Die Röntgenassistentin im Röntgenbetrieb vor 50 Jahren (6)


6. Der Umgang mit Kolleginnen

Vor über 50 Jahren erschien die Erstauflage des “Lehrbuchs der röntgendiagnostischen Einstelltechnik: Begründet von Marianne Zimmer-Brossy”. Damals noch mit dem ersten Kapitel zum Thema:  „Die Röntgenassistentin und ihr Berufskreis“.

Wie sich die Autoren des Lehrbuchs  damals zu Beginn der 60er-Jahre den Umgang unter Kollegen vorstellten, das möchten wir in unserem heutigen Beitrag veranschaulichen.

Umgang mit Kolleginnen

Die allgemeinen Regeln über das Verhalten im Berufsleben und überhaupt in der menschlichen Gemeinschaft gelten auch in einem Röntgenbetrieb. Es bewährt sich, immer freundlich und sachlich zu allen und zu jedem zu sein. Stößt man einmal aus irgendwelchem Grunde auf Ablehnung, dann kümmert man sich nicht darum und bleibe korrekt, höflich, selbstsicher und damit auch selbständig. Zu engen Freundschaften ist auszuweichen, denn solche Bindungen sind sehr oft Vorläufer späterer Differenzen. Dagegen ist eine kameradschaftliche Verbundenheit sehr wohl am Platze.

Überhaupt erzählt man nicht aus seinem Privatleben

Beim Eintritt, in ein anderes Institut wird man oft von allzu Wissbegierigen sowohl über die eigene Person als auch über den vorhergehenden Arbeitsort ausgefragt; Schwächen werden sofort, aufgespürt, und es wird versucht, die Neuankommende einer bestehenden Clique beizugesellen. Nicht selten bedauert man später, wenn man die Verhältnisse besser kennt, früher etwas erzählt zu haben. Institute mit viel Geschwätz und ausgedehnten Teestunden haben zudem eine geringe Arbeitsleistung. Den Montagmorgen beginnt man mit Arbeit, und nicht mit der interessanten Schilderung des Weekends. Überhaupt erzählt man nicht aus seinem Privatleben und weiche auch diesbezüglichen Fragen aus. Es könnte eines Tages nämlich schwierig und mühsam werden, wenn mall plötzlich nicht mehr darüber berichten wollte.

Prinzipiell gewöhne man sich daran, an der eigenen Arbeit zu bleiben –  ist aber auch einer Kollegin behilflich, wenn sie mit Arbeit überbelastet ist, während man selbst unbeschäftigt ist. Hilft man einer Kollegin, so nimmt man ihr nicht die besonders geschätzte Arbeit ab, sondern leiste Zubringer- und Transportdienste oder kümmere sich um das Ergehen ihres Patienten. Überschwänglichkeit und allzu freundliches Getue ist dabei nicht am Platz, wohl aber Freude zum Glück einer gemeinsamen und fruchtbringenden Arbeit.

Gemeinschaft von äußerlich sauber gekleideten, aber auch von innerlich sauberen Menschen

Erwünscht ist ferner das Bestreben, Gegensätze und Spannungen in einem Institut, auszugleichen – etwa mit einem rechten Wort am rechten Platze. In der Arbeit liegt bei der berufstätigen Frau ihre Lebensaufgabe. Wir sprachen schon davon, dass ein Institut eine Gemeinschaft von äußerlich sauber gekleideten, aber auch von innerlich sauberen Menschen sein soll. Es passt nicht zu Damen, sich faule und anrüchige Witze zu erzählen und dies noch in einem medizinischen Betrieb.

Ebenso vermeidet man jedes Privatgespräch mit einer Kollegin vor dem Patienten, insbesondere wenn es andere Institutsmitglieder oder gar Ärzte betreffen sollte.

Die erste, also die leitende Röntgenassistentin hat im Institut eine oft missverstandene, sehr mühsame und schwierige Position. Sie hat diese Stellung wegen ihrer Qualitäten und Tüchtigkeit inne, nicht, weil sie beim Tee am meisten zu berichten wusste. Sie ist von ihren Vorgesetzten geschätzt, weil sie besonders gut röntgen kann und sich Mühe gibt, auch seltene Aufnahmen zu beherrschen. Weil sie außerdem photographieren, gut kopieren, Diapositive anfertigen kann, weil sie Maschinenschreiben und Stenographie beherrscht, sich organisatorisch und administrativ zu helfen weiß, weil sie dafür sorgt, dass die Patienten nicht zu lange warten müssen, dass sie bei der Untersuchung warm haben, so angenehm wie möglich gelagert sind, weil sie den Chef an alles erinnert, was er noch zu tun hat und nicht vergessen darf, weil sie die Wasserhähne nach Feierabend kontrolliert, und schließt, das brennende Dunkelzimmerlicht löscht, weil sie merkt, dass nicht alle Filme rechtzeitig expediert worden sind und dies nachholt. Sie kann dem Chef alle Auskünfte geben, weil sie sich für alles interessiert, weil sie denkt und plant und alle Aufträge zuverlässig erledigt. Kurz, sie ist eine berufstätige Frau, die besondere Begabung und Freude in ihrem Beruf hat.

