar vielerlei Genuss, aber wenig Verantwortung kannte: „Ich hatte alles auf der Welt – Reichtum, Ruhm, alles –, aber ich bekam einen Tobsuchtsanfall, wenn mir die Vorhänge in meinem Hotelzimmer nicht gefielen. Ich hatte völlig die Bodenhaftung verloren. Es war einfach nur peinlich.“

Nicht der Tod seines Musikerfreundes Freddie Mercury, nicht das Engagement seiner Freundinnen Elizabeth Taylor und Prinzessin Diana – es ist die Begegnung mit dem aidskranken Schüler aus Kokomo, Indiana, die für Elton John einschneidend wird. So zumindest schildert er es, und man mag ihm bei aller Hollywood-tauglichen Rührseligkeit dennoch Glauben schenken.

Erfahren hatte John demnach vom Schicksal des Jungen im Wartezimmer seines Arztes (ja, auch Popstars lesen dort die ausgelegten Zeitschriften). Ryan war durch eine mit HIV verunreinigte Blutkonserve infiziert worden. Als das bekannt wurde, durfte er seine Schule nicht mehr besuchen, und seine Familie musste heute kaum mehr vorstellbare Schikanen und Demütigungen erleiden. Die Familie ging an die Öffentlichkeit, zog mehrfach vor Gericht – und wurde noch schlimmer attackiert.

John nahm Kontakt zur Familie auf, freundete sich mit Ryan an und stand ihm bis zu seinem Tod am 8. April 1990 bei. Vier Monate später verabschiedete der US-Kongress zu Ryans Ehren den noch heute gültigen Ryan White Comprehensive AIDS Resources Emergency Act (CARE), über den bis heute nicht versicherten und einkommensschwachen Menschen mit HIV und Aids die Behandlung finanziert wird.

„Ich bin nur dank Ryan hier. Er inspirierte mich dazu, mein Leben in Ordnung zu bringen und meine Aids-Stiftung zu gründen“

Die intensiven Begegnungen mit Ryan hätten entscheidend zu einem Bewusstseinswandel beitragen, schreibt John. Er wollte nicht weiter als „unbeteiligter Zaungast“ die Katastrophe verfolgen und nur seinen Namen für einen guten Zweck hergeben oder ab und zu ein paar Songs auf der Bühne spielen. „Ich wollte meine Ideen und Energie einbringen, und ich wollte meine Zeit opfern.“

Elton John wollte mehr als nur über rote Teppiche schreiten. Foto: Rainer Sturm

1990 begibt er sich in eine Drogenklinik, danach klinkt er sich für ein Jahr aus dem Musikgeschäft aus und arbeitet ehrenamtlich beim Projekt „Open Hand“ in Atlanta, das Aidspatienten zu Hause mit warmen Mahlzeiten versorgt. 1992 gründet er schließlich mit der Elton John AIDS Foundation (EJAF) seine eigene Stiftung, mittlerweile eine der führenden gemeinnützigen Aidsorganisationen weltweit. Bis heute wurden rund 275 Millionen US-Dollar aufgebracht und damit Hunderte Hilfs- und Präventionsprogramme unterstützt.

Elton John weiß um den Wert seines Namens und Promistatus auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten. Er nutzt ihn für seine Stiftung und nun auch für dieses Buch. Man könnte es als Teil einer Selbstinszenierung – der egozentrische Popstar geläutert zum aufopfernden Wohltäter – abtun. Doch das Konzept dahinter erscheint weitaus durchdachter.

Elton John erzählt von verschiedenen Hilfsprojekten in Haiti, Thailand und der Ukraine und den dortigen Begegnungen im Rahmen seiner Stiftungstätigkeit. Indem er dabei Einzelschicksale herausgreift, zeigt er griffig und verständlich die aktuellen Probleme im Kampf gegen Aids auf: vom Verbot der Spritzenvergabe über die Kriminalisierung und Stigmatisierung HIV-Positiver bis hin zur Preispolitik der Pharmaindustrie und der wachsenden Homophobie in vielen Ländern.