Verfügt aber eine erste Assistentin nicht über kollegiale Mitarbeiterinnen, die ihr helfen für das Institut zu sorgen, und ihr eine Stütze in der schwierigen Aufgabe sind, so wird sie leider bald isoliert dastehen und kann ihrer Funktion nicht mehr gerecht werden. In solchen Fällen muss aber klar erkannt werden, dass es nicht die Unfähigkeit der ersten Assistentin ist, sondern die der anderen.

Eine gewisse Strenge und Disziplin im Interesse der Patienten und des Instituts walten lassen

Wenn aber diese anderen selbst einmal an die Stelle der ersten Assistentin vorrücken, glauben sie vielleicht – aber nur anfänglich – alles gütlich arrangieren zu können, ganz anders als die bisherige, merken dann jedoch bald einmal, wie rasch sie an Autorität verlieren. Diese Erfahrung macht jede; dass man streng mit sich selbst sein muss, aber auch im Institut eine gewisse Strenge und Disziplin im Interesse der Patienten und des Instituts walten lassen muss. Jetzt erkennt sie, was es heißt, ein missliebiger Feldwebel zu sein, der von morgens bis abends dies und jenes beanstanden muss, der von den Bequemen gehasst wird, weil er alles kontrolliert, und der vor einem strengen Wort nicht zurückschrecken darf. Sie sieht nun ein, dass ihre Vorgängerin die Kontrollen nicht vornahm, um wieder einmal schimpfen zu können, wie sie dies angenommen hatte, und sie versteht jetzt, warum man in Zorn gerät, wenn man erfolglos ein dutzendmal das gleiche gesagt hat.

Die erste Röntgenassistentin hat die Pflicht, ihrem Chef die Vorkommnisse im Institut zu melden, sie ist deshalb nicht eine intrigante Angeberin, sondern tut dies, weil sie dem Chef verantwortlich ist für ordnungsgemäßes Funktionieren es Institutes. Ihre Aufgabe ist schwierig. Man vermeide, von ihr ein unfreundliches Wort bekommen zu müssen indem man selbst mitdenkt und mit Interesse und Geschick arbeitet. Man halte sich stets vor Augen, das sie für Fehler vom Chef verantwortlich gemacht wird und dabei Rügen einkassieren muss, die vielfach gar nicht sie , sondern ihre Kolleginnen betreffen und die sie dann weiterzugeben hat. Es gibt jedoch Menschen, denen es sehr schwer fällt zu rügen, die vor lauter Hemmungen ihre Scheu überkompensieren und dann trotz ihrem weichen Herzen den Tadel in einer solchen Form vorbringen, dass er fast verletzend wirkt. Auch Rügen muss gelernt werden, es ist schwerer, als manche junge Röntgenassistentinnen es sich vorstellen. Die Rügende leidet bisweilen mehr als die Gerügte. Darum hilft man mit, dass im Institut möglichst wenig gerügt werden muss. Gibt die Arbeit dennoch einmal Vorwürfen Anlass, so ist dies weder ein Grund zum Schmollen noch zur Gleichgültigkeit, sondern einzig zum Bessermachen.

Die Institutsarbeit spielt nur dann, wenn alle Mitglieder – von dem ersten bis zum letzten – ihre Pflichten erkennen und sie ernst nehmen.

wird fortgesetzt 

Quelle: Ersten Kapitel: “Technische Röntgenassistentin als Frauenberuf” von Zimmer Brossy – Lehrbuch der röntgendiagnostischen Einstelltechnik 1.Aufl 1960

Zum Teil 1:  Die Röntgenassistentin  im Röntgenbetrieb vor über 50 Jahren  (Technische Röntgenassistentin als Frauenberuf)
Zum Teil 2:  Die Röntgenassistentin  im Röntgenbetrieb vor über 50 Jahren  (Vorbildung und Vorbedingungen)
Zum Teil 3:  Die Röntgenassistentin  im Röntgenbetrieb vor über 50 Jahren  (Ausbildungsmöglichkeiten an Röntgeninstituten)
Zum Teil 4:  Die Röntgenassistentin  im Röntgenbetrieb vor über 50 Jahren  (Gefahren und Schutzmöglichkeiten in einem Röntgenbetrieb)
Zum Teil 5:  Die Röntgenassistentin  im Röntgenbetrieb vor über 50 Jahren  (Das äußere Auftreten einer Röntgenassistentin)

 

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