„Love is the Cure“ schlägt in diesen 200 Seiten zudem den großen historischen Bogen von den Versäumnissen der US-Gesundheitsbehörden unter der Präsidentschaft von George Bush bis in die Gegenwart und stellt dabei einige wichtige Fragen: Wie z.B. kann es sein, dass 44 Prozent der Neuinfektionen auf Afroamerikaner entfallen, sie aber nur 14 Prozent der US-Bevölkerung stellen?

Die Hersteller von Generika sind für John die stillen Helden in diesem Kampf. Er verlange keineswegs, dass sich gewinnorientierte Firmen in Wohltätigkeitsorganisationen verwandeln. „Wenn sie Leben retten und dabei Geld verdienen können, umso besser“, schreibt er. „Aber wenn sie sich bewusst dafür entscheiden, auf Kosten der Menschen noch mehr Geld zu verdienen, dann sollten sie sich schämen.“

Seinen Promistatus nutzt Elton John für den guten Zweck. Foto: Thorben Wengert

Dank Elton Johns Promistatus und seinem sehr persönlichen Zugang zum Thema könnten sein Buch auch Leute lesen, die sich sonst kaum für die Probleme und Debatten rund um HIV und Aids interessieren. Und vielleicht dient seine durchaus kämpferische Schrift bei den nächsten Gala-Diners als weiterbildende Handreichung an Menschen aus Politik, Wirtschaft und Pharmaindustrie. Passend wäre es allemal.

Elton Johns leicht lesbarer, aber auch faktengespickter Rundumschlag mündet in einer simplen, hoffnungsvollen These: Selbst ohne weitere Forschungserfolge könnte die Ausbreitung der Seuche eingedämmt werden – durch Kondome, Prävention, gesundheitliche Aufklärung und Spritzenaustauschprogramme. Und indem allen Betroffenen die notwendige Behandlung zugänglich gemacht wird. Zusätzliche 5 bis 7 Milliarden jährlich von jetzt an bis 2020 seien dafür notwendig, rechnet Elton John vor – nur ein Bruchteil dessen, was die US-Bürger im vergangenen Jahr für Vitamine ausgaben oder die großen Wall-Street-Banken an Boni an ihre Manager auszahlten. Die Kondomfeindlichkeit des Papstes, die Homophobie ugandischer oder auch ukrainischer Politiker, die Vorurteile und Ängste vieler Menschen: all dies könne hingegen nur über einen unablässigen Dialog bekämpft werden.

„Wenn wir uns nicht davor fürchten, der Realität ins Auge zu blicken, wachsen unser Wissen und damit auch unser Mitgefühl. Das sind die Mittel, die Aids besiegen können“

„Der Sieg über Aids erfordert Liebe, und zwar viel Liebe“, schreibt John und liefert zum Schluss dann doch noch eine Weisheit, die wie eine Verszeile aus einer Popballade klingt. Aber man kann von einem Musikstar, auch wenn er Gründer einer Aidsstiftung ist, nicht unbedingt erwarten, dass er mal schnell die ultimative Lösung für eines der größten globalen Probleme zur Hand hat. Sollte John mit seinem Buch die Spendenfreudigkeit verstärken und das politische Bewusstsein für die aktuellen Probleme im Kampf gegen Aids schärfen können, hätte er auch schon viel erreicht. Mehr als seine Kollegen, die sich damit begnügen, in Abendrobe über rote Teppiche zu schreiten.

Elton John: „ Love is the Cure. Über das Leben, über den Verlust und wie wir Aids besiegen können“. Aus dem Englischen von Heike Schlatter und Henning Dedekind. Hoffmann und Campe, gebunden, 224 Seiten, 19.99 Euro

Link zur Elton John Aids Foundation

 

 


